: „Alle lesen meine Bücher“
■ Der amerikanische Drehbuchautor Syd Field hält dieses Wochenende ein Drehbuchseminar in West-Berlin. Fields Bücher übers Drehbuchschreiben, „Screenplay“ und „The Screenwriter's Workbook“, sind Bestseller in Amerika. Gerd Midding sprach mit ihm.
taz: Wie waren Ihre bisherigen Erfahrungen mit Drehbuchseminaren in Deutschland, auch im Vergleich zu anderen Ländern?
Syd Field: Die Deutschen gehen von sehr intelligenten Ideen aus, aber sie klammern sich zu sehr daran. In den USA ist das gar nicht so anders, aber interessanterweise gibt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern: Die Frauen sind wunderbar aufgeschlossen und assimilieren neue Ideen sehr schnell. Den Männern widerstrebt das zunächst, sie kämpfen gegen neue Ansätze und lassen sich erst allmählich überzeugen. Ich mußte mit den Deutschen wirklich um jeden Handbreit kämpfen, so überzeugt waren sie davon, daß ihre Herangehensweise die einzig richtige sei. Bis ich sie schließlich fragte: „Wenn Sie so sehr von Ihrer Methode überzeugt sind, warum verschwenden Sie dann Ihre Zeit und Ihr Geld, um mir zuzuhören?“ Man muß seine alten Methoden verlernen, wenn sie nicht funktionieren.
Die größte Befriedigung bereitet es mir, wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Seit einem Jahr hab‘ ich festgesteckt an diesem Problem, und nun endlich habe ich die Lösung gefunden!“ Genau das ist mir in Norwegen passiert. Ein Schauspieler und Regisseur aus Lappland, Nils Gulp, kam mit seinem Drehbuch Pathfinder einfach nicht voran. Dann las er mein zweites Buch, The Screenwriter's Workbook. Nils erzählte mir, er habe das Drehbuch mit der rechten Hand geschrieben, und in der linken hatte er ständig mein Buch. Der Film Pathfinder, der übrigens ganz großartig ist, ist also ein umittelbares Resultat meines Buches. In Europa geht man anders an die Konstruktion eines Drehbuches heran als in Amerika. In Frankreich geht man beispielsweise von einem intellektuellen Grundgedanken aus, für den man dann ein dramatisches „Transportmittel“ findet. Man schreibt das Buch also in erster Linie um dieser intellektuellen Grundidee willen. Ich mag dies vielleicht zu sehr verallgemeinern, aber ich denke, für Deutschland gilt dies auch.
Welches sind Ihre ersten Eindrücke von den spezifischen Problemen deutscher Autoren beim Drehbuchschreiben?
Ich glaube, das sind vor allem zwei Probleme. Erst einmal wissen viele Autoren nicht, was eine Story ist, wie man sie aufbaut und entwickelt, zweitens gehen sie von Situationen aus, die oft ganz wundervoll sind, aber sie wissen nicht, wie sie sie weiterführen und auflösen sollen. Oft sind das Situationen, die gerade für einen halbstündigen Film ausreichen.
Ist es in einem Land mit einer solch dominierenden literarischen Tradition wie Deutschland nicht besonders schwierig, das Vertrauen in visuelle Ausdrucksmöglichkeiten zu lehren?
Exakt, exakt. Aber das ist auch in Amerika ein Problem. Die Kunst des Drehbuchschreibens ist mit keiner anderen zu vergleichen, am ehesten vielleicht noch mit der Poesie. Diese Kunst besteht darin, Stellen zu finden, in denen Stille und Schweigen mehr ausdrücken als Worte. Außerdem muß man sich auf dasVerhalten der Figuren konzentrieren, denn das ist etwas, was sichtbar ist, und den Charakter einer Figur enthüllen kann. Denken Sie an Jake Gittes (Jack Nicholson) in Chinatown: Er ist immer tadellos gekleidet, trägt blütenweiße Anzüge, frischgebügelte Taschentücher und Maßschuhe. Vom Gehalt eines Polizisten hätte er sich das im Los Angeles der dreißiger Jahre nicht leisten können. Das verrät uns also eine Menge darüber, weshalb Jake Gittes kein Polizist mehr ist, sondern ein Privatdetektiv.
Auch in den USA passiert es mir in den Seminaren immer wieder, daß die Teilnehmer ihre gesamte Geschichte in den Dialogen erzählen wollen. Das kann man in einem Theaterstück machen, aber doch nicht in einem Film! Filme erzählt man, indem man visuelle Details allmählich akkumuliert: eine tickende Uhr, ein Mann geht eine Straße entlang, ein Wagen biegt um die Ecke, eine Hand bewegt eine Türklinke, jemand wacht auf, weil er in der Küche ein Geräusch gehört hat usw.
Zuerst neigt man beim Drehbuchschreiben zu Dialogen, die alles erklären, die nichts offen lassen. Tatsächlich sprechen Menschen aber nicht so direkt miteinander, bei jedem Gespräch gibt es einen „Subtext“: Die entscheidenden Dinge bleiben unausgesprochen.
Dazu fällt mir ein Ausdruck aus dem Billiard ein, mit dem der Regisseur Howard Hawks seine Dialogtechnik beschrieb: „Three-cushion-dialogue“, zuerst berührt man eine Bande, dann die zweite, schließlich eine dritte, um zum Ziel zu kommen.
Das ist eine sehr schöne Metapher, sie verweist auf das, was den Film zu einer so großartigen Kunstform macht: daß er auf drei Ebenen gleichzeitig funktioniert, auf einer direkten, visuellen, auf einer intuitiv-emotionalen und schließlich auf der Ebene der Worte, die nicht ausgesprochen werden.
Glauben Sie nicht, daß einige Ihrer Denkmodelle in Europa auf starken Widerstand stoßen werden? Angesichts der Tatsache, daß in Hollywood das Happy-End in den achtziger Jahren wieder in Mode gekommen ist, raten Sie jungen Autoren: „Think positive!“ So etwas wirkt auf uns sehr opportunistisch.
Das ist eine Frage der Einstellung; ich selbst war bis zu meinem 35.Lebensjahr die negativste Person, die ich kannte. Dann habe ich meine Einstellung geändert.
Ich nehme an, Ihre Bücher werden in den Chefetagen der major studios sehr geschätzt?
Jeder in der Hollywood-Industrie kennt die Bücher. Die sind zu einer Art Bibel geworden, die man auf dem Schreibtisch liegen hat und in die man ständig mal hineinschaut. Mein Begriff „Plot point“ ist inzwischen in die Umgangssprache eingegangen, es wird nicht lange dauern, bis er in den ersten Lexika auftaucht. Ich prüfe, ob ich mir das Copyright daran sichern kann!
Als ich für mein neues Buch Interviews sammeln wollte, war ich überrascht, wie bereitwillig mir jedermann Termine gab, denn alle lieben meine Bücher. Vielen Produzenten und executives haben sie geholfen, Drehbücher zu lesen und zu verstehen. Viele Schauspieler kommen in meine Seminare, weil es ihnen hilft, den Charakter einer Rolle aufzubauen. Ich hatte schon ganze Storydepartments in meinen Seminaren, die lernen wollten, wie sie mit den Autoren umzugehen haben. Denn der Mangel an Kommunikation zwischen den Studios auf der einen Seite des Tisches und den Autoren auf der anderen ist fatal. Die Produzenten müssen lernen, mit den Autoren in deren Sprache zu sprechen, um die Ergebnisse zu erzielen, die sie haben wollen. Jerry Bruckheimer und Don Simpson, die Produzenten von Flashdance, Top Gun und anderen Filmen, erzählten mir, das Fatalste sei, wenn ein Produzent eine eigene Vision von Film hat, der Regisseur eine eigene und der Autor ebenfalls.
Geraten Sie, weil sich auch Produzenten die Ergebnisse Ihrer Bücher dienstbar machen können, nicht sehr stark zwischen die Fronten? Viele Drehbuchautoren klagen doch darüber, daß jeder in Hollywood, egal ob Regisseur, Produzent oder Studiomanager, glaubt, er könne Drehbücher schreiben.
Sicher, darüber klagen viele Autoren, gerade auch, als ich Interviews für mein neues Buch sammelte. Das Drehbuch wird immer als die niedrigste Sache angesehen. Hat der Autor sein Skript erst einmal abgegeben, fühlen sich die Produzenten ihm gegenüber augenblicklich unwohl: Es ist ihnen am liebsten, wenn der Autor sich verabschiedet und nie wieder etwas von sich hören läßt. Aber vergessen Sie nicht: Ohne die Arbeit des Autors läuft gar nichts. Der Drehbuchautor verschafft jedem in Hollywood Arbeit: Der Produzent kann nichts produzieren ohne ein Drehbuch, der executive kann die Produktion nicht überwachen, der Regisseur hat nichts, was er in Szene setzen kann, der Schauspieler hat nichts, was er spielen kann. Ohne Drehbücher hätte niemand in Hollywood einen Job.
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