Alkoholmissbrauch russischer Geistlicher: Göttliche Fahrerflucht
Immer häufiger verursachen orthodoxe Popen in Russland im Vollrausch schwere Unfälle. Die Strafen fallen eher moderat aus.
MOSKAU taz | Alexej war noch benommen, als ihn die Verkehrspolizei befragte. Gerade hatte er mit seinem BMW