Alternative Bestatter*innen: Die letzte Fähre
Vier junge Kreuzbergerinnen mischen die alte Zunft der Totengräber auf. Die Umsorgung der Zugehörigen steht dabei im Vordergrund.
Feuer oder Erde? Verbrennen oder verwesen? Das ist die Gretchenfrage der Bestatter. Irgendwann sind wir alle dran. „Tage vor Deinem Tod, wenn noch niemand Deine Sterbestunde kennt, hört Dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen Deiner Finger zu pumpen. Wird anderswo gebraucht. In Deinem Kopf. Im Kern Deines Körpers, wo deine Lunge liegt, Dein Herz, Deine Leber. Auch aus den Zehenspitzen zieht sich das Blut zurück. Deine Füße werden kalt. Dein Atem verflacht. Die Sinne schwinden. Dein Körper leitet den Abschied vom Leben ein“, schreibt Roland Schulz. „So sterben wir“ heißt sein Buch, das die Kreuzberger Bestatterin Birgit Scheffler allen ans Herz legt, die mit dem Thema Sterben konfrontiert sind.
In diesem Buch geht es auch um den sich unaufhaltsam vollziehenden Wandel unserer westlichen Trauerkultur. Junge BestatterInnen stürmen den Markt und befreien ihre Zunft von einem muffigen Image. Vergilbte Lamellen, verstaubte Urnen, olle Engelchen und tote Fliegen – diesen Anblick bieten weithin herkömmliche Schaufenster gewöhnlicher Beerdigungsunternehmen. Gardinen zu und bloß nicht reinkucken. Tod tabu. Von diesem Bild will Scheffler weg. Sie steht für die neue Bestattergeneration. Ein knappes Dutzend moderner BestatterInnen haben die Branche in Berlin erobert. Update, Vorhang auf: Den Tod zurück ins Leben holen!
Auf in die Dieffenbachstraße 19 im Gräfekiez: Ein China-Restaurant wirbt mit dem Slogan „Ein Leben ohne unser Essen ist möglich, aber sinnlos.“ Daneben geben zwei große Schaufenster den Blick frei in große, minimalistisch dekorierte Räume. Was wirkt wie eine Galerie ohne Bilder, ist das neue Institut für individuelle Bestattungen. In den Fensterscheiben die Gravur „Das Fährhaus“ mit einem dänischen Kreis auf dem a.
Helles Holz korrespondiert drinnen mit dem nordischen Namen. Kerzen brennen, im Hinterzimmer steht beiläufig an einer Wand das Herzstück des Fährhaus-Mobiliars: ein schlichter Sarg aus Fichtenholz, ausstaffiert mit weißem Tuch. „Reine Baumwolle“, betont Birgit Schefflers Kollegin Sahra Ratgeber, die jahrelange Erfahrungen bei Trauer- und Sterbebegleitungen in Hospizen ins Fährhaus einbringt.
Scheffler wiederum ist Familienbegleiterin und erfahren im Umgang mit trauernden Kindern. „Mit einer Siebenjährigen habe ich zusammen die Fingernägel der verstorbenen Oma rot lackiert. Das machte ihr den Tod begreifbar. Uns ist sehr wichtig, den Zugehörigen den Tod begreifbar zu machen. ‚Be-Greifen‘ gleich ‚Anfassen‘. Die kalte Haut spüren. Das hilft enorm beim Trauerprozess und der Verarbeitung“.
Zwar steht die Umsorgung der Zugehörigen im Vordergrund. Aber ebenso gehört der physische Umgang mit den Verstorbenen zum Arbeitsalltag. Grundsätzlich spricht die Bestatterin nie von „Leichen“, sondern stets von Verstorbenen. „Beim Herrichten verzichten wir zum Beispiel auf zu viel Kosmetik. Ich nähe auch keine Münder zu, wie das hin und wieder üblich ist. Gegebenenfalls bereite ich die Zugehörigen vor dem Beschauen der Verstorbenen darauf vor, dass der Mund halt leicht geöffnet ist. Damit sie sich nicht erschrecken.“
Auch die ganz Harten kommen ins Fährhaus. Eine Rockerbraut etwa, die ihren Mann bestatten musste. Sie befürchtete ein Orgelrequiem und war erleichtert, als Scheffler ihren Wunsch erfüllen konnte: AC/DC donnerte durchs Gotteshaus, und die Tränen schossen den harten Kerlen nur so raus. Zum Abschied von ihrem Kumpel gaben sie im Leerlauf vor dem Gotteshaus noch einmal kräftig Gas. So heulten auch ihre schweren Maschinen.
„Vorige Woche hatten wir unsere erste Coronabestattung“, erzählt Birgit Scheffler, „eine herzkranke Frau Anfang 70 wurde in der Charité von einer Patientin aus dem Nachbarzimmer angesteckt und verstarb kurz darauf an Covid-19.“ Sie erläutert, wie die Pandemie auch ihre Arbeit verändert hat. „Viele Angebote wie das gemeinsame Waschen und Ankleiden oder die Abschiednahme am offenen Sarg dürfen wir bei an oder mit Covid-19 Verstorbenen nicht anbieten. Aber wir sind kreativ geworden und finden andere Möglichkeiten eines guten Abschieds.“
Schefflers Protokoll der Coronabestattung:
– Zugehörige (Tochter und Sohn, Ende 40) nehmen Kontakt zu uns auf.
– Nächster Vormittag Erstgespräch mit Kindern im Fährhaus.
