: An Frieden glaubt keiner mehr
„Es war, als hätten wir Frieden“, erinnert sich eine Mitarbeiterin des Ölpalmenprojekts in Rio San Juan, Nicaraguas südlicher Randregion. Nach dem Waffenstillstandsabkommen am 23.März hatten sich in den Kriegszonen vorsichtiger Optimismus und Sorglosigkeit ausgebreitet. Als vor ein paar Wochen inmitten der Ölpalmenfarm ein betrunkener Soldat sein Magazin in die Luft leerballerte und damit Alarm auslöste, waren ganze drei Mitarbeiter in ihren Verteidigungsstellungen. Die anderen hatten sich bereits daran gewöhnt, ohne Waffen und Uniform herumzulaufen. Das hat sich geändert, seit die Contras immer wieder die Waffenruhe brechen: Jetzt ist die Straße von San Carlos nach Acoyapa, die die Region mit dem Rest des Landes verbindet, wieder unpassierbar. Und nach der Neuwahl des Contra-Direktoriums (siehe Kasten) will auf eine Verhandlungslösung keiner mehr setzen.
Bei Panali, im Norden Nicaraguas, wo wir vor zwei Monaten noch für eine Reportage über die Waffenruhe (taz vom 20.Mai) unbehelligt durch das Kriegsgebiet fuhren, ist vor 14 Tagen ein Transport überfallen und mit Kugeln durchsiebt worden. Der kurze Frühling der Hoffnung auf Frieden ist vorbei. Und ob die Hinterbliebenen der Contra-Opfer sich in Trauer zurückziehen oder ihrem Zorn durch revolutionäre Parolen Luft machen: alle haben sie jedenfalls andere Sorgen als die jüngsten Strafaktionen des Innenministeriums gegen oppositionelle Politiker und Medien.
Ohne Zweifel: Tomas Borges Polizei, die immer bemüht war, sich von Sicherheitskräften anderswo auf der Welt positiv abzuheben, ist nicht mehr nur revolutionärer Freund und Helfer. Was sich während des Hungerstreiks der Bauarbeiter im April schon andeutete, hat sich bei der Demonstration in Nandaime vor einer Woche bestätigt: auch die sandinistischen Polizisten können zuschlagen und Tränengasgranaten werfen. Für Daniel Ortega, der kürzlich von Delegierten einer Städtepartnerschaft aus den USA darauf angesprochen wurde, ist das selbstverständlich: „Die Polizei ist von ihrem Wesen her eine repressive Einrichtung. Man darf sich keine Illusionen machen, das sei in Nicaragua anders.“ Für den Schullehrer Francisco Z. aus dem proletarischen Stadtteil San Judas in Managua ist dennoch eine Welt zusammengebrochen. Den altgedienten sandinistischen Aktivisten erinnerte - auch wenn sich in ihm alles gegen den Vergleich sträubt - der Tränengaseinsatz an die Zeiten, als die Nationalgarde gegen Studenten vorging.
Wurden bisher festgenommene Politiker nach spätestens drei Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt, so sind nach der Straßenschlacht in dem Provinzstädtchen Nadaime die Oppositionsführer Carlos Huembes, Agustin Jarquin und Miriam Arguello zu sechs Monaten verknackt worden. „Wir konnten und werden weiterhin flexibel und tolerant sein“, erklärte Innenminister Tomas Borge in einem Interview, „aber nicht bis zur Aufopferung der Revolution. Das wäre nicht mehr Toleranz, sondern Dummheit.“ Nach dem Studium von beschlagnahmtem Videomaterial aus Nandaime glaubt er Beweise zu haben, daß eine auch an ihrer Kleidung zu erkennende Gruppe der Demonstranten den Auftrag hatte, Blut fließen zu lassen. Die US-Botschaft soll die Finanzierung der Oppositionsgruppen an eine blutige Eskalation der innenpolitischen Auseinandersetzungen geknüpft haben. Nach Angaben des US-Unterstaabssekretärs Elliott Abrams haben die antisandinistischen Gruppierungen und Massenmedien Nicaraguas seit 1984 fast zwei Millionen Dollar aus Washington über die erzkonservative Stiftung „National Endowment for Democracy“ ausgezahlt bekommen.
Trotz der jüngsten Ereignisse will die Regierung das innenpolitische Klima nicht anheizen - und sich vor allem von den USA nicht dazu provozieren lassen. Das letzte Sondergericht, ein Tribunal für Mietstreitigkeiten, wurde aufgelöst. Auch in der Nationalversammlung, wo derzeit das neue Wahlgesetz diskutiert wird, geht alles seinen gewohnten Gang zwischen Regierung und Oppositionsparteien. Keiner bezweifelt, daß die Gemeinderats- und die Parlamentswahlen im nächsten Jahr planmäßig stattfinden.
Und die Frauen und Männer auf den Straßen von Managua sind viel zu sehr mit dem täglichen Überlebenskampf befaßt, als daß sie sich über mögliche politische Einschränkungen den Kopf zerbrechen würden. „Ich kann meinen Kindern keine drei Mahlzeiten am Tag auf den Tisch stellen“, klagt eine Händlerin aus San Judas. Wirtschaftlich sind wir schlimmer dran als früher, so lautet der Tenor bei den Städtern, die sich erinnern, daß es zu Somozas Zeiten weder Lebensmittelknappheit noch nennenswerte Inflation gab. Die Armen deckten ihren Proteinbedarf damals mit Innereien, Fleischknochen und Fischköpfen, die auf den Märkten praktisch verschenkt wurden. Heute werden auch diese „Abfälle“ für teures Geld verkauft.
Die Massenentlassungen in Staatsbetrieben und die wirtschaftliche Roßkur der letzten Monate - Währungsreform und Aufhebung des Preisstopps - haben die Nicaraguaner verunsichert. Und so zirkuliert eine Unzahl von offenbar gezielt ausgestreuten Gerüchten, die die Moral der Bevölkerung noch mehr untergraben sollen. Das Gerücht, es werde eine zweite Währungsreform geben und alle müßten ihre gehorteten Dollars zwangsweise in einheimische Cordoba umtauschen, hat unter all jenen, die von Geldsendungen ihrer Angehörigen in den USA leben, Panik ausgelöst. Zuletzt pilgerten Hunderte mit gepackten Koffern und verschnürten Pappkartons zum Pazifikhafen Corinto: Sie hatten gehört, ein Schiff aus Kanada würde alle mitnehmen, die auswandern wollten. Selbst um Paßformalitäten müsse man sich nicht kümmern. Das Personal von Hafen und Meldebehörde hatte tagelang nichts anderes zu tun, als genarrte Wirtschaftsflüchtlinge wieder nach Hause zu schicken.
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