: Alle Sportler sind gleich – aber manche sind gleicher
■ Der IOC-Kongreß beschließt wie erwartet einen faulen Kompromiß: Die zweijährige Mindeststrafe für Dopingvergehen gilt nicht bei „besonderen, außerordentlichen Umständen“
Wenn es ums Doping geht, benehmen sich die internationalen Sportfunktionäre wie Radfahrer auf dem Heimtrainer: sich bewegen, ohne voranzukommen. „Eine große Aufgabe der Anti-Doping- Kampagne ist es, die internationale Harmonisierung sicherzustellen, nicht nur zwischen den Sportarten, sondern auch zwischen den Ländern.“
Dieser Satz ist mitnichten bei der Dopingkonferenz des IOC in den letzten drei Tagen in Lausanne gefallen, sondern eine Formulierung aus den Erläuterungen zur Anti-Doping-Konvention, die der Europäische Rat 1989 in Straßburg verabschiedete. Zehn Jahre später gibt es nach wie vor die gleiche Vielfalt von Vorgehensweisen und Regelungen in den verschiedenen Ländern und Sportarten.
In Lausanne machte das Wort von der Harmonisierung erneut die Runde. Aber die Debatten im Beaulieu-Palast zeigten deutlich, warum in der letzten Dekade so wenig passiert ist: Hartnäckig kämpften die Sportverbände gegen Versuche von Regierungsvertretern, Regeln für ein Fair play in den Stadien und auf den Rennpisten durchzusetzen.
Solche Vorschläge gelten als unbefugte Einmischung in innere Angelegenheiten. Und so waren bei jeder radikalen Forderung sofort die Verwässerer am Werk – allen voran Thomas „Ich mache es allen recht“ Bach und Walther Tröger, die beiden kompromißlerischen IOC-Mitglieder aus Deutschland.
Bestes Beispiel für die Weichspülmentalität im Weltsport ist das Gezerre um die Zweijahressperre für Ersttäter, die der Einnahme von harten Dopingmitteln wie Anabolika, Wachstumshormonen oder EPO überführt werden. Ende November vom schwedischen Doktor Arne Ljungqvist in ein Agreement zwischen IOC, internationalen Verbänden und Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) eingebracht, wurde dieses Strafmaß vor allem von Sportlerseite begrüßt. „Zwei Jahre ist ein guter Standard“, sagte in Lausanne der ehemalige Ruderer Roland Baar, inzwischen gewähltes Mitglied der Athletenkommission des IOC. Und auch die europäischen Sportminister machten sich die Forderung zu eigen.
Nur die Verbände der Fußballer und Radfahrer stellten sich quer: Den Fifa-Oberen geistern Schreckensbilder von einem nach leichtem Mißgriff des Teamarztes zweijährig tatenlosen Ronaldo oder Zidane durch den Kopf, die Radler fürchten nach den Erfahrungen des letzten Jahres, daß sie bei strengerem Regelwerk niemanden mehr finden, der die Tour de France überhaupt mitfahren darf.
Von den nordamerikanischen Basketball- und Eiskockey-Profiverbänden NBA oder NHL, deren Topstars Olympia den nötigen Glamour verleihen sollen, spricht vorsichtshalber sowieso niemand. Alle wissen, daß die NBA einen Shaquille O'Neal, selbst wenn er Stanozolol schwitzt und sein Hämatokritwert hundert Prozent beträgt, nicht für zwei Jahre sperren würde.
Kurz vor der Konferenz hatte sich die deutsche Delegation noch auf die klare Aussage geeinigt, daß „eine Mindeststrafe bei einem ersten Verstoß zwei Jahre nicht unterschreiten“ soll. Und Leichtathletikpräsident Primo Nebiolo hatte vollmundig verlangt, Verbände von den Olympischen Spielen auszuschließen, wenn sie eine solche Regelung nicht akzeptieren.
Doch in Lausanne war von alledem plötzlich keine Rede mehr. Unter dem Vorwand rechtlicher Nichtdurchsetzbarkeit wurde die strikte Mindeststrafe gekippt. Der versierte Umfaller Nebiolo sorgte außerdem für eine weitere Durchlöcherung, indem er Ausnahmen für „außerordentliche Umstände“ ins Spiel brachte. Thomas Bach sekundierte, indem er ein juristisches Scheitern beschwor, was der deutsche Innenminister und Jurist Otto Schily kurz zuvorher ins Reich der Fabel verwiesen hatte. Und zwei Jahre Sperre für Fußball- und Radprofis erhob Bach gar zum Verstoß gegen die Menschenrechte.
„Entsetzt“ äußerte sich der Ex- Ruderer Roland Baar über die Aufweichung der Regel, die es den Verbänden weiter erlaubt, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Auf den Punkt brachte die Farce Englands IOC-Mitglied Prinzessin Anne: „Wer Angst vor ein paar Sportlern mit guten Anwälten hat, läßt die Mehrheit unserer Athleten im Stich.“
Doch auch Helmut Digel, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), reihte sich schließlich in die Reihen der Gesundbeter ein, obwohl er vorher vehement dafür gekämpft hatte, „daß ein Fußballer nicht anders behandelt wird als ein Kanute oder Skifahrer“. Immerhin sei eine Regelstrafe von zwei Jahren beschlossen worden, welche die Verbände „nicht mehr ganz so einfach aushebeln“ könnten. Am Schluß bezeichnete Digel den windigen Beschluß mit den ominösen „außerordentlichen Umständen“ sogar als „Riesenfortschritt“.
Bleibt die Frage, ob die europäischen Sportminister das auch so sehen. Für diese hatte Otto Schily am Dienstag deutlich gemacht, daß sie rigoros auf einer allgemeinen Mindeststrafe von zwei Jahren bestehen. Aber vielleicht hat der kurze Aufenthalt in Lausanne ja gereicht, die IOC-eigene Liebe zum faulen Kompromiß auch auf die Politiker zu übertragen. Ganz fremd sind denen derartige Neigungen schließlich nicht.
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