– Tags drauf Verstorbene in der Charité abholen. In einem Bodybag (verschlossene Ganzkörperhülle) mit Schild: „Warnhinweis Infektiös Risikogruppe 3, gem. BioStoffV“. Bodybag wird nicht mehr geöffnet.
– Ankommen auf dem Hof Gustav Schöne (Fuhrunternehmen und Kühlung am Neuköllner Richardplatz). Verstorbene im Bodybag in einen Sarg betten. Sarg wird nicht mehr geöffnet. Warnhinweis gut sichtbar außen am Sarg anbringen.
– Waschen und Ankleiden (Totenfürsorge), Abschiednahme am offenen Sarg entfällt weil Coronafall. Verstorbene ins Krematorium überführen.
– Zweite Leichenschau im Krematorium durch den Amtsarzt.
– Einäschern. Zugehörige müssen draußen bleiben. Gilt aktuell für alle Zugehörigen als Teil des Lockdowns, unabhängig woran jemand gestorben ist.
– Die Asche der Verstorbenen in einer Aschekapsel abholen.
– Beisetzung gemäß der aktuell geltenden Beschränkungen.
Die Pandemie verändert aber derzeit nicht nur den praktischen Umgang mit den Toten und die Umstände ihrer Beisetzung, sondern auch das Denken derer, die sich mit dem Sterben auseinandersetzen.
Detlef Wittenberg, ein 78 Jahre alter Jurist, hat sich mit Ausbruch der Pandemie in die Uckermark zurückgezogen. Er befürchtet, dass die Intensivstationen der Patienten nicht mehr Herr werden. „Dann werden die entscheiden müssen, wen sie behandeln und wen nicht.“ Wittenberg vermisst eine Diskussion darüber, ob Corona nicht eine neue Sicht auf die Sterbehilfe erzwingt. „Wenn die Ärzte mich, wenn ich keine Luft mehr kriege, nicht mehr behandeln, sondern Jüngeren den Vorrang geben, was geschieht mit mir? Schicken sie mich dann nach Hause und lassen mich qualvoll ersticken? Oder machen sie mir das Sterben so angenehm wie möglich, mit allen Mitteln und Drogen, welche die Medizin zur Verfügung hat. Natürlich nur, wenn ich es will. Ich habe keinen Zweifel, wie ich mich entscheiden würde.“
Wittenberg war einst Fritz Teufels Anwalt, dessen Beisetzung bei 39 Grad im Hitzesommer 2010 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße wahrlich „alternativ“ und großes Kino war: „Des Teufels Begräbnis“ überschrieb seinerzeit das Lettre-Magazin das Ereignis mit Hunderten ergrauter Protagonisten der 68er-Bewegung samt 2.-Juni-Überlebenden. Zur Totenglocke der Kapelle pfiff das Kreuzberger Nasenflötenorchester „Ruby Tuesday“. Wohl nie zuvor haben berührend-schrägere Klänge eine Beisetzung untermalt.
Wie der Name einer Indie-Band
„Es lebe der Zentralfriedhof! Die Szene wirkt makaber. Die Pfarrer tanz'n mit die Hur’n. Und Juden mit Araber“, sang schon 1975 der Simmeringer Wolfgang Ambros. Aus dem Wiener Simmering und der Zentralfriedhofs-Tristesse flüchtete Barbara Till an das Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer 18. Dort arbeitet sie gemeinsam mit ihrer Trauercoach-Kollegin Alexandra Kossowski in ihrem Office. „Wir sind Koffer-Bestatter“, erklärt Till in Anspielung darauf, dass die Frauen erst Anfang Dezember in Schöneberg ihr Bestattungshaus eröffnen werden. „The Funeralists“ soll dann neonblau in den Himmel leuchten. Tod@thefuneralists.com lautet ihre Email-Adresse. „The Funeralists“ klingt wie der Name einer Independent-Band. Die beiden Frauen werben mit einem schmelzenden Eis am Stil und der Botschaft „Die Wärme des Todes“ auf stylischer Postkarte.
„Mag sein, dass manche uns als Hipster-Bestatterinnen wahrnehmen. Selber definieren wir uns nicht so.“ Überhaupt wollen sich die neuen Bestatterinnen ungern das Label „alternativ“ an die Brust heften. Till: „Letztens hatte uns jemand als New-Age-Bestatter betitelt. Ich mag Humor und auch ein Augenzwinkern und wir ziehen das zu uns passende Klientel an. Berlin ist multikulturell und viele sind konfessionslos. So kommt oft die Frage auf: ‚Was sind Deine eigenen Werte? Was ist Dir wichtig?‘ Wir ziehen vor allem Leute an, die selbst eine sehr offene und lockere Art haben, mit dem Thema Tod umzugehen, denen Individualität, Transparenz und Nachhaltigkeit wichtig sind. Und ja, da sind schon Hipster dabei, aber oft auch ihre Eltern.“
Emotionale Abschiedslieder
Für die gibt es auch gerne emotionale Abschiedslieder: „Blackstar“ von David Bowie. „Wayfaring Stranger“ von Johnny Cash. Und Leonard Cohen, „I’m ready my Lord“. Barbara Till, die Komparatistik studiert hat, verehrt ihren Landsmann Thomas Bernhard und seinen Satz: „Es ist vieles lächerlich, es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“
In einem Friedwald in Weißensee hängt ein Schild an einem Baum: „Wanderer, steh still und weine! Denn hier liegen meine Gebeine. Und ich wollt’, es wären deine“. Bei Führungen erklärt der Friedhofswärter gerne: „So was haben wir hier nicht so gerne.“ Birgit Scheffler amüsiert das.
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