Altersfeststellung soll die Regel werden: CDU will junge Flüchtlinge röntgen
Niedersachsens CDU-Fraktionschef Björn Thümler wittert ein „Geschäftsmodell“ hinter der Einreise vermeintlich minderjähriger Flüchtlinge und will ihr Alter prüfen lassen.
Allein reisende minderjährige Flüchtlinge genießen in Deutschland besonderen Schutz. Anders als Erwachsene müssen sie zunächst nicht ins Asylverfahren, sondern kommen in die Obhut der Jugendhilfe. Statt in Massenquartieren werden sie meist in Wohngruppen oder bei Familien untergebracht. Und sie haben Anspruch auf Schulbildung und eine Krankenversicherung. Das kostet natürlich Geld. Nach Medienberichten muss der Staat für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling etwa 600.000 Euro aufwenden, das wäre das Fünf- bis Sechsfache der Summe für volljährige Asylsuchende.
Zweifel an der Altersangabe in jedem siebten Fall
Wie das Sozialministerium in Hannover auf eine Anfrage Thümlers mitteilte, nahmen die niedersächsischen Jugendämter zwischen November 2015 und Mitte Januar 2017 insgesamt 4.927 Geflüchtete in Obhut, die nach eigenen Angaben minderjährig waren. Wie alt sie tatsächlich sind, steht oft nicht fest. In 926 Fällen wurde das Alter anhand von Ausweispapieren festgestellt, in 3.213 Fällen stützten sich die Behörden zunächst auf die Aussagen der Flüchtlinge.
In Hamburg begutachten Ärzte bei der Altersbestimmung von jungen Flüchtlingen teilweise auch deren Genitalien oder Brustdrüsen. Der Test sei aber freiwillig, eine Verweigerung führe nicht dazu, dass die Betreffenden als volljährig eingestuft werden, betont die Sozialbehörde. Im Zentrum der Altersüberprüfung steht allerdings auch in Hamburg das Röntgen des Kiefers, der Handwurzel oder des Schlüsselbein-Brustbein-Gelenks.
Der langjährige Chef des Marburger Bundes Frank Ulrich Montgomery sieht keinen Grund für Genital- oder Röntgenuntersuchungen. Er warnt seine Ärzte-Kollegen davor, zum „Handlanger des Staates“ zu werden.
Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge geht noch weiter: „Nacktuntersuchungen und unausgereifte medizinische Methoden verletzen die Würde des Kindes.“
Bei 683 Personen gab es Zweifel an diesen Altersangaben, in 157 Fällen folgten ärztliche Untersuchungen. In 90 Fällen kam laut Ministerium heraus, dass die Betroffenen wohl schon volljährig waren, in drei Fällen war das Ergebnis nicht eindeutig. Die Zahlen sind unvollständig, weil nur 42 der 55 angefragten Jugendämter Auskunft gaben.
Aus Sicht von Thümler hat das Verschweigen des wahren Alters Methode. Gerade unter ausländischen jungen Männern habe sich offenbar herumgesprochen, dass eine Unterbringung als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling angenehmer sei, als im Asylbewerberheim wohnen zu müssen. „Die Landesregierung darf nicht länger zusehen, wie sich ein Geschäftsmodell etabliert, bei dem Eltern ihre Kinder mit Schleppern nach Deutschland schicken, um sie hier gut versorgt zu wissen und womöglich anschließend vom Familiennachzug zu profitieren.“
Das Sozialministerium weist Thümlers Forderung nach regelmäßigen Kontrollen zurück. Sie seien meistens unnötig und bedeuteten Eingriffe in die Selbstbestimmung oder körperliche Unversehrtheit. Ohnehin könnten nur Näherungswerte erhoben werden.
Mediziner können das Alter durch Begutachtung der körperlichen Reife, etwa anhand von Zähnen, Handwurzelknochen, Händen, Schlüsselbeinen oder Genitalien, schätzen. Die Weisheitszähne sind in der Regel erst dann komplett entwickelt wenn ein Mensch volljährig ist. Dasselbe gilt für die Knochen der Hand – ihre sogenannten Wachstumsfugen schließen sich erst, wenn ein Jugendlicher etwa 18 Jahre alt ist.
Umstrittene Methode
Unter Medizinern gibt es allerdings hitzige Debatten über diese medizinischen Altersschätzungen. Die Fehlerquote dieser Untersuchungen sei viel zu groß, kritisierte kürzlich etwa der Sprecher des schwedischen Kinderärzteverbands, Anders Hjern – das skandinavische Land hatte im Herbst die gesetzliche Möglichkeit zu Kontrolluntersuchungen bei jugendlichen Flüchtlingen geschaffen.
„Die Befürworter dieser medizinischen Methoden verschweigen gerne, dass sich die Wachstumszonen der Handknochen schließen, wenn ein Mensch um die 18 Jahre ist“, sagte Hjern. „Das bedeutet, dass die Sicherheitsmarginale extrem klein ist und dass ein Jugendlicher ebenso noch unter 18 Jahren sein kann, wenn sich die Handknochen bereits vollständig ausgebildet haben.“ Kritiker bemängeln zudem, dass bei diesen Untersuchungen Röntgenstrahlen eingesetzt werden, obwohl das aus medizinischer Sicht nicht notwendig sei.
Das Niedersächsische Sozialministerium wies darauf hin, dass auch Gerichte die Zulässigkeit von Röntgenuntersuchungen unterschiedlich bewertet haben. Zudem verursachten sie unverhältnismäßige Kosten in den Fällen, in denen die Zweifel auch anderweitig ausgeräumt werden könnten.
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