Altmaiers Türkei-Besuch: Unter Freunden
Wirtschaftsminister Peter Altmaier bemüht sich in Ankara um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Und die Menschenrechte?
Na gut, in den letzten Jahren habe es schon auch schwierige Momente zwischen beiden Ländern gegeben. In Deutschland, sagt Altmaier, habe man sich Sorgen gemacht um die Menschenrechte, um die Rechtsstaatlichkeit und um die Pressefreiheit in der Türkei. Aber: „Unsere Beziehungen dürfen nicht auf diese Fragen reduziert werden.“ Dann wechselt er auch schon das Thema, spricht über Manager mit Doppelpass und Potentiale im Energiemarkt.
Für zwei Tage ist Peter Altmaier am Donnerstag mit einer Unternehmerdelegation in die türkische Hauptstadt Ankara geflogen – als erster deutscher Wirtschaftsminister seit Philipp Rösler. 32 Unternehmensvertreter sind zur Geschäftsanbahnung dabei, darunter Vorstände von Energieunternehmen und Maschinenbauern, aber auch der Chef der Marinesparte von Thyssenkrupp, die derzeit U-Boote für das türkische Militär baut.
Auf dem Programm neben dem Empfang am Abend: eine Konferenz des deutsch-türkischen Energieforums, das beide Regierungen 2012 gegründet und dann schnell wieder vergessen hatten. Eine Tagung der gemeinsamen Handelskommission, die in den letzten fünf Jahren ebenfalls brachlag. Und ein Besuch bei Berat Albayrak, dem türkischen Finanzminister und Schwiegersohn von Staatspräsident Erdoğan.
Ein anderer Ton
Auch dort ist die Stimmung gut. „Es gab in den deutsch-türkischen Beziehungen schwierige Momente“, sagt Altmaier auf der Pressekonferenz nach seinem Gespräch mit Albayrak. „Aber wir sind entschlossen, unsere Beziehungen auszubauen. Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verfügen wir über eine hervorragende Basis.“ Sein türkischer Kollege steht neben ihm und nickt eifrig. Was der Deutsche sagt, gefällt ihm.
Der Ton ist ein ganz anderer als noch im Juli 2017. Damals nutzte die Bundesregierung die Handelspolitik nicht zur Annäherung, sondern als Druckmittel. Nachdem eine Sondereinheit der türkischen Polizei den deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner festgenommen hatte, verkündete der damalige Außenminister Sigmar Gabriel handelspolitische Konsequenzen. Deutschen Unternehmen riet er von Investitionen in die Türkei ab, die Bundesregierung deckelte ihre Bürgschaften für Exportgeschäfte.
Diese Beschränkung hob die Regierung schon vor Monaten wieder auf, Altmaiers Reise ist der nächste Schritt. Den Auftrag, den Besuch vorzubereiten, erteilte der Minister seinen Beamten schon kurz nach seinem Amtsantritt im Frühjahr. Der Gedanke dahinter: Geostrategisch kommt im Nahen Osten niemand an der Türkei vorbei.
Es liegt deshalb im deutschen Interesse, die bilateralen Beziehungen wieder zu verbessern – und die türkische Wirtschaft zu stützen. Der Worst-Case wäre demnach eine Wirtschaftskrise, die das Land ins Chaos stürzen könnte.
„Riesiges Kooperationspotenzial“
Das ist kein ganz unrealistisches Szenario. Die Lira hat seit Jahresbeginn stark an Wert verloren. Schlecht für türkische Unternehmen, die viele Kredite in Euro und Dollar aufgenommen haben und sie jetzt nur schwer zurückzahlen können. Nicht nur, dass die Raten durch den Lira-Kurs teurer wurden – gleichzeitig bricht wegen der Inflation im Inland das Geschäft ein.
Das Wirtschaftswachstum ist nach mehreren Boomjahren am Stück bereits zurückgegangen. Investitionen aus Deutschland kämen der Regierung daher gelegen. „Wir verfügen über ein riesiges Kooperationspotenzial“, sagt Minister Albayrak während seines Termins mit Altmaier.
Dabei sind die Probleme in den deutsch-türkischen Beziehung keineswegs gelöst. Noch immer sitzen nach Ansicht der Bundesregierung fünf Deutsche aus politischen Gründen in türkischen Knästen. Am Tag vor Altmaiers Abflug verschärfte das Auswärtige Amt die Reisehinweise für die Türkei; es warnt jetzt sogar davor, regierungskritische Beiträge auf Facebook zu liken. Für Oppositionelle mit türkischem Pass hat sich die Lage erst recht nicht verbessert.
Cem Özdemir kritisiert die Reise des Wirtschaftsministers deshalb. „Es kann keine Arbeitsteilung in der Bundesregierung geben, wonach der Außenminister für politische Gefangene in türkischen Kerkern zuständig ist und der Wirtschaftsminister für das Unterzeichnen lukrativer Aufträge“, sagte der Grünen-Politiker der taz. Deutschland müsse zwar viel an einer stabilen Türkei liegen. „Aber ich erwarte von jedem Vertreter der Bundesregierung, dass er gegenüber der türkischen Seite auch die unangenehmen Themen klar und deutlich anspricht.“
Hinter verschlossenen Türen
Mache ich doch, würde Altmaier darauf antworten. Vor seiner Reise hat der Wirtschaftsminister in Berlin Vertreter von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen getroffen. In Ankara wird er am Freitag zum Ende seines Besuchs noch mit Betroffenen aus der Zivilgesellschaft sprechen. Und während seinen Terminen mit türkischen Ministern spricht er die Themen Menschenrechte und deutsche Gefangenen offenbar an, wenn die Türen geschlossen sind.
Aber öffentliche Kritik an der türkischen Regierung? „Die Bundesregierung war immer entschieden für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, und zwar weltweit“, sagt Altmaier während seiner Pressekonferenz mit Finanzminister Albayrak auf Nachfrage. Im Detail bespreche man solche Themen unter Freunden aber lieber direkt. Leise Worte hält der Wirtschaftsminister für effektiver als starke Statements vor der Kamera.
Ob diese Strategie aufgeht? Zumindest einem deutschen Gefangenen hat sie fürs erste nichts gebracht. Am Freitagmorgen, als Altmaier gerade im Hyatt-Hotel das deutsch-türkische Energieforum eröffnet, verurteilt ein türkisches Gericht einen 29-Jährigen aus Gießen zu mehr als sechs Jahren Haft. Laut den Richtern ist Patrick K. Mitglied der Kurdenmiliz YPG. Der Verurteilte selbst streitet das ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe