: Alles ganz normal
TENNIS Angelique Kerber spielt sich bei den Australian Open ins Finale gegenSerena Williams, weil sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat
aus Melbourne Doris Henkel
Es ging ihr bestens, das war nicht zu übersehen. Fröhlich berichtete die Finalistin, Steffi Graf habe eine Nachricht geschickt. Sie spürte die Neugier im Auditorium des Interviewraums und fragte keck: „Wollt ihr wissen, was drinsteht? Soll ich mal kucken?“ Logo. Also warf sie das Handy an und las die Botschaft ihres Idols vor: „Ich gratuliere. Ich freue mich riesig. Lieben Gruß aus Las Vegas.“ Nicht nur in diesem Moment kam es einem so vor, als säße da eine andere Angelique Kerber, glücklich und bemerkenswert entspannt.
Voller Freude, zum ersten Mal in ihrer Karriere das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreicht zu haben, berichtete sie über die Genugtuung, diesmal alles richtig gemacht zu haben. Sie wusste, dass sie die Favoritin im Vergleich mit der britischen Herausforderin Johanna Konta gewesen war. Sie wusste, dass eine Niederlage nach dieser Konstellation wieder zu oft gehörten Kommentaren führen würde. Wie Ende vergangenen Jahres beim WTA-Finale in Singapur, als ihr der Gewinn eines Satzes gegen die Tschechin Lucie Safarova genügt hätte, um im Halbfinale zu landen.
Damals war sie unter dem Druck erstarrt. Wenn es um große Aufgaben gehe, habe sie ihre Nerven nicht im Griff, hörte sie hinterher. Dieses Gefühl sei schrecklich gewesen, erzählte sie am Donnerstag noch mal, sie habe Tage gebraucht, um sich davon zu erholen. Das, hatte sie danach beschlossen, passiert dir nie wieder. Nach dem enttäuschenden Ende einer prinzipiell guten Saison hatte sie auf den Malediven am Strand gehockt und beschlossen, die Zeit sei jetzt reif für die Offensive. Sie formulierte ihre Ziele für die olympische Saison ungewohnt klar, sie wollte es besser machen. „Vier Jahre in den Top Ten – alles schön und gut, aber jetzt muss auch mal was anderes kommen.“ Sie fand, es gebe keinen Grund mehr, sich zu verstecken.
Aber die Theorie ist das eine. Vor dem ersten Spiel in Melbourne war es ihr nicht besonders gut gegangen, weil sie sich doch ein wenig Sorgen machte, dass auch diesmal was schiefgehen könnte. Doch es führte ein Schritt zum nächsten. „In Singapur hab ich dem Druck nicht standgehalten, heute hab ich es geschafft.“
Angelique Kerber
Im vergangenen Jahr hatte sie zwar vier Titel gewonnen, aber bei den Grand-Slam-Turnieren war sie nie über die dritte Runde hinausgekommen. Zu wenig für jemanden mit ihrem Talent, zu wenig für jemanden, der seit Jahren zu den Top Ten gehört. Aber auch zu wenig für ihre eigenen Erwartungen. Sie beschloss, sich dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres so zu nähern, als sei das zwar ein reizvolles Ziel, aber irgendwie doch nichts Besonderes. „Ich hab einfach mein Ding gemacht, nichts Kompliziertes. Ich hab zum ersten Mal im offiziellen Spielerhotel gewohnt, alles ganz normal. Und das ist der Schlüssel.“
Gegen Konta hatte sie auch ein wenig Glück, als ihr die Britin Ende des ersten Satzes mit einem vergleichsweise leichten Fehler die Tür öffnete. Mit dem ersten Satz in der Tasche spielte sie das Ding konzentriert zu Ende und sonnte sich hinterher in einem Gefühl, das sie kaum beschreiben konnte in seiner ganzen Dimension. Natürlich kam das Wort Traum in dieser Stunde vor. Aber in ihrer neuen, entspannteren Herangehensweise findet sie, das sei ja erst der halbe Traum. Der zweite Teil beginnt Samstag mit dem Finale gegen Serena Williams; ihrem ersten und dem 26. der Amerikanerin. Williams stürmte gegen Agniezska Radwanska durch einen furchteinflößend perfekten ersten Satz und einen sehr soliden zweiten (6:0, 6:4), und man kann sich kaum noch erinnern, dass es vor dem Turnier Zweifel an ihrer Form nach der langen Pause Ende vergangenen Jahres gab.
„Ich werde versuchen, Serena zu zeigen, dass ich das Ding gewinnen will“, sagt Kerber, „von Anfang an.“ Sie hat es schon einmal getan, vor vier Jahren beim Turnier in Cincinnati, und das sogar in zwei Sätzen. Trainer Torben Beltz, der sie am Donnerstag mit Tränen in den Augen siegen sah, kann sich ans Spiel in den USA gut erinnern. Das sei damals ein Superspiel gewesen. „Sie muss so rausgehen und voller Power spielen wie gegen Asarenka, dann hat sie auch’ne Chance. Ich hoffe, dass sie das zeigt.“ Genau das hat sie natürlich auch im Sinn, aber sie will dieses ganz besondere Spiel auch in allen Aspekten erleben. Vom Moment, in dem sie durch den Torbogen kommend die voll besetzte Rod Laver Arena betreten wird, bis zur Siegerehrung – das komplette, lang ersehnte Programm.
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