Altersangaben in Kontaktanzeigen: Alt sind immer nur die anderen
Ab 50 Jahren bezeichnen sich Menschen auf Partnersuche gerne mal als „jung geblieben“ oder „jünger aussehend“. Aber was heißt das eigentlich?
J essi“, werde ich in wenigen Wochen zu meiner Friseurin sagen, während sich unsere Blicke auf der Spiegelwand treffen, „findest du, dass ich jünger aussehend bin?“ „Aber sicher, meine Liebe“, wird sie sagen, mir die Schulter tätscheln und mich zum Waschbecken bitten. Dafür mag ich meine Friseurin. Wenn ihr eine Kundin eine bescheuerte Frage stellt oder harmlosen Quatsch redet, lässt sie sie das nicht wissen, sondern setzt ihr Profi-Lächeln auf und geht in Gedanken in der Ägäis surfen. Aber ich werde dann wieder nicht wissen, ob ich nun aussehe wie „um die 50“ oder deutlich jünger. Oder älter.
Dass ich überhaupt darüber nachdenke, liegt daran, dass ich so gerne Kontaktanzeigen lese. Darin nennen sich viele Inserent:innen „jung geblieben“ oder „jugendlich“, und ich vermute, dass sie damit neugierig, offen und unternehmungslustig meinen und nicht egoistisch, rücksichtslos und verpeilt.
Manche halten nicht nur ihr Herz für höchstens 35, sondern auch ihr Bindegewebe. Als „äußerlich jünger wirkend“ beschreiben sich im aktuellen Bremer Stadtmagazin Mix gleich zwei Frauen. Eine ist 61, eine 74, und ich frage mich, ob sie sich mit real existierenden Frauen vergleichen – oder solchen aus ihrer Fantasie, die sich an Bildern bedient, die sie sich von der Generation ihrer Mütter und Großmütter gemacht haben. Die ihnen bereits uralt erschienen, als sie 20 Jahre jünger waren als sie selbst jetzt.
„How terribly strange to be seventy“, heißt es in „Old friends“, einem sehr schönen Song über das Altsein von Simon and Garfunkel. Der heute 82-jährige Paul Simon hat ihn geschrieben, da war er noch keine 30. Die wörtliche Übersetzung lautet „wie seltsam es ist, 70 zu sein“ und die freie: Alt sind immer nur die anderen. Nach meiner Beobachtung halten sich selten Unter-50-Jährige für jünger aussehend.
Große Augen
Wie gut jemand mit der Kränkung, die das eigene Altern bedeutet, zurecht kommt, steht häufig auch in den Anzeigen. Im Zeit-Magazin erschien neulich eine in der Rubrik „Er sucht sie“, die mich sehr beeindruckt hat. Der erste Satz lautete: „Ich bin 57, aber alle gucken mich immer mit großen Augen an, wenn ich das sage und meinen, ich wirke 10 Jahre jünger.“
Nicht schlecht, dachte ich, da weiß man, was man bekommt: Einen Mann, der erstens ständig über sein Alter redet, und dem zweitens das Geld locker sitzt. Wer würde sonst 27,60 Euro für einen Satz ausgeben, aus dem sich ablesen lässt, dass er sich nicht gut in sein Gegenüber hineinversetzen kann? Andernfalls hätte er an die Möglichkeit gedacht, dass ein potenzielles Date vor Enttäuschung große Augen machen könnte.
Dasselbe Risiko gehen alle ein, die ein falsches Alter angeben. Beim Online-Daten scheint das allerdings so selbstverständlich zu sein, dass geübte Tinder-Nutzer:innen vier Jahre drauf schlagen. Und wenn man heutzutage Name und Geschlechtsbezeichnung wechseln kann, warum nicht auch das Alter. Ab jetzt bin ich 45. Dann muss ich nicht jünger aussehen. Ich bin es einfach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht