: An Züge gefesselt, auf Minenfelder geführt
■ Es gibt historische Vorbilder für Saddam Husseins Entschluß, Ausländer als Faustpfänder zu behandeln
London (ap) - Unschuldige Zivilisten quasi als menschliche Sandsäcke zum Schutz gegen feindliche Angriffe zu verwenden, ist nichts Neues. Der irakische Präsident Saddam Hussein ist nach Ansicht von Historikern indes der erste Regierungschef des 20. Jahrhunderts, der diese Taktik zur offiziellen Politik erhoben hat.
Zu Beginn des Vietnamkrieges zwangen die Nordvietnamesen Zivilpersonen, vor ihnen zu marschieren, um die Südvietnamesen vom Schießen abzuhalten. Im Zweiten Weltkrieg, so sagt der Fachmann für internationale Beziehungen an der Universität Oxford, Professor Adam Roberts, hätten deutsche Truppen in den Niederlanden alliierte Kriegsgefangene auf Häuserdächern plaziert, um feindliche Bomber abzuschrecken. Und aus erst kürzlich dechiffrierten Dokumenten gehe hervor, daß die Briten 1939 während ihrer Mandatsherrschaft in Palästina Taxis als „Minensucher“ vor den eigenen Fahrzeugen herfahren ließen, die von als „Aufrührer“ geltenden Arabern chauffiert werden mußten. Der Unterstaatssekretär im Kolonialministerium, Lord Dufferin of Ava, habe diese Praxis seinerzeit damit verteidigt, daß britische Leben verlorengingen und es deshalb unpassend sei, „zimperlich gegen Maßnahmen zu protestieren, die von den Männern an der Front getroffen werden“.
Der Historiker Professor Geoffrey Best erinnerte an den französisch-deutschen Krieg von 1870/71, als deutsche Truppen prominente Franzosen an Nachschubzüge fesselten. „Als die Franzosen damit anfingen, Züge in die Luft zu sprengen, fingen die Deutschen an, Ortsgrößen wie Bürgermeister an die Züge zu binden.“ Der Professor für internationale Geschichte an der London School of Economics, Donald Watt, sprach von Berichten, daß deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg Zivilisten als „Schutzschild“ über Minenfelder getrieben hätten.
Professor Roberts meinte, die Erklärung Saddam Husseins verstoße auch deutlich gegen die Genfer Konvention von 1949, in deren Absatz 28 es klar heiße, daß die Anwesenheit „geschützter Personen“ nicht dazu benutzt werden dürfe, gewisse Punkte oder Gebiete vor Militäraktionen zu schützen. „Geschützte Personen“ seien in diesem Fall in- und ausländische Zivilisten.
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