Am Samstag ist Christopher Street Day: Happy Pride! Berliner CSD wird 40.
In vier Jahrzehnten hat der CSD viele Bedeutungswandel erfahren. Er war immer auch Spiegel der Gesellschaft. Dieses Mal wurde die AfD ausgeladen.
Es waren wütende Worte, die David Eckert, der Chef der Berliner Jugendorganisation der AfD, am 13. Juli in seine Videokamera sprach. Zuvor hatte der CSD den Rechtspopulisten die Teilnahme an der diesjährigen CSD-Parade verweigert. Mit der Absage würden Menschen ausgegrenzt, die sich als Bollwerk gegen die Bedrohung durch illegale Einwanderer verstünden, „von denen ein großer Teil die Scharia als Gesellschaftsaufforderung befürwortet. In einigen Herkunftsländern werden Schwule an Baukränen aufgehängt!“
Genutzt hat ihm die Tirade nichts. Der 40. Berliner CSD wird am Samstag ohne Rechtspopulisten durch Berlin rollen. Zu Recht, findet der LGBT-Aktivist Bernd Gaiser: „Ich denke die wollen einfach nur, dass wir uns streiten. Die AfD fördert Kräfte wie Pegida, die Beifall klatschen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken und das hat auf dem CSD nichts verloren. So was muss man bekämpfen. Es gehörte immer schon zum CSD, dass wir uns auch mit anderen solidarisch zeigen.“
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Er muss es wissen. Gaiser, der heute im schwulen Mehrgenerationenhaus „Lebensort Vielfalt“ wohnt, hat 1979 den ersten Berliner CSD mitorganisiert: ganze 500 Leute auf dem Kufürstendamm! Doch auch das war nicht der Anfang der Berliner Schwulenbewegung. Die erste Demo gab es schon sechs Jahre zuvor, 1973 – und endete im Krach, im sogenannten Berliner Tuntenstreit. Im Jahr 1979 war die Bewegung zutiefst gespalten: die sozialistischen Hardliner aus der Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft – kurz AHA – warfen den Tunten vor, mit ihrem provokativen Auftreten zu schaden und bei den undogmatischen Tunten im SchwuZ gab es tiefes Misstrauen nicht nur gegen die AHA, sondern auch gegen die Lederschwulen vom Motor Sport Club, bei deren „faschistoidem“ Aussehen man eine ähnliche Gesinnung vermutete.
In diesem vergifteten Klima erzählte Gaisers Freund Andreas von den Vorbereitungen zum zehnjährigen Stonewall-Jubiläum, die er in New York miterlebt hatte. 1969 hatte eine Razzia in der Szenebar Stonewall Inn stattgefunden; Schwule, Transvestiten und Drag Queens ließen sich das Vorgehen nicht gefallen – die Polizisten wurden gewaltsam vertrieben. Spontan und ohne große Absprachen mit anderen Gruppen meldeten die beiden eine Demonstration an, malten Plakate, zogen durch die Kneipen und hängten sie auf. Nicht Empörung über die Verhältnisse war der Anlass des ersten Berliner CSD, sondern der Versuch, die tiefe ideologische Spaltung einer gelähmten Szene zu überwinden. „Und es kamen sogar ein paar Lesben – obwohl wir zu denen damals allenfalls diplomatische Beziehungen unterhielten“ sagt Gaiser und lächelt verschmitzt.
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Jubiläum Der Christopher Street Day (CSD) für die Rechte von Lesben, Schwulen, Transsexuellen und Transgender, Inter- und Bisexuellen (LGBTTIQ) findet am heutigen Samstag zum 40. Mal statt. Etwa 60 Trucks und 27 Fußgruppen werden nach Angaben der Veranstalter unter dem Motto: „Mein Körper – meine Identität – mein Leben!“ vom Kurfürstendamm (Eröffnung 12 Uhr) über die Siegessäule bis zum Brandenburger Tor ziehen, wo ab 17 Uhr die Abschlusskundgebung beginnt – mit anschließender Party. (taz)
Jahrzehntelang gab es zwischen Linken und Bürgerlichen nicht einmal die. Ab 1997 fand unter verschiedenen Namen in Kreuzberg ein antikapitalistischer CSD statt, 2016 zum letzten Mal, weil sich keine Orgagruppe mehr fand. Bis dahin gehörte auch Tülin Duman zu diesem Kreis. Sie ist Mitinhaberin des Südblock am Kottbusser Tor. „Es gab wenig Berührungspunkte zum großen CSD, das waren schon andere Welten“, sagt sie. Welten, die sich nicht mal mehr verstehen wollen. Für die einen stehe der Kampf gegen Homophobie allein und für sich, die anderen können ihn nicht mehr denken ohne den Kampf gegen Rassismus, Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg.
