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Amnesty-Expertin zum Völkerstrafrecht„Keine Strafanzeigen zur Unzeit“

Das Völkerstrafgesetzbuch sei eine große Errungenschaft, auch wenn es kaum Anwendung finde, meint Amnesty-Expertin Von Braun. Denn die Gesetze würden ernstgenommen.

Die UNO ist bei Kriegsverbrechen oft hilflos. Das Völkerstrafrecht könnte Zeichen setzen. Bild: reuters
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau von Braun, seit zehn Jahren gibt es in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch. Ist das für Sie eine Erfolgsgeschichte oder eine Enttäuschung?

Leonie von Braun: Für mich ist es eine klare Erfolgsgeschichte. Schon die Existenz des Gesetzes ist eine Errungenschaft. Es ermöglicht die Bestrafung von Völkermord, Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen durch deutsche Gerichte, auch wenn keine Deutschen als Opfer und Täter beteiligt waren.

Es gibt bisher aber nur einen Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen zwei Milizenführer aus dem Kongo ...

Dass es diesen Prozess überhaupt gibt, ist schon ein großer Erfolg. Er zeigt, dass die deutsche Justiz das Gesetz ernst nimmt und anwendet. Der Kongo ist einer der größten Krisenherde weltweit, deshalb ist dieser Prozess von immenser Bedeutung und wird von Menschenrechtsorganisationen weltweit beobachtet.

Ist es wirklich schon ein Erfolg, wenn ein Gesetz nicht nur im Gesetzbuch steht, sondern tatsächlich einmal angewandt wird?

Ja, leider ist das so. Es hat einige Lobbyarbeit bedurft, bis es arbeitsfähige Strukturen bei der Bundesanwaltschaft und beim Bundeskriminalamt gab. Und dann haben Menschenrechtsorganisationen in diesem Fall viele Beweise zunächst selbst gesammelt, um die Bundesanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu überzeugen. Jetzt aber kann die Justiz in diesem Verfahren Erfahrungen sammeln, die auch in Zukunft von großem Wert sein werden.

Bild: privat
Im Interview: LEONIE VON BRAUN

, 34, ist Sprecherin der Koordinationsgruppe gegen Straflosigkeit bei amnysty international. In ihrem Berufsleben arbeitet sie als Staatsanwältin.

Braucht die Bundesanwaltschaft mehr Personal für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Völkermord?

Nicht generell. Aber wenn es konkrete Fälle gibt, die aufwändige Ermittlungen erfordern, dann muss das entsprechende Referat schnell mit Personal aus anderen Bereichen aufgestockt werden - so wie man es bei anderen Kriminalitätsformen auch handhabt.

Fälle gibt es doch genug. Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Strafanzeigen gestellt, die aber nicht zu Ermittlungen führten, etwa gegen Ex-US-Verteidigungsminister Rumsfeld wegen seiner Verantwortung für Guantanamo und den irakischen Folterknast Abu Ghraib...

Ich verstehe die Enttäuschung über die Nichtbearbeitung dieser Anzeigen. Aber man darf auch keine übertriebenen Erwartungen haben. Manche Strafanzeigen können, wenn sie zur Unzeit kommen, mehr Schaden anrichten als sie nutzen.

Sie fanden diese Strafanzeigen also falsch.

Nein, in der Sache haben sie durchaus ihre Berechtigung. Zudem sind die Begründungen der Bundesanwaltschaft, warum sie nicht ermittelt hat, oft an den Haaren herbeigezogen. Aber man sollte ein wichtiges neues Gesetz zunächst nicht mit Fällen belasten, die absehbar große politische Verwicklungen mit sich bringen. Sonst ist das Gesetz im Nu wieder entschärft, wie die Erfahrung in Belgien und Spanien gezeigt hat.

Sie sind also froh, dass das deutsche Völkerstrafgesetzbuch überhaupt noch existiert?

Ja, ich glaube, man muss es ganz realistisch sagen: Es ist ein Erfolg, dass das Völkerstrafgesetzbuch nach zehn Jahren unverändert besteht und nun endlich angewandt wird - hoffentlich auch in weiteren Verfahren.

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4 Kommentare

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  • A
    Annette

    Sicher hat Frau v. Braun aufgrund ihrer Erfahrungen recht, wenn sie davor warnt, dass das Völkerstrafgesetz nicht überfrachtet werden sollte, weil es sonst wieder entschärft würde, wie in Belgien oder Spanien. Aber wozu ist es denn sonst?

    Ich habe den Eindruck, dass insbesondere der Generalbundesanwalt sehr selektiv vorgeht bei entsprechenden Anzeigen.

     

    Da wo es Deutschlands aussenpolitischen Interessen nicht wirklich wehtut, z.B. im Fall der kongolesischen Milizen, wird ermittelt und Strafverfolgung betrieben.

    Aber was ist z.B. im Fall der Türkei? Es gibt von hamburgischen Anwälten eine Strafanzeige gegen den Ministerpräsidenten Erdogan und hohe Generalstäbler.

    siehe hier die Anzeige von Norman Paech und Britta Eder

    http://norman-paech.de/app/download/5785058217/Strafanzeige.pdf

     

    und hier einen Artikel aus telepolis

    http://www.heise.de/tp/artikel/35/35795/1.html

     

    Aber der GBA sah keinerlei Veranlassung, Ermittlungen aufzunehmen.

    siehe hier:

    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17471

     

    Es wäre doch eine lohnende Aufgabe für Amnesty International, mit dazu beizutragen, dass gerade auch solche Fälle, die die aussenpolitischen Interessen Deutschlands unmittelbar berühren können, angemessen aufgearbeitet werden, anstatt sich hinzustellen und abzuwiegeln.

  • W
    Weltgerechtigkeitsgericht

    > Manche Strafanzeigen können, wenn sie zur Unzeit kommen,

    > mehr Schaden anrichten als sie nutzen.

     

    Darfs noch ein bisschen mehr Heuchelei sein?

    Die Falschen anzeigen, ist nicht opportun,

    angesichts dessen was damit erreicht werden soll:

    Die Einmischung und das Schiedsrichterspielen bei

    inneren Angelegenheiten widerspenspenstiger Länder.

    Normalerweise folgenlos, weil die Gewalt zur

    Durchsetzung fehlt, aber die Moralkeule fusst

    auf dem imaginierten Recht, dem die Zähne

    abgehen.

    Das hätten sie gerne, und AA lässt sich dafür gerne

    einspannen. Für die Leute anderswo ist dieses

    Recht sicher nicht gemacht. Fürs Anmachen

    der dortigen Herrschaften taugts schon eher.

  • A
    antares56

    Klar, gegen die USA und ihre Schergen wird natürlich nicht ermittelt. Obwohl die meisten Kriegsverbrechen in letzter Zeit von den USA begangen wurden und immer noch paasieren!

    Also ein fast sinnloses Gesetz!

  • S
    saalbert

    "Denn die Gesetz würden ernstgenommen." - Nicht mehr "Gesetze"?

    "Es hat einige Lobbyarbeit bedurft..." - "einiger"?

    "Menschenrechtsorganisationen haben zahlreiche Strafanzeigen gestellt..." - Strafanzeigen werden "erstattet". "Gestellt" wird gleichzeitig ein Strafantrag, wenn jemand persönlich betroffen ist.

    "Manche Strafanzeigen können, wenn sie zur Unzeit kommen, mehr Schaden anrichten als sie nutzen." - Tja, dann wir das wohl nichts mit der Anzeige gegen Schröder, Fischer und Co. wegen eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen Serbien.