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Alkoholverkauf in WarschauPolnische Prohibition

In vielen Orten Polens darf nachts kein Alkohol mehr verkauft werden. Jetzt zieht auch Warschau nach - vorerst nur in zwei Stadtvierteln.

Warschau hat neue Vorschriften erlassen, die den Verkauf von Alkohol in zwei Stadtbezirken zwischen 22 Uhr und 6 Uhr verbieten Foto: Jaap Arriens/imago

N ächtliche Saufgelage, grölende Besoffene und Scherben zerbrochener Wodkaflaschen vor der eigenen Haustür – davon haben die meisten Polen die Nase voll. In den letzten Jahren haben daher mehr als 180 polnische Städte und Gemeinden ein nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol eingeführt.

Seit November ist auch Polens Hauptstadt Warschau dabei, wenn auch zunächst nur in den Stadtteilen Mitte und Praga-Nord auf der rechten Weichselseite. Sollte das Verbot tatsächlich zu mehr Nachtruhe, Sicherheit und Ordnung führen, soll es ab Juni 2026 in ganz Warschau zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr früh gelten. Betroffen wären alle Lebensmittelläden, die oft bis kurz vor Mitternacht geöffnet sind, die 24-Stunden-Alkoholläden und die Tankstellen, die mit Alkohol oft mehr Geld verdienen als mit Benzin und Diesel.

Im fahlen Licht der Straßenlaterne stehen ein paar Studenten vor dem Alkohole24-Laden an der Unabhängigkeitsallee in Warschau. Hier gilt das Verbot noch nicht. Sie sollen Nachschub holen für eine Party. Aber an der geschlossenen Tür klebt ein handgeschriebener Zettel: „Bin gleich zurück!“ „Wahrscheinlich hat der kein Klo in seiner Bude“, sagt Marcin und sucht mit den Augen die Straße ab. „Ja“, meint Filip, „der kommt sicher gleich zurück.“

Beide sind Mitte zwanzig und dick eingemummt. Es ist eisig kalt. Am Vortag ist Schnee gefallen. „Wie viel Zeit geben wir ihm“, fragt Marcin und tritt von einem Bein aufs andere. Er trägt zwar eine dicke Daunenjacke, aber nur Turnschuhe. „10 Minuten, höchstens 15“, sagt Filip und versucht, ins Innere des Ladens zu linsen. „Wenn er dann nicht zurück ist, gehen wir ins Żabka oder in den Carrefour Express an der Metro. Da ist es zwar teurer, aber ich will hier auch nicht anfrieren“, sagt Filip. Er läuft ein paar Schritte auf dem Gehweg auf und ab. „Wenn wir hier auch schon Prohibition hätten, wären wir jetzt aufgeschmissen“, sagt er.

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Viele Warschauer für ein nächtliches Alkoholverbot

Erst waren die Warschauer Stadträte von der Idee eines nächtlichen Verkaufsverbots für Alkohol gar nicht angetan, obwohl die Idee vom liberal-konservativen Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski stammte. Bei der Abstimmung stellten sich seine eigenen Parteifreunde von der Bürgerkoalition KO gegen ihn und verteidigten die „Freiheit der Bürger“.

Doch dann zeigte sich in Umfragen und vielen Protestbriefen, dass die meisten Warschauer die Idee Trzaskowskis unterstützen. Am 15. Oktober kam es zu einer erneuten Abstimmung, und dieses Mal stimmten die Stadträte dafür.

Da die meisten Städte positive Erfahrungen mit dem Alkoholverbot machen, wird wohl auch Warschau im nächsten Jahr das Verbot auf die ganze Stadt ausdehnen. Wenig begeistert davon sind die Eigentümer der Alkohole24- und Monopol-Verkaufsstellen. Sie machen den meisten Umsatz nachts, wenn die anderen Läden geschlossen sind. Auch die Tankstellenbetreiber fürchten um Einbußen.

Positive Aspekte des Verkaufsverbots überwiegen

Aber einige haben schon Mittel und Wege gefunden, das Verbot zu umgehen. Gaststätten und Bars können weiterhin Hochprozentiges verkaufen, wenn der Alkohol vor Ort getrunken wird oder die Gäste zumindest dazu aufgefordert werden. Sollten die Kunden die Flaschen dennoch mitnehmen, wäre das legal. Das einzige, was die Verkaufsstellen tun müssen, ist, ihre „Bar“ offiziell anzumelden – sie wäre dann von 22 Uhr abends bis 6 Uhr früh geöffnet.

Ideen zur Gesundheitsvorsorge und Bekämpfung des in Polen weit verbreiteten Alkoholismus wurden in den Stadträten zwar diskutiert, doch darum müssten sich Regierung und Parlament kümmern. Die nächtliche Prohibition wird aber wissenschaftlich begleitet. Bislang überwiegen die positiven Aspekte.

Marcin und Filip streichen nach einer Viertelstunde Warten die Segel und gehen zum Lebensmittelladen Żabka. Die Auswahl ist riesig: eine ganze Regalwand mit Bier, eine zweite mit Wodka. Wein scheint weniger gefragt. Auch die Jungs wollen Bier. „Drei Flaschen Żywiec, bitte“, bestellt Marcin. „Für mich auch“, sagt Filip.

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Auslandskorrespondentin Polen
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1 Kommentar

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  • Anekdote: Silvesterfeier in einer sehr schönen polnischen Großstadt. Nach bundesdeutschen Maßstäben äußerst fein gekleidete Menschen hatten auf dem Tisch einen halben Liter Orangensaft für alle und eine Literflasche Wodka, und ich meine, nur der Wodka war nachher alle.



    Alkohol kann die Illusion von Verbindung schaffen, ablenken von der Realität, zuweilen auch schmecken, doch gesund ist etwas anderes. Sobald KRankheit und Kontrollverlust einsetzen, sollte auch das Überlegen einsetzen, wie soziale und gesetzliche Grenzen da gegenhalten. Ein Nachtverbot klingt da völlig zumutbar.