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Abschluss einer KolumneLast of Haushalt, oder: Wo ist hier, wann ist jetzt?

Männer über 50 sollen dazu neigen, auf ihr Leben zurückzublicken. In seiner letzten Kolumne bleibt der Autor deshalb lieber im Hier und Jetzt.

Das Geschirr zerschellt, der Besen wird geholt und das Leben läuft weiter Foto: YAY Images/imago

E ine Haushaltskolumne kann eigentlich nur unspektakulär enden. Selbst als mein Vater einmal in seinem Leben den Geschirrschrank einräumte und beim Öffnen dann natürlich alles auf meine Mutter niederdonnerte und am Boden zerschellte – am Ende gibt es einen oder zwei, die meckern, dann wird der Besen geholt, der Mülleimer gefüllt, wird neues Geschirr gekauft und eingeräumt, und nach kurzer Zeit geht alles wieder seinen Gang, auf und nieder, bis die Lebenslinie irgendwann keine Ausschläge mehr zeigt.

Aber so weit in die Zukunft wollen wir nicht gehen, so dramatisch nicht werden. Irgendwo habe ich kürzlich gelesen, dass Männer schon ab Mitte 50 zum Lebensrückblick neigen. Da ist was dran, und ich möchte mich bemühen, im Hier und Jetzt zu bleiben, auch wenn das nicht immer ein Vergnügen ist und meinem Naturell nicht entspricht.

Und wo wäre das Hier? „Die Ursprungssituation ist die, dass es eine gesellschaftliche Institution gibt, die im Namen der Sachlichkeit gegründet ist. Das ist der Journalismus“, hat ­Diedrich Diederichsen mal geschrieben; und er hat recht. Der spießbürgerliche Traum vom literarischen Künstlertum mancher Jour­na­lis­t:in­nen (und ihrer Chefs) mündete in seinen gleichzeitigen Spitzenreiter und Endpunkt Claas Relotius. Und die Wichtigtuerei journalistischer Politikberatung – die … (Partei einsetzen) sollte, die … (Bewegung einsetzen) darf nicht – rangiert immer nah an der Lächerlichkeit.

Und das Jetzt? Für mich bedeutete das in den letzten Jahren, dass ich nicht mit Schablonen agiere, mit historischen oder moralischen Zirkelschlüssen, was immer nur heißen kann: dass ich mir Mühe gebe, das nicht zu tun. Die beiden Hauptkonflikte, an denen sich zeigt, ob das gelingt, sind der Ukraine- und der Gazakrieg. Beide sind aus einer deutschen Perspektive – und, ach, ich bin’s eben – hochmoralisch und erinnerungspolitisch besetzt.

Der Haushalt bleibt zwischen all den Zumutungen der Gegenwart ein Ort der Meditation

So wie ich kein Verständnis mehr habe für Politiker, die sich immer noch nach Moskau einfliegen lassen, so habe ich durchaus Verständnis für diejenigen, deren Geduld mit (m)einer grundsätzlich israel­solidarischen Perspektive angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza und im Westjordanland erschöpft ist.

Der Haushalt als Leerraum

Der Haushalt bleibt, zwischen all diesen Zumutungen der Gegenwart, zwischen den Traumata der Vergangenheit und den Schwarzen Schwänen der Zukunft, ein Leerraum, ein Ort der Meditation, den ich jeder Yogasitzung und jedem Gym vorziehe.

Vom Julienneschneiden bis zum Griesbreirühren, vom Vakuumieren bis zum Kinderfahrradaufpumpen, vom Wespennest­entfernen bis zum Blumenkaufen für die tollen Ki­taer­zie­he­r:in­nen – all diese im weitesten Sinne Sorgearbeiten sind so notwendig wie verführerisch: Man kann sich ihnen entziehen, was immer heißt, dass wer anderes sie erledigen muss; man kann sich in ihnen aber auch verlieren, was auf Dauer in die Depression führt.

Wer in einem traditionellen Haushalt aufgewachsen ist, weiß, wie sich diese Anteile auf die Geschlechter zumeist verteilten. Es amüsiert mich insofern immer, wenn ich Statistiken zur Geschlechtergerechtigkeit beim Einkommen und beim Anteil an der Care-Arbeit lese – ich arbeite sozusagen auf, was mein Vater versäumt hat (ich vermisse dich trotzdem sehr, Papi, und hoffe, du kommst bald aus dem Fegefeuer).

So, dit war dit, wie der Berliner sagt. Hier ist Schluss, die Hausarbeit geht weiter.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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