: „Alles sorgfältig geprüft“
■ Ein Jugendstil-Haus wird abgerissen, und kaum jemanden juckt's Von Heike Haarhoff
Mit seiner historischen Altbausubstanz geht der Bezirk Mitte nicht gerade zimperlich um. Schon in wenigen Wochen, erfuhren jetzt die verständnislosen Mieter der Bernhard-Nocht-Straße 1, soll das dreistöckige, eigentümliche Jugendstil-Haus mit den runden Erkern den Abrißgelüsten seines geschäftstüchtigen Eigentümers zum Opfer fallen. Auf dem prominenten Eckgrundstück zur Antonistraße – mit Elbblick und in direkter Nähe zum Hein-Köllisch-Platz – wird anschließend die architektonische Neubau-Langeweile samt saftiger Mieten Einzug halten. Der örtliche Widerstand gegen das städtebauliche Trauerspiel hat die politische Wirkungskraft träger Ostermärsche der 90er Jahre.
Ein fünfstöckiges Gebäude aus Backstein und Putz mit rund 40 Wohneinheiten plus Dachgeschoß wird uns künftig am Hafenrand angähnen. Alle derzeitigen Mieter sollen während der Bauzeit in Ausweichwohnungen untergebracht werden. Anschließend – Schutz vor sozialer Verdrängung ist im Sanierungsgebiet oberstes Gebot – können sie in die Bernhard-Nocht-Straße zurückkehren. Was aber im frei finanzierten, nicht mietpreisgebundenen Wohnungsbau tendenziell kostspielig ist. Rechtlich, bedauern Verwaltung, Denkmalschutzamt und Politiker die drohende Schandtat, habe man den Abbruch nicht verhindern können. Die Sanierungskosten für das von Schwamm befallene Haus aus dem Jahr 1910 seien zu hoch, als daß man dem Hamburger Eigentümer Wolfgang P. den Abrißantrag aus wirtschaftlichen Gründen hätte verwehren können, heißt es aus dem Bezirk. „Sie können davon ausgehen, daß wir bei bei jedem Abriß alles sorgfältig prüfen“, betont Werner Koch, Leiter der Bauprüfabteilung, Selbstverständliches. Der Verfall der „Ruine“, kommentiert Grete Kleist leidenschaftslos als Vertreterin der SPD im Stadtplanungsausschuß, sei eben nicht aufzuhalten gewesen. Und: Seien denn ein paar neue Wohnungen an der verkehrsberuhigten Ecke nicht auch „wunderschön“?
„Man hätte wenigstens die Fassade retten können“, sagt das ästhetische Empfinden des Michael Böhlke, der im Erdgeschoß seit zehn Jahren einen Antik- und Flohmarkt betreibt. Die Mieten wären dann zwar wohl auch empfindlich geklettert, „aber was soll ich mich deswegen verrückt machen: Der Einzelhandel läuft hier sowieso schlecht“. Rettung blieb dem Gebäude jedoch vom Denkmalschutzamt versagt: Nach einem gravierenden Kriegsschaden wurde das ehemals fünfstöckige Haus 1952 wieder mit drei Geschossen aufgebaut. „Insofern ist von der Ursprünglichkeit nichts mehr zu sehen“, bedauert Kulturbehörden-Sprecher Ingo Mix. Die Kriterien eines „typischen 50er-Jahre-Baus“ erfülle das Haus ebenso wenig, begründet Mix das tatenlose Zusehen der Denkmalschützer beim Anrollen der Bagger.
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