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Altherrentreff zur geistig-moralischen Wende

Die rechte Denkfabrik „Studienzentrum Weikersheim“ eröffnete ihr neues Büro direkt am Brandenburger Tor. Viele alte Männer kamen, auch Ex-Richter Filbinger, der Todesurteile gegen Deserteure unterschrieb. Heute verteufeln sie die Doppelmoral der Gutmenschen  ■   Von Philipp Gessler

Die weißhaarigen Herren nehmen den Aufzug – man kennt sich und ist gleich beim rechten Thema: „Herr Kreutzer, glauben Sie an die offiziellen Rücktrittsgründe Lafontaines?“ Hermann Kreutzer, Vorsitzender des rechten „Kurt-Schumacher-Kreises“ der SPD, weicht aus, der Fragende setzt nach: „Es ist ja erstaunlich, wie die wahren Gründe von den deutschen Medien zurückgehalten werden.“ Allgemeine Zustimmung im Lift, die bösen Medien sind mal wieder schuld – auch daran, daß die Institution so übel angesehen ist, zu der man unterwegs ist: das „Studienzentrum Weikersheim“.

Am Samstag eröffnete die erzkonservative Denkfabrik ihre Geschäftsstelle in Berlin: am Pariser Platz, einen Steinwurf vom Brandenburger Tor und vom Reichstag entfernt. Seit 1979 ist das Studienzentrum Synonym für den Grauraum zwischen der schwarzen und braunen Intelligenzija der Bundesrepublik. Symbolfigur ist ihr Ehrenpräsident Hans Filbinger, Gründer des rechten Think tank und früher CDU-Ministerpräsident des Musterländles, ehe er zurücktreten mußte: Er war als Marinerichter am Ende des Krieges beteiligt an Todesurteilen gegen desertierte Wehrmachtssoldaten.

Aber warum über alte Geschichten reden? Die patriotischen Herrschaften sind begeistert, bei diesem Blick: links die Quadriga auf Augenhöhe, rechts auf der Terrasse die Glaskuppel des Reichstags. „Aktueller und historischer geht es nicht“, betont der jetzige Stiftungspräsident, der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Freiherr von Stetten, mit Blick auf das Ambiente in seiner Eröffnungsrede: Seine Stiftung habe immer für die Wiedervereinigung gekämpft. Der „Staatsmann“ Filbinger sei verleumdet worden – zum Teil mit gefälschten Dokumenten der Stasi. Und selbst wenn er gefehlt haben sollte: „Pfui Teufel“ für die „Doppelmoral der Gutmenschen“, da müsse man ihn gar nicht verteidigen. „Ja“, sagt Filbinger und scheint etwas gerührt. Die Verbrechen der Nazis und der Kommunisten, fährt von Stetten fort, „Buchenwald vor und nach 1945“, müsse man in einem Atemzug nennen.

Dann redet Filbinger, sehr lebendig für sein Alter, und frei: „Besser haben Sie das gar nicht machen können“, lobt er von Stetten für den neuen Sitz des Studienzentrums, hier sei man „im Zentrum des politischen Geschehens“. Er freue sich, eine „Neubelebung von patriotischen Gefühlen zu sehen“: Konservativ zu sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu stehen.

Rupert Scholz, CDU-Bundestagsabgeordneter und Ex-Verteidigungsminister, ist später gekommen. Er soll sprechen und lobt, die neue Geschäftsstelle des Studienzentrums sei das „Nonplusultra“. Es habe sich darum verdient gemacht, die Idee der deutschen Einheit zu bewahren, sei stets eine mahnende Institution geblieben. „Glück auf!“, wünscht er der Denkfabrik, dann zerstreuen sich die etwa 50 Gäste, kaum Junge, kaum Frauen. Günter Nooke, DDR-Bürgerrechtler und jetzt Berliner CDU-Abgeordneter in Bonn, sagt, man brauche eine „geistig-moralische Wende“. Er zitiert den Physiker Werner Heisenberg: Nur ein wahrer Konservativer könne ein wahrer Revolutionär sein.

In einer Ecke ist der ehemalige Innensenator Heinrich Lummer (CDU) in ein Gespräch verwikkelt. Wenn die Union immer betone, daß rechts von ihr keine demokratische Partei existieren dürfe, dann müsse sie diesen Platz auch besetzen, sagt einer. Das fordere er in seiner FDP auch immer, wirft ein anderer ein, aber es gelinge ja nicht, den früheren Generalbundesanwalt Alexander von Stahl bei den Liberalen der Hauptstadt akzeptabel zu machen. Lummer räumt ein, daß es eine „geistige Affinität“ zwischen ihm und dem Studienzentrum gebe. Die Todesurteile von damals müßten aus ihrer Zeit erklärt werden.

Dann will Filbinger selbst der Presse noch etwas in den Block diktieren. Er habe ja eigentlich auch zum „inneren Widerstand“ in der NS-Zeit gehört, sagt der alte Mann. Nachweislich habe er als Marinerichter fünf Menschen das Leben gerettet. Die Todesurteile damals, das seien eigentlich „Verwaltungsakte“ gewesen. Und die Nadel an seinem Revers, ja, das sei das Großkreuz des Bundesverdienstordens – außerdem sei er noch Großoffizier der französischen Ehrenlegion.

Mittlerweile sind die meisten Gäste gegangen. Herr von Stetten öffnet ein Fenster und zeigt stolz auf die Stelle, wo früher der Balkon des jüdischen Malers Max Liebermann war. „Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen muß“, hatte der beim SA-Fackelmarsch zur Machtübernahme der Nazis hier gesagt – vor 66 Jahren.

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