„Queer ist zu einem Modewort geworden“ sagt Duman, „alles ist heute queerfreundlich: queerfreundliche Unternehmen, queerfreundliche Polizei. Aber wenn du keine weiße Haut hast, dann hilft dir leider auch die queerfreundliche Polizei nichts.“
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1984 ist die Polizei von Freundlichkeit so oder so noch meilenweit entfernt. In Kampfmontur, Helm, Schild, Schlagstock läuft sie links und rechts des CSD Spalier. Vier Jahre Häuserkampf, Straßenschlachten, Wasserwerfer, Tränengas und ein toter Demonstrant haben das politische Klima in der Halbstadt geprägt.
Auf dem Bürgersteig stehen im Schutz der Polizisten die Gaffer, viele ungläubig, manche feindselig. „Wir sind die schwulen Tanten und grüßen die Passanten, huhu!“, rufen ein paar SchwuZ-Tunten im Trümmer-Outfit. Einer der Angesprochenen spuckt ihnen ins Gesicht: „Unter Hitler haben sie Leute wie euch noch vergast.“ Die Antwort lässt nicht auf sich warten: „Nachbarn, lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“
Wir sind zu viele geworden, um noch Angst zu haben. Ein paar Tausend laufen jetzt den Ku’damm runter – darunter zum ersten Mal auch ich – Lesben, Tunten, Lederkerle, wenigstens an diesem Tag alle gemeinsam.
Erst 12 Stunden zuvor war ich aus der Provinz nach Westberlin gezogen, pünktlich um beim CSD dabei sein zu können. Das Gefühl überwältigte mich. Schon bei der Hinfahrt brachte mich der Anblick eines CSD-Plakats in der U-Bahn fast zum Heulen, so etwas hatte ich noch nie im Leben gesehen. Ich spürte zum ersten Mal: Ich kann stolz sein auf meine Liebe, meine Sexualität, meinen Lebensentwurf. Für ein paar Stunden war die Angst kein Begleiter mehr.
Ob das jungen Menschen auf ihrem ersten CSD heute noch so ähnlich geht? Ist es vielleicht dieses Gefühl, das sich hochholen lässt, wenn der Alltag einen wieder klein und zur Minderheit macht, für das allein es sich schon lohnt auf die Straße zu gehen, ob auf den Ku’damm, an die Siegessäule oder nach Kreuzberg? Dieses Gefühl, das alle teilen und beschreiben können, die je auf einem CSD waren?
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Bernd Gaiser erinnert sich an viele Phasen, die der Berliner Christopher Street Day durchlebt hat. Versöhnung stand am Anfang, Sichtbarkeit prägte die frühen Achtziger, dann folgten Trauer und Wut während der Aidskrise. In den Neunzigern schließlich wurde der CSD mehr und mehr zu einer Machtdemonstration. Mit dem Einfluss der immer selbstbewussteren Schwulen und Lesben stiegen auch die Teilnehmerzahlen erst in die Zehn-, dann in die Hunderttausende.
Gleichzeitig veränderte sich der Charakter der Demonstration radikal, Techno-Trucks ersetzten die Megafone, die Spaßgesellschaft hielt Einzug. Immer mehr Gruppen, Vereine, Parteien, Unternehmen, Bars und Clubs sprangen auf den rollenden Wagen und nutzten die Demo für ihre Zwecke. Für seine Veranstalter, drei kleine schwul-lesbische Vereine, wurde die Ausrichtung des CSD immer mehr zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko.
Der Ruf nach Professionalisierung wurde laut, der CSD e. V. gründete sich. Und ein neuer Bruch begann sich abzuzeichnen: hier die schwul-lesbischen Bürgerrechtlerinnen, die den Kampf um die Ehe für alle zu ihrer wichtigsten Forderung erhoben, dort eine kleinere, aber radikalere Schwulen- und Lesbenbewegung, die sich immer stärker den Gedanken der aufkommenden Queer-Theorie und der Interesektionalität verbunden fühlte.
Was als Zeichen der Versöhnung begann, endete erneut in der Spaltung.
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Viele, die früher nach Kreuzberg gingen, bleiben dieses Jahr lieber zu Hause. Brigitte Oytoy, radikale Berliner Polittunte, geht einen anderen Weg. Sie hat auf dem CSD dieses Jahr eine Fußgruppe angemeldet – die „Übergalaktische Allianz“ –, um gemeinsam gegen „Rassismen, Weiblichkeitsfeindlichkeiten und Transfeindlichkeit in der Szene und der heteronormen Gesellschaft“ zu demonstrieren.
Dazu nutzt die Gruppe auch neue, erweiterte Regenbogenfahnen: Schwarz und Braun für People of Color, Weiß, Hellblau und Rosa für Menschen mit trans*-Erfahrung. Die Farben sollen daran erinnern, dass Vertreter*innen dieser Minderheiten von Anfang an an der Spitze der LGBT-Bewegung gekämpft haben. „Ihr Ausschluss ist eine direkte Folge einer Mentalität, die Weiße und cis-geschlechtliche Menschen in allen Lebensbereichen bevorzugt“, sagt Oytoy. Sie und ihre „Übergalaktische Allianz“ sehen Rassismus und Transfeindlichkeit auch und gerade innerhalb der eigenen Szene – und dagegen wollen sie etwas tun.
Rund um den CSD steigen am Samstag Partys: Die offizielle Pride-Party findet am Samstag ab 22 Uhr im Funkhaus Berlin, Nalepastr. 18, statt. Eine lesbische Pride-Party gibt es ab 21 Uhr im Spindler & Klatt, Köpenicker Str. 16–17. Die „Berlin Pride Closing Party“ beginnt am Sonntag ab 22 Uhr im Polygon Club & Garden, Wiesenweg 1–4. Infos unter csd-berlin.de/party. (taz)
Das bleibt nicht unwidersprochen. Gerade die Erweiterung des Regenbogens um zusätzliche Farben ruft bei vielen eher bürgerlichen LGBT-Menschen Verärgerung hervor. Für sie steht der Regenbogen schon für ein „All Inclusive“, das Sichtbarmachen einzelner Gruppen auf der Fahne sehen sie eher als Rückschritt, als „Identitits“.
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Tülin Duman geht auch deshalb weiterhin nicht auf den „großen“ CSD. Im Grunde sei Konsenssuche mit Bürgerlichen reine Energieverschwendung, findet sie. „Beim Thema Rassismus ist zum Beispiel selbst der Fußball weiter als große Teile LGBT-Szene: „Im Stadion sind rechte Symbole verboten, auf dem Lesbisch-schwulen Stadtfest nicht.“
Aber trotzdem habe der Tag als Symbol nach wie vor eine große Bedeutung: „Er steht für das, was wir erreicht haben und was wir noch erreichen müssen, für unsere Präsenz, aber auch unsere Unsichtbarkeit.“ Nicht zuletzt politisiert er auch junge Menschen, die nicht die ganze Geschichte selbst erlebt haben.
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Bernd Gaiser findet es gut, dass der CSD in den letzten Jahren wieder politischer geworden ist, dass mehr Menschen sich mit ihren eigenen Anliegen präsentieren. Er selbst fährt zum 40. CSD mit einer Senioren-Rikscha-Gruppe durch Berlin. Und in zehn Jahren, zum 50. Jubiläum wünscht er sich, dass LGBT-Menschen weitere Fortschritte feiern können, dass es kein Transsexuellengesetz in dieser Form mehr gibt, dass der Artikel 3 im Grundgesetz um den Aspekt Sexualität erweitert wurde, zum Beispiel.
Und die Streitereien? Gaiser lacht gelassen: „Zoffen werden wir uns weiter, aber nur wenn Meinungen aufeinanderprallen, kann etwas Positives daraus entstehen.“
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