Analoge Heldin: Das Drucken anfassbar machen
Mit großem Druck und Getöse bringt Jenny Trojak Farbe auf Papier. In den Hinterzimmern ihres Papeteriegeschäfts Nur ein Mü gibt sie auch Workshops.
Der Heidelberger Tiegel springt an. Das raumfüllende Getöse der Druckpresse ist erschreckend.
Es erinnert an eine verstärkte Beatmungsmaschine. Die Presse hat einen deutlich sichtbaren Arm, der das Papier ansaugt. Es braucht eine Weile, um zu durchblicken: Ein zweiter Arm führt die Gummiwalze von der Farbwalze über die Druckform und zurück.
Ein dritter, kreisender Arm führt das leere Papier Richtung Druckform und legt das bedruckte zur Seite. Dieser Arm hat der berühmten Tiegelpresse den Spitznamen Windmühle beschert. Die Windmühle rattert und schnauft wie irre.
Der Tiegel bringt viel Druck ins Spiel
„Als ich den Tiegel gekauft habe, ging der Erlös ans Gutenberg-Museum, das hat mir gefallen“, sagt Trojak, nachdem sie die Maschine wieder ausgestellt hat. Sie erzählt, dass die 1820 in Boston von Isaac Adams erfundene Tiegelpresse mit großem Druck die Farbe aufs Papier bringt – mit mehreren Tonnen Druck sogar. Wer mit der Hand über die mit dieser Maschine bedruckten Buchstaben streicht, kann leichte Einprägungen ertasten.
Das ist anders als beim Offsetdruck, der am weitesten verbreiteten Drucktechnik im Bücher-, Zeitungs- und Werbedruck, wo die Druckplatte und der Druckträger nicht miteinander in Berührung kommen, sondern eine Walze den Druck von der Form aufs Papier überträgt.
Es ist erst recht anders als beim Digitaldruck, wo es gar keine Druckform mehr gibt. „Die Maschine ist 60 Jahre alt, ein Meisterwerk“, sagt Jenny Trojak stolz. „Man kann mit ihr auch stanzen, rillen, perforieren, nummerieren und prägen.“
Die ganze Welt spricht über Digitalisierung. Die ganze Welt? Nein. Es gibt immer noch Menschen in dieser Stadt, die sich dem Analogen verschrieben haben. Sie trotzen Filmstreamingdiensten und Digitalfotografie, Musikplattformen und der Wegwerfgesellschaft. In loser Folge stellen wir Ihnen künftig einige dieser Helden vor. Nach den Besuchen in einem Vinylpresswerk, bei einem Reparateur, in einem Fotogeschäft und in einer Videothek geht es in Teil 5 um eine Buchdruckerin aus Zepernick. (taz)
Nur ein Mü
In Zepernick hinter Berlins nördlicher Stadtgrenze, in einem beschaulichen alten Dorf an der S-Bahn-Linie 2 zwischen Buch und Bernau, befindet sich Jenny Trojaks Laden mit dem witzigen Namen Nur ein Mü. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein Fachgeschäft für Papeteriewaren wie edle Postkarten, schöne Papiere wie die aus Japan und besondere Stifte – einen Laden, wie man ihn eigentlich eher in einem Stadtteil wie Prenzlauer Berg, Schöneberg oder Kreuzberg erwarten würde.
Doch das ist nicht alles: In den Hinterzimmern führt Trojak selbst Druckaufträge durch, druckt beispielsweise wunderschöne Postkarten mit filigran gezeichneten Mistel- oder Hagebuttenzweigen, Visiten- und Einladungskarten. Demnächst, wenn die Zeit reicht, auch ein Kochbuch mit eigenen Rezepten. Vor Corona konnte man bei ihr auch Workshops belegen, auch das soll möglichst bald wiederkommen. Bei Trojak dreht sich alles darum, das Drucken wieder sichtbar und anfassbar zu machen.
Ihre Geschichte ist wie aus dem Bilderbuch: In ihrem letzen Angestelltenverhältnis arbeitete Jenny Trojak in einer großen Druckerei in Berlin. Dort war modernste Technik angesagt: UV-Druck zum Beispiel, mit dem es möglich ist, vom Golfball bis zur Handyhülle jeden Gegenstand zu bedrucken, den man sich vorstellen kann. Doch irgendetwas fehlte Trojak.
Durch Zufall stieß sie auf eine Annonce im Gemeindeblatt. Die Grundschule Zepernick löste ihre Schuldruckerei auf, ein Lehrer war in Rente gegangen, die Kinder wollten nur noch digital drucken. Trojak fuhr sofort hin. Und erwarb ganze Schränke voller Bleilettern, die heute ebenfalls in einem Hinterzimmer ihres Ladens stehen, direkt neben dem Zimmer, das hauptsächlich der Tiegel ausfüllt.
