Amoklauf im englischen Plymouth: Polizei schließt Terror aus
Ein 22-Jähriger erschießt fünf Menschen, bevor er sich selbst tötet. Er bewegte sich offenbar in der Incel-Szene.
Ein 22-Jähriger, der inzwischen von der Polizei als Jake Davison identifiziert wurde, erschoss am Donnerstagabend fünf Menschen, darunter seine 51-jährige Mutter. Unter den Getöteten waren auch ein dreijähriges Mädchen und ihr 43 Jahre alter Adoptivvater. Zwei weitere Menschen im Alter von 59 und 66 Jahren überlebten den Angriff, laut Polizei mit „lebensverändernden Verletzungen.“
Zwölf Minuten dauerte die Bluttat im Wohnviertel Keyham unweit des Hafens von Plymouth, an deren Ende sich der Täter mit seiner Waffe das Leben nahm. Offenbar waren die Menschen Zufallsopfer. Die Polizei hat inzwischen ihre Namen bekanntgegeben.
Waffenschein trotz Probleme
Der Täter Davison besaß einen Waffenschein, der ihm im Dezember 2020 aufgrund des Verdachts auf Körperverletzung zweier Jugendlicher kurzfristig entzogen wurde. Im Juli diesen Jahres erhielt er den Schein zurück. Laut der britischen Zeitung The Guardian hatte Davison zuvor einen Kurs zur Aggressionsbewältigung absolviert. Ihm war der Besitz einer Waffe erlaubt, obwohl er allem Anschein nach schon länger an psychischen Problemen litt und frauenfeindliche Medien im Internet aufsuchte.
Dabei gelten in Großbritannien seit dem Dunblane-Massaker von 1996, bei dem 16 Grundschüler*innen und eine Lehrerin getötet wurden, besonders strenge polizeiliche Prüfungen für einen Waffenschein. Aus diesem Grund ermittelt inzwischen die unabhängige britische Polizeiprüfstelle IOPC, ob im Fall Davisons Fehler gemacht wurden. Die britische Zeitung Daily Telegraph zitiert eine Quelle innerhalb der Polizei, die behauptet, dass die polizeilichen Behörden zur Waffenzulassung völlig überfordert und unterbesetzt seien.
Davisons Mutter soll sich in letzter Zeit verstärkt für eine Behandlung der von ihr beobachteten psychischen Störungen ihres Sohnes eingesetzt haben. Laut dem Guardian hätten Nachbarn angegeben, dass Davison wegen Personalmangels keine Behandlung erhalten habe, was für ein Versagen der zuständigen Stellen sprechen würde. Allerdings ist in anderen Medien zu lesen, der Täter hätte als Teenager durchaus Hilfe erhalten.
Hass gegen seine Mutter
Davison, der als Azubi in einer Verteidigungs- und Sicherheitsfirma in Plymouth arbeitete, sprach in öffentlichen Videos auf seinem eigenen YouTube-Kanal, der inzwischen entfernt wurde, über seine sexuellen Frustrationen und über Incels. (Anm.d. Redaktion.: involuntary celibate, auf deutsch:ungewolltes Zölibat, ist eine Selbstbezeichnung von heterosexuellen Männern, die laut Eigenangabe unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr oder romantische Beziehungen haben). Außerdem folgte er einem Youtube-Kanal mit dem Namen „Incel-TV“, der frauenfeindlich ist, sowie Youtube-Kanälen zum Thema Schusswaffen. Über Foren auf Reddit teilte er hasserfüllte Posts, die sich insbesondere gegen seine Mutter richteten.
In seinem allerletzten Videoblog Wochen vor dem Attentat sprach er ausgiebig über den Film „Terminator“ und bezeichnete sich selbst als „Terminator“, nachdem er „niedergeschlagen und vom Leben auf die Knie gezwungen worden sei.“ In sozialen Medien gab Davison unter anderem seine Unterstützung für Donald Trump und die britische Libertarian Party an, eine Splitterpartei am rechten Rand.
Beobachter*innen berichten, dass Davison sechs Tage vor seinem Amoklauf von einer 16-jährigen Reddit-Benutzerin an Moderator*innen gemeldet worden war, mit der Begründung, sie sei von ihm mit obszönen und wiederholten Einladungen zum Sex belästigt worden. Am Tag vor dem Amoklauf soll Davisons Konto auf Reddit aufgrund von Verstößen gegen die Benutzer*innenregeln gelöscht worden sein. Ein Sprecher bestätigte das gegenüber der taz. Twitter bestätigte gegenüber Medien, Tweets bezüglich des Amoklaufs, die gegen seine Richtlinien verstießen, gelöscht zu haben. Auch sein Facebook-Profil ist inzwischen gelöscht.
Motiv ist umstritten
Die Polizei schloss in einer Pressekonferenz ein terroristisches Motiv oder Rechtsextremismus aus. Dabei hat das britische Innenministerium 2019 einen Bericht herausgebracht, in dem die „Incel-Kultur“ als Quelle politischer Gewalt und von politischem Terrorismus eingestuft wurde. Inzwischen läuft eine Kampagne mit der Forderung an die Polizei, ihre Entscheidung, den Fall nicht als Terrorismus einzustufen, zu widerrufen.
Mathew Feldman, ein britischer Rechtsextremismus-Experte, twitterte, dass die Tat seiner Meinung nach wie ein terroristischer Akt aussehe. Florence Keen hingegen will nicht pauschal über die Gewaltbereitschaft von Incel-Anhängern urteilen. Die Akademikerin forscht am Internationalen Zentrum für Radikalisierungsstudien am Kings College London über die Incel-Kultur und sagte in einem BBC-Interview, dass einzelne Foren bis zu 13.000 User haben.
Inzwischen haben die Schulen in Plymouth trotz Sommerferien geöffnet. Dort bieten Kirchen und andere Organisationen Seelsorge für die betroffenen Anwohner*innen.
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