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„Als ob man fliegen könnte“

ÖSTERREICH Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über Neurechte als aggressive Euphoriker, ihre zerstörerische Sexualität und den Hass auf die böse „Mutti“

Foto: GBW
Klaus Ottomeyer

geb. 1949, ist emeritierter Professor für Sozialpsychologie an der Uni Klagenfurt und Psychotherapeut. Er ist Vorstand des Vereins Apsis, der Flüchtlinge behandelt. Jüngste Veröffentlichung: „Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen“, LIT Verlag 2014.

Interview Ambros Waibel

taz: Herr Ottomeyer, wenn Sie den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer jemandem beschreiben sollten, der den langen Wahlkampf nicht verfolgt hat:Was ist das für ein Mensch?

Klaus Ottomeyer: Wenn er in der Rolle des Staatsmanns im Fernsehen auftritt, wirkt er ausgesprochen ruhig und freundlich, fast erstarrt. Ich glaube, dass er damit auf viele Leute in einer sich immer schneller drehenden Welt wie jemand wirkt, auf den man sich verlassen kann. Er hat aber noch eine andere Teilpersönlichkeit, die er im offiziellen Gespräch vor der Kamera nicht zeigt: eine, die für die deutsche Nation schwärmt. Er ist ja Mitglied in einer Verbindung, die das Wort „Germania“ im Namen führt. Als Burschenschaftler vertritt er auch ein bestimmtes Bild von Männlichkeit.

Das zeigt er aber dann eher im Privaten?

Er ist auch Mitherausgeber eines Buches, in dem ganz offen rechtsextreme Gedanken ausgebreitet werden, etwa dass die Frauen eher dem Brutpflegetrieb folgen sollen; und es gibt aggressive Äußerungen von ihm gegen Muslime, aber da dementiert er sich dann ständig selber.

Ist das das Erfolgsgeheimnis sogenannter Populisten?

Ja: die Politik des folgenlosen Dementis. Wenn man Hofer mit seinen problematischen Äußerungen konfrontiert, übergeht er das einfach.

Führende österreichische und deutsche Neonationalisten gehören derselben Generation an: Hofer ist Jahrgang 1971, Frauke Petry 1975, AfD-Ideologe Marc Jongen 1968, Heinz-Christian „HC“ Strache 1969. Ist das ein Zufall?

Das sind die Kinder der 68er, ob die Eltern nun selber welche waren oder ob sie eher passiv geprägt worden sind. Die Idee, dass man sich emanzipieren kann; dass Sexualität schön sein und befreit gelebt werden kann, aber auch von der Sexindustrie vereinnahmt – davon ist diese Generation beunruhigt worden. Ich glaube, dass diese jüngeren Neurechten sich alle eine Stabilisierung wünschen. In Programmen und Gedanken taucht immer die Rückkehr zu stabilen Familien und ein „Ende des Genderwahnsinns“ auf. Frau Petry, Herr Strache und auch Herr Hofer sind aber alle ein- bis zweimal geschieden, sie leben real in Patchworkfamilien.

Als Hobbyfreudianer gesprochen: Das Über-Ich gibt Aufträge, die das Ich und das Es schon längst nicht mehr erfüllen können?

So würde ich das auch sagen. Sie wollen Stabilität, sie wollen die Erosion der patriarchalen Rollen und Normen rückgängig machen. Das funktioniert aber nicht; und wenn sie merken, dass sich diese biedermeierliche Welt nicht mal im Privaten wiederherstellen lässt, dann braucht man äußere Schuldige: die Einwanderer. Der zerstörerische Teil der eigenen Sexualität wird auf die Flüchtlinge projiziert, seien es die angeblich vergewaltigenden Mexikaner in den USA oder die jungen, allein reisenden Männer hier, obwohl die Statistik das schlicht nicht hergibt.

Wenn man bei Thilo Sarrazin das Neurechte noch eher im Status der Depression verorten konnte, dann muss man heute doch einen Status der Euphorie, des Aufbruchs diagnostizieren. Wie sollen wir damit umgehen?

Ich denke, es geht ganz stark um den Wunsch nach Anerkennung, den viele Menschen haben, der aber in ihrem Alltag auf der Strecke bleibt. Die Neurechten bekommen sie aber jetzt, das macht die Euphorie aus. Dazu trägt bei, dass sich das moralische Korsett gelockert hat. Man darf auf einmal Dinge sagen und teilweise auch tun, die früher dem Über-Ich zum Opfer gefallen wären.

Enthemmung.

Ebendie macht euphorisch. Die Aggression und den Wunsch, andere Menschen zu erniedrigen, den wir wahrscheinlich alle in uns haben, braucht man auf einmal nicht mehr zu unterdrücken. Der Rucksack des Über-Ichs ist abgeworfen, man fühlt sich frei, als ob man fliegen könnte. Da kommen andere dazu, die auch in dieser Stimmung sind, das steckt an.

Wie können diese aggressiven Euphoriker ihr Hochgefühl ausleben, ohne andere Menschen zu gefährden?

Es ist ja so, dass auf dieses Hochgefühl eine Bauchlandung folgt, früher oder später. Beim Brexit gab es erst Begeisterung, dann Ernüchterung. In Kärnten schwebte man mit dem attraktiven jungen Landeshauptmann Jörg Haider, der dann nichts anders hinterlassen hat als einen Schuldenberg von 14 Milliarden Euro. Irgendwann, und das kann lange dauern, setzt die Schwerkraft der Realität ein.

Das Erfolgsgeheimnis sogenannter Populisten: die Politik des folgenlosen Dementis

Das macht wenig Hoffnung.

Es ist therapeutisch ziemlich schwierig. Das Ich entwickelt nach Freud drei verschiedene Arten von Ängsten. Es gibt die Realangst in Bezug auf die Realitätsprüfung: Ist die Ampel rot oder grün, muss man berechnen, ob man das noch schafft mit der Straßenüberquerung. Dann gibt es die Angst vor dem eigenen Gewissen, die uns drückt und die manche gerne loswerden würden. Menschen wie Frau Merkel, die die Gewissensverpflichtung repräsentieren, werden dann gern attackiert und ausgelacht als Vertreter des Gutmenschentums oder der Political Correctness. So kann man die Angst vor dem eigenen Gewissen wieder loswerden, daraus entsteht dann Entlastung und die genannte Euphorie. Aber die Angst bleibt – wie das Gewissen.

Und die dritte Angst?

Das ist die vor den eigenen Triebregungen. Die Flüchtlinge werden fantasiert als nach uns gekommene Geschwister, denen plötzlich alles auf dem goldenen Teller serviert wird. Und zwar von der neoliberalen Staats-„Mutti“, die uns, ihre älteren Kinder, im Stich gelassen hat.

Aber es geht doch vielen Menschen tatsächlich schlechter als früher.

Das stimmt – und doch geht es uns noch ganz gut, gerade im Vergleich zu den Flüchtlingen. Der Sozialstaat in Österreich ist eine Realität, in Deutschland sinkt die Arbeitslosenquote, und auch in den USA ist sie nicht so hoch wie von Trump behauptet. Hier überwältigt die neurotische Angst die Realitätsprüfung. Diese Ängste müsste man unterscheiden, aber das macht keiner. Und so bleibt der diffuse Angstknäuel, mit dem wir uns derzeit so schwertun. Das Interessante ist, dass die Realangst und der Realismus dabei auf der Strecke bleiben. Deswegen leugnen alle Neorechten den Klimawandel. Man darf nicht schadenfroh werden – aber auch hier ist die Bauchlandung unvermeidlich.

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