Blei geben
Vor allem mit Kindern, berichtet Jenny Trojak, mache es einen Riesenspaß, auf die ganz alte Art zu drucken – mit Handsatz, wie ihn Johannes Gutenberg 1440 erfunden hat. Viele, die mit digitaler Technik aufgewachsen sind und Druckaufträge nur noch mit einem Mausklick an den Laser- oder Tintenstrahldrucker schicken, können sich kaum mehr vorstellen, wie aufwendig es noch vor wenigen Jahrzehnten war zu drucken.
Die Lettern müssen zunächst im Setzkasten gefunden, spiegelverkehrt und auf dem Kopf in den sogenannten Winkelhaken gelegt werden. Dann muss Blei gegeben werden, wie es im Drucker*innenjargon heißt, also passender Leerraum zwischen den Wörtern gesetzt werden.
Die Lettern müssen im Setzrahmen mithilfe einer Setzerahle einer Art Schraubenzieher mit schmaler Spitze, rangiert werden.
Die Leerräume werden mit Schließzeug gefüllt, sogenannten Keilschlössern, die die Lettern spannen. Das Klopfholz sorgt dafür, dass keiner der Lettern nach oben steht und nachher die Walzen beschädigt. Und am Ende werden die Leerräume mit so genanntem Schließzeug befüllt, das heißt, man spannt die Lettern mit metallenen Keilschlössern fest.
Drucken öffnet Türen
Jenny Trojak ist der festen Überzeugung, dass der Zugang zum Druck auf diese langsame Art gerade heute viele Türen öffnen kann. Es gilt als nachgewiesen, dass sich die motorischen Fähigkeiten der Kinder in Zeiten von Computerspielen und Lern-Apps eher verschlechtern. „Begreifen kommt von Greifen“, bringt es Trojak auf den Punkt.
Und muss sich dann mal kurz entschuldigen. Eine ältere Kundin hat trotz früher Stunde den Laden betreten und fragt nach einem guten Papierleim. Trojak empfiehlt ihr eine silberne Dose mit italienischem Leim auf der Basis von Kartoffelstärke, der nach Bittermandelöl duftet. Anschließend sucht sich die Dame noch einen Druckbleistift des ältesten Bleistiftproduzenten der Welt aus Tschechien aus.
Auch wenn es nach wie vor eine Nische ist: Bis vor kurzem galt der Handdruck noch als hoffnungslos abgehängt vom billigen Offset- und dem schnellen Digitaldruck. Doch zunehmend ist der Buchdruck im neuen Gewand als Letterpress nun wieder angesagt, gilt als bodenständig, handwerklich.
Er wird betrieben von designbegeisterten Leuten aus aller Welt, die oft halb so alt sind wie ihre liebevoll gehegten Maschinen: die Lettertypen in Adlershof, wo man unter anderem mit einer Johannisberger Schnellpresse aus dem Jahr 1924 druckt. Die Druckerey des Schweizer Setzers und Buchdruckers Martin Z. Schröder in Weißensee, Baumgarten & Grützmacher in Kreuzberg, Volta Press in Moabit, die Druckerei von Laureen und John Mahler aus Kalifornien. Seit Kurzem gibt es sogar im Kulturkaufhaus Dussmann eine manuelle Druckmaschine.
Eine ernst zu nehmende Nische
Schön Gedrucktes wird auch in der Verlagsszene zunehmend zur ökonomisch ernst zu nehmenden Nische. 2017 hat der Typographiker Erik Spiekermann gemeinsam mit dem Suhrkamp-Verlag die Herausgabe der Edition „Letterpress“ gestartet, um die Tradition des Buchdrucks am Leben zu halten.
Erst Ende letzten Jahres gründete Birgit Schmitz, die zuletzt zwei Jahre lang den Verlag Hoffmann und Campe leitete, den Berliner Verlag TOC Publishing, wo ebenfalls noch alte Drucktechniken gepflegt werden. Auch andere Verlage wie Matthes & Seitz, der Guggolz Verlag oder der Verlag Das kulturelle Gedächtnis setzen sehr aufs bibliophile Buch, das auch etwas mehr kosten darf und das man nicht durch digitale Endgeräte ersetzen kann.
Viele Menschen scheinen der neuen Körperlosigkeit zwischen Kindle und Blendle zunehmend überdrüssig zu werden, es fehlen ihnen echte Dinge, die sie anfassen, in denen sie blättern und an denen sie riechen können, meint auch Jenny Trojak.
Sie ist sich sicher, dass sich diese Sehnsucht nach einem Jahr Abstandsregeln und Videokonferenzen dank Pandemie eher noch verschärft haben wird. Sie sieht beschwingt in die Zukunft ihres Ladens Nur ein Mü.
Und dann muss sie wieder weg, diesmal fragt ein Kunde nach schönem Briefpapier.
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