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Am Rande des ViertelfinalesThatcher und der rosa Morgenmantel

In den Dörfern neben den EM-Städten lässt sich viel über England lernen. Von Bergarbeiterstreiks bis zu Frisurentrends.

Nicht ganz die blühende Landschaft: das Dorf Goldthorpe nahe der EM-Stadt Rotherham Foto: imago/agefotostock

O kay, wir sehen uns, wenn du ankommst“, schreibt mir meine Vermieterin. In der deutschen Übersetzung meiner App liest sich das wie ein Bedingungssatz. Aber ganz so schwierig ist dieses Dorf namens Goldthorpe glücklicherweise nicht zu erreichen. Immerhin gibt es einen Bahnhof. Bei dieser Europameisterschaft wollten die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen auch mal an die kleineren Städte denken, wie Rotherham, weil aber die Übernachtungskapazitäten ebenfalls nicht groß sind und das naheliegende Sheffield wegen eines Festivals nur Überteuertes anbietet, ziehe ich eben aufs Land.

Goldthorpe ist allerdings nicht irgendein Dorf. Die BBC berichtete von hier, als anlässlich des Todes von Margret Thatcher 2013 eine Beerdigung als große Feier nachgestellt wurde. Von Pferden wurde ein Sarg mit dem Abbild der eisernen Lady durchs Dorf gezogen, auf einer Brachfläche in Brand gesetzt und ein prächtiges Feuerwerk entzündet. Die geringe Beliebtheit von Thatcher hing vor allem mit der Schließung einer örtlichen Kohlemine zusammen, welche die Bewohner in Armut und Depressionen stürzte.

Mittlerweile haben einige erfolgreich umgesattelt. Meine Vermieterin scheint unter anderem von Airbnb gut leben zu können. Ich muss sie aus dem Nachmittagsschlaf klingeln. Sie erscheint barfuß, grell blondiert im rosa Morgenmantel an der Tür. Der SUV nimmt so viel Platz ein, dass ich auf dem Weg zur Haustür kaum vorbeikomme, der Fernseher in meinem Zimmer ist auch nicht so viel kleiner als mein Bett.

Wenn es nach der Uefa geht, hätte ich eigentlich in London bei den Deutschen bleiben sollen. Seit ich auf der Insel bin, befinde ich mich im regen Mailaustausch mit dem europäischen Fußballverband. Kurz bevor ich nach Rotherham zum Spiel Frankreich gegen die Niederlande aufbrach, teilte mir die Uefa mit, dass ich das Spiel leider nicht sehen könne.

Wartelisten gebe es nicht. Ich solle mir keine Hoffnungen machen. Schon beim englischen Viertelfinale war das so. Ich schrieb zurück, dass ich mir immer noch Hoffnungen machen würde, weil das bei bisherigen Turnieren immer geklappt hat. Dann bot ich an, auf den Arbeitstisch zu verzichten. Die Uefa versicherte prompt, sie würde meine Kooperation sehr schätzen.

In Rotherham also wieder das gleiche Prozedere. Anderthalb Stunden vor Anpfiff die letzte Mail der Uefa, dass ich doch rein darf. Wäre auch wirklich schade gewesen, wenn ich Goldthorpe und den rosa Morgenmantel nicht gesehen hätte.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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