Alternative zum Internet in Kuba: Neues per Stick
Wer kein Internet hat, bekommt mit „El Paquete“ etwas von den Inhalten ab. Die digitalen Angebote werden kopiert und offline angeschaut.
Aus dem breiten Angebot des Pakets können sich die Kunden herunterladen, was ihnen gefällt – auf einen Memory-Stick, die eigene Festplatte oder den eigenen Rechner. Je nachdem, wie sie die wöchentlich aktualisierten Datenpakete beziehen, im Abo zu Hause oder im Straßenverkauf.
„Sie sind wie ein zusätzlicher Fernsehkanal, den die Leute anschalten, wenn ihnen das staatliche Angebot auf den Wecker geht“, erklärt Wendy Guerra. Die 45-jährige Schriftstellerin ist in der komfortablen Situation wählen zu können. Ihr Mann ist der bekannte kubanische Pianist Hector López-Nussa. Sie genießen das Privileg des eigenen Internetanschlusses.
Das ist in Kuba bisher nur erfolgreichen Künstlern, einigen wenigen Stiftungen sowie internationalen Unternehmen vorbehalten. Letztere müssen für den Anschluss aber tief in die Tasche greifen – online sein, kostet in Kuba.
Vertrieb durch Boten
„Ich nabele mich vom indoktrinären kubanischen Mediensystem ab. Meine Infos erhalte ich über das Internet, Links von Freunden, und hin und wieder schaue ich ins Paquete“, sagt Guerra. Jeden Montag schwärmen die Proveedores, die Lieferanten, aus und verteilen das Datenpaket über ein Netzwerk von Kurieren, DVD-Verkäufern, Webdesignern und Handy-Reparaturbetrieben über die Insel.
Das funktioniert so gut, dass El Paquete nicht nur am Montag in Havanna flächendeckend zu bekommen ist, sondern auch in Pinar del Río und Santa Clara. Den Osten der Insel, Santiago de Cuba oder Guantánamo, erreichen die Boten hingegen erst am Dienstag, denn die neueste Ausgabe des Infopakets wird per Bus vertrieben, so José Raúl Concepción. Der junge Kommunikationswissenschaftler hat seine Abschlussarbeit an der Universität Havanna über die alternative Informationsquelle geschrieben.
Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des Auslandsrecherchefonds ermöglicht.
An der „Esquina Caliente“, der heißen Ecke, im Parque Central von Havanna, wo sich Kubas Baseball-Enthusiasten treffen, lässt sich ohne Zugang zum Paquete kaum mehr mit diskutieren. Das Neueste aus der US-Mayor League, Spiele, Infos zur Performance der Spieler, aber auch über Verletzungen finden sich dort genauso wie alles Wesentliche und Unwesentliche über den europäischen Fußball.
Die Highlights der Liga
„Das ist in Kuba fast, wie live zuzuschauen“, sagt Iván García, freier Journalist und Kuba-Korrespondent der in Miami erscheinenden Tageszeitung Diario las Américas. Er wohnt im Süden Havannas, wo Touristen kaum hinkommen, und hat das Infopaket abonniert, um den US-Wahlkampf ebenso verfolgen zu können wie die Mayor League Baseball. Dort spielen mehrere Dutzend kubanische Athleten, und am Montagabend kann er dank Paquete die Aufzeichnung der Highlights der Liga sehen.
Für Sportfans ist das Infopaket, das 50 kubanische Pesos (etwa 2 US-Dollar) kostet, ein Muss. Für viele andere ist es der Zugang zu Informationen aus aller Welt. Das haben auch Kubas Politiker erkannt. So hat Abel Prieto, Exkulturminister und derzeit Berater von Staatschef Raúl Castro, im Onlineportal CubaDebate geschrieben, dass El Paquete „ein Resultat der innovativen Kapazität der Kubaner und eine Antwort auf den beschränkten Zugang zum Internet“ sei.
Zugleich hat der Kulturpolitiker davor gewarnt, das erfolgreiche, wenn auch illegal kopierte Infopaket zu verbieten oder seine Macher zu verfolgen. Das nationale Fernsehen müsse besser und attraktiver werden, lautet die Empfehlung Prietos. Für den Kommunikationswissenschaftler Raúl Concepción ist das Paket schlicht Kubas „Alternative zum Internet“. Gerade weil sich darin fast alles Wesentliche findet und der Internetzugang mit 2 US-Dollar pro Stunde in Kuba teuer ist.
Großer Konkurrent
Für Kubas Mediensystem ist das Angebot eine echte Herausforderung. So gehen aktuelle Schätzungen des zum nationalen Fernseh- und Radioinstitut gehörenden Zentrums für Sozialforschung davon aus, dass 39 Prozent der Habaneros, der Bewohner Havannas, es regelmäßig nutzen.
Erst vor ein paar Monaten haben sich auch die Macher dahinter geoutet. Lange war spekuliert worden, ob es sich um Studenten der Informatikuniversität (UCI) oder Angestellte des staatlichen Telekommunikationskonzerns Etecsa handelt.
Doch es ist ein Team um den 28-jährigen Elio Héctor López. Der Musikfan begann vor ein paar Jahren damit, Musik aus dem Internet herunterzuladen. Sein Job in einer Bank mit Netzanschluss ermöglichte ihm das, und schnell kam er mit anderen Web-Enthusiasten in Kontakt. Das war der erste Schritt zu El Paquete.
Nur kopieren hat keine Zukunft
Doch das Paket, das seit etwa vier Jahren im Umlauf ist, muss sich alsbald wandeln. Angesichts der Annäherung zwischen Kuba und den USA sehen sich López und seine Compañeros gezwungen, umzudisponieren. Sie wollen sich stärker auf Promotion für Künstler und Unternehmen konzentrieren, erklärte López bei einer Veranstaltung zum Paquete in Spanien. Das hat seinen Grund, sagt der kubanische Journalist Iván García: „Piraterie ist in Kuba zwar Alltag, aber US-Unternehmen wie Microsoft werden es nicht dulden, dass ihre Software kopiert und umsonst vertrieben wird“.
Werbung ist ohnehin schon ein wichtiger Bestandteil des Pakets. Videos kubanischer Künstler, aber auch Flyer von Restaurants, Bars und Ankündigungen von Konzerten und Ausstellungen landen in immer größerer Zahl auf dem Datenpaket. Auch für gut vernetzte Künstler wie Wendy Guerra ist El Paquete daher eine Infoquelle für all das, was in Havanna so läuft.
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