■ An die Arbeit! (2) Der „zweite Arbeitsmarkt“ hat ein schlechtes Image. Doch auch staatlich geförderte Arbeit kann innovativ sein.: Was der Markt nicht vermag
Schon bei dem Wort läuft vielen ein Schauer über den Rücken. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme! ABM! Unwillkürlich sieht man blasse Bürogestalten vergilbte Umweltliteratur sortieren, die schon lange niemand mehr lesen will. Vor dem geistigen Auge entwerfen frustrierte GeschichtslehrerInnen, die keine Stelle bekommen haben, die 25. Ratgeberbroschüre zum Thema „Müllrecycling“, die, in den Haushalten angekommen, sofort ins Altpapier wandert. Die bedauernswerten Kreaturen bekommen nach Ablauf ihrer ABM-Stelle keine Arbeit, hangeln sich durch weitere Warteschleifen des Arbeitsamtes und liegen den SteuerbürgerInnen ewig auf der Tasche.
Teuer und überflüssig, unproduktiv und perspektivlos – so lauten die gängigen Vorurteile gegen die staatliche Beschäftigungsförderung. Mittlerweile ist das Thema bei den Bündnisgrünen im Bundestag angekommen, die sich auf das Regieren mit Gerhard Schröder nach der Bundestagswahl 1998 vorbereiten. Vorher wollen einige von ihnen noch reinen Tisch machen. So schlägt die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck aus Bremen vor, die staatliche Arbeitsförderungspolitik vor allem auf private Unternehmen auszurichten. Statt in schwarze Soziallöcher und miefige Kulturprojekte solle das Geld direkt an Privatfirmen vergeben werden, damit die Arbeitslosen neue Jobs dort finden, wo sie eigentlich auch hingehören: auf dem „ersten“ Arbeitsmarkt.
In der Tat ist die heutige Praxis der Förderung des „zweiten“ Arbeitsmarktes miserabel. Auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien und Monetarismus fixiert, spart die Bundesregierung die Beschäftigungsgesellschaften kaputt. Durch die permanente Einschränkung der Zielgruppen kommen inzwischen fast nur noch soziale Härtefälle und Langzeitarbeitslose in den Genuß von ABM-Stellen. Das trifft die Projekte am Lebensnerv. Sie werden zu Verwahrstationen für Problemfälle, was Lernerfolge, produktives Arbeiten und Rückkehr in Lohnbeschäftigung auf dem freien Markt immer schwerer macht.
Schließlich liegen die Beschäftigungsbetriebe in Ketten: Eine falsch verstandene Definition von Gemeinützigkeit verbietet ihnen, Gewinne zu machen.
Das muß nicht so sein. Auf jeden Fall wäre es ein Kurzschluß, den öffentlichen Beschäftigungssektor gegen Null zu kürzen. Ein brauchbarer Ausweg wäre es, die Projekte von der Leine zu lassen. Gebt ihnen die Chance, ihre Produkte für normale Preise auf dem Markt anzubieten und Gewinne zu erwirtschaften!
Moderne Arbeitsförderpolitik jenseits staatlicher Wohlfahrt: Wie das funktioniert, machen Berlin, Niedersachsen und andere Länder bereits seit geraumer Zeit vor. Dort gibt es einige hundert „soziale Betriebe“. Der Staat finanziert ihnen einige Jahre den Großteil der Kosten mit regelmäßig abnehmenden Zuschüssen unter anderem aus Steuermitteln. Ein Paradigmenwechsel: Nicht nur die Arbeitenden bezahlen die Beschäftigungsförderung über ihre Sozialbeiträge, sondern die SteuerzahlerInnen insgesamt. Das entlastet auch die Lohnnebenkosten und trägt zur Sicherheit der Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt bei. Die Sozialbetriebe sind andererseits zur Produktivität gezwungen, denn die staatliche Spritze versiegt nach einiger Zeit. Die Firmen müssen sich dann selbst auf dem Markt behaupten. Ein Modell mit Zukunft, das mit wohltätiger Arbeitsbeschaffung nichts mehr zu tun hat. Begrenzte, deshalb billigere öffentliche Förderung mündet in unternehmerisches Handeln.
Staatliche Beschäftigungspolitik – überflüssiger Sozialklimbim der 70er und 80er Jahre? Mitnichten. ABM-Stellen, Qualifizierung, Lohnkostenzuschüsse und andere Programme lösen für viele Menschen ein altes Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft ein: Chancengleichheit. Findet jemand längere Zeit keinen Job in einem Privatunternehmen, bietet die Gesellschaft einen an, damit er oder sie schlicht menschenwürdig leben kann.
Die bloße Marktwirtschaft deckt die Grundbedürfnisse nicht – ein alter Konstruktionsfehler. Seit ihrem Entstehen als dominante Wirtschaftsform in Deutschland vor knapp 200 Jahren war sie nur äußerst selten in der Lage, allen Menschen, die sich von ihr ernähren wollten, eine Lohnarbeit zu geben. Dies gelingt nur ausnahmsweise in Perioden großen Wirtschaftswachstums.
Alle Hoffnungsschimmer – vom US-amerikanischen Jobwunder bis zur Revolution der Telekommunikation – können nicht verbergen, daß Vollbeschäftigung im traditionellen Sinn in Zukunft kaum noch zu bekommen ist. Die alten Märkte für Industrieprodukte sind weitgehend gesättigt, neue liegen zu weit enfernt, als daß ihre Effekte hierzulande die Arbeitslosigkeit verringern würden. Und innovative Techniken und Dienstleistungen schaffen meist weniger zusätzliche Jobs, als das Verschwinden der Vorgänger vernichtete.
Fließt mehr Geld aus den Töpfen der Arbeitsförderung in Privatbetriebe, wird sich die Lücke zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage verringern. Doch geschlossen wird sie dadurch niemals. Gerade in der gegenwärtigen Situation – 4,2 Millionen offizielle Arbeitslose bundesweit, sechs Millionen inoffiziell – müssen sich derartige Versuche als Träumerei entpuppen. Geködert durch staatliche Zuschüsse werden sich die Privatbetriebe aus dem gigantischen Angebot der Arbeitsuchenden die jungen, gut ausgebildeten Personen heraussuchen.
Wer nur zwei Monate aus dem Arbeitsleben herausgefallen ist, hat zudem viel bessere Chancen auf Wiedereinstellung als BewerberInnen, die seit zwei Jahren einen neuen Job suchen. Diese Wartezeit hat häufig ihre Qualifikation entwertet. Die Unternehmer kalkulieren hart: Wiegt der staatliche Zuschuß die geringere Produktivität auf, die die ehemals Arbeitslosen zunächst erbringen? In vielen Fällen wird die Antwort „Nein“ lauten. Mindestens 50 Prozent der Arbeitslosen haben deshalb – auch mit staatlicher Förderung – in der Privatwirtschaft keine Chancen.
Mit einem funktionierenden staatlichen Beschäftigungssektor lassen sich im übrigen Wirtschaftspolitik betreiben und zukunftsweisende Impulse setzen. So führte die Berliner ABM-Firma Atlantis seit 1989 solare Energiesysteme zur Marktreife, für deren Entwicklung und Verkauf sich private Unternehmen nicht interessierten. Der zweite Arbeitsmarkt kann zwei Ziele miteinander kombinieren: wirtschaftliche Innovation und Chancengleichheit für Benachteiligte. Hannes Koch
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