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Alles, was Recht ist

Wenn es um die Ehe als Vollzugsgemeinschaft geht, wird Gerechtigkeit zu einem weiten Feld (streckenweise vermint)  ■ Von Walter Grasnick

Gewalt ist ein gewaltiges Wort. Und überall zu hören. Gewalt wird tatsächlich auch allerorten geübt. Drinnen in der Familie. Und draußen auf der Straße. Hier von Blockierern, die man laufenläßt, wenn es einem gefällt, weshalb und gegen wen sie blockieren. Anderenfalls aber anklagt und verurteilt. Womit allerdings bekanntlich das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Dafür haben wir unsere Bundesverfassungsrichter. Die Päpste in Rot. Im säkularisierten Staat gelten sie vielen als die Bringer des Heils. Doch das war schon in vornachmetaphysischen Zeiten selten zu haben. Soll es jetzt ausgerechnet vom Recht kommen? Zumal keiner so recht weiß, was es eigentlich ist. Aber die Paragraphen in den Gesetzen, die haben doch etwas mit Recht zu tun. Meint man. Und ganz falsch ist es ja auch nicht.

Mithin müssen – vor allem, wenn Gewalt grassiert – neue Paragraphen her. Zumindest eine Verschärfung der alten. Oft ein Kinder- und Köhlerglaube. Zudem eine Stammtischparole. Wie so vieles, wenn es um law and order geht. Bleibt also nur pure Resignation? Wiederum gilt: nicht ganz. Paragraphen können schon helfen. Mitunter. In jedem Falle aber weitaus weniger, als erkennbar viele hoffen.

Und eines der schwierigsten Gebiete, via Gesetz nachhaltig Remedur zu schaffen, ist gewiß das Terrain privater Beziehungen. Ehe und Familie als Operationsfeld des Rechts – das ist ein weites Feld. Streckenweise vermint. Zum Teil durch das Privateste des Privaten. Das sind die religiösen Überzeugungen (§218!) und Common- sense-Glaubenssätze. Mitunter beide miteinander unheilvoll verquickt. Dies nicht zuletzt dann, wenn es um „das Wesen der Ehe“ geht. Ein Wesen freilich, das es so wenig gibt wie das „Wesen des Rechts“ oder der Kunst. Kunst aber „ist“ nur, was Künstler machen. Eine Ehe niemals mehr, als die Partner daraus machen. Und doch gibt es Fälle, in denen der Staat meint, er dürfe das nicht mitmachen. Er müsse eingreifen.

Aber darf er das wirklich? Und wo liegen gegebenenfalls die Grenzen? Doch auch diese liegen nirgends. Sie werden allein von uns bestimmt. Wie alles. Auch Recht und Unrecht. Und somit wäre denn alles beliebig, gälte im Recht wie anderswo der Grundsatz des „anything goes“? Ein drittes und letztes Mal: nicht ganz. Denn wir haben uns durchaus auf Kriterien geeinigt. Das wichtigste trägt einen hehren Namen: Gerechtigkeit.

Auch trotz und nach John Rawls und dessen Jahrhundertwerk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ läßt sich darunter Verschiedenes begreifen. Aber auch hier sind wir uns wenigstens in einem Punkte einig. Gerechtigkeit ist erst erreicht, wenn alle gleich sind, gleich gewiß nicht in allem, doch gleich vor dem Gesetz: wenn gleiche Fälle gleich entschieden werden. Das ist noch längst nicht stets der Fall. Paradigmatisch stehen hierfür Gewaltakte gegen die Frau. Da machte es bislang einen im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Unterschied, ob sie verheiratet war oder nicht. Das soll nun endlich anders sein. Seit Juli dieses Jahres. Da gilt unter anderem ein neuer Vergewaltigungsparagraph, der – es wurde höchste Zeit – Ehefrauen im selben Maße vor Gewalt schützt wie alle anderen Frauen auch. Nicht daß die verheiratete Frau bisher rechtlos gewesen wäre, wenn sich ihr Ehemann an ihr verging, mit ihr gegen ihren Willen geschlechtlich verkehrte. Nur um diese Fälle geht es in diesem Beitrag. „Vergewaltigung in der Ehe“ erfüllte zwar nicht als eigener Tatbestand die Voraussetzung für die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen wegen eines Verbrechens gemäß §177 StGB in seiner bisherigen Fassung. Diesen besonderen Schutz genossen in der Tat allein Frauen, die mit dem Täter nicht verheiratet waren.

Doch da waren und sind noch immer die Vorschriften der §§ 223 ff. und 240 StGB, wonach bestraft wird, wer einen anderen körperlich verletzt und/oder nötigt, und zwar – so in einem für Laien etwas verqueren Deutsch – „rechtswidrig mit Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung“. Immer wieder und allzu gern wurde und wird dabei übersehen, daß eine derartige Nötigung geahndet werden kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu immerhin drei Jahren. So im Regelfall. In „besonders schweren Fällen“ kommt sogar eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren in Betracht. Als ob das Peanuts wären! Wer hätte RichterInnen zu hindern vermocht, im Falle der Vergewaltigung einer Ehefrau durch ihren eigenen Mann darin einen solchen besonders schweren Fall der Nötigung zu sehen? Nur ihr eigenes falsches Bild von dem, was eine Ehefrau in der Ehe erdulden muß.

Das Raster, die Denkschablone aller Rückschrittler bis heute, hat unser höchstes Zivil- und damit auch Ehe- und Familiengericht vorgegeben. Seine unselige Entscheidung ist vor genau 30 Jahren publiziert worden. Ihr Opfer: eine frigide Frau. Die Richter maßen ihr die ehelichen Pflichten zu. Sie verhängten das Gebot, den Beischlaf des Gatten nicht allein bar jeder eigenen Lust zu ertragen.

Es kam noch ärger. Die Ehe, so dekretierten die Richter, forderte nicht nur „eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft“, sie verbiete es zudem, „Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen“. Schon ihre Wortwahl verrät sie. Auch dort, wo sie von der ehelichen Lebensgemeinschaft zu wissen vorgeben, daß „zu deren Vollzug in der Regel die ständige Wiederholung der geschlechtlichen Vereinigung gehöre“. Die Ehe als Vollzugsanstalt. Wer das gelesen hat, braucht keinen „Widerwillen zur Schau zu tragen“. Er empfindet ihn. Und hat zugleich alles Verständnis für die Novellierung des §177 StGB (der heute u.a. auch orale und anale Penetration erfaßt). Auch wenn diese nicht gerade verdient, ein legislatorisches Meisterwerk genannt zu werden. In der juristischen Fachdiskussion werden zu Recht Mängel gerügt. Doch die betreffen primär andere sexuelle eheliche Übergriffe, nicht die eheliche Vergewaltigung. Die wird damit – es ist höchste Zeit – auch im öffentlichen Bewußtsein das, was sie eigentlich immer schon war: ein Verbrechen.

Dagegen verblassen andere Einwände, zumal sie häufig genug heuchlerisch sind. Nur zwei seien erwähnt. Da ist einmal das Raunen von Grauzonen, der vermeintlich kennerische Verweis auf fließende Übergänge. Als wenn wir damit nicht immer zu tun hätten. Nein, die Herren verwechseln Verführung und Vergewaltigung. Zum anderen werden sie nicht müde, Beweisschwierigkeiten anzuführen. Nur: die kennen wir auch bei den „herkömmlichen“ Vergewaltigungen. Schließlich finden auch die im allgemeinen statt, ohne daß ein Dritter zuschaute, so daß bei einem bestreitenden Angeklagten Aussage gegen Aussage steht. Damit werden Gerichte fertig. In dubio pro reo. Und sollten einige fälschlich freigesprochen werden, dann ist das zu verkraften. Besser als das ständige Verharmlosen ehelicher Vergewaltigungen.

Daß das künftig nicht mehr, jedenfalls schlechter als bisher, möglich sein wird, ist das große Verdienst der ReformerInnen. Dazu zählt auch die damit in eins verstärkte oder allererst in Gang gesetzte Aufklärung. Nicht nur vieler, vor allem der gewalttätigen Männer und ihrer Apologeten. Sondern auch derjenigen Frauen, deren Verständnis von ehelichen Pflichten dem der Bundesrichter von 1967 noch heute entspricht.

Nachbemerkung: Soeben sind unter dem Titel „Letzte Fragen“ Essays des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel erschienen. In seinem Beitrag über „Menschenrechte und Öffentlichkeit“ finden sich Passagen, die just für unsere Diskussion geschrieben sein könnten: „Ich bin mir wohl bewußt, daß viele heterosexuelle Männer Frauen hassen und fürchten, daß sie Frauen instinktiv als Untermenschen ansehen ... Ich spreche hier nicht nur von Männern, die Frauen verprügeln oder vergewaltigen, sondern über eine große Zahl von ganz gewöhnlichen Schleimern, die niemals so weit gehen würden, eine Frau anzugreifen. Auf seine Art noch schlimmer ist etwas anderes, nämlich der tückische, unterschwellige Wahn, daß ein Mann zu sein an sich besser ist, als eine Frau zu sein.“

Walter Grasnick ist Oberstaatsanwalt a.D. und lehrt Staatsrecht und Rechtsphilosophie in Marburg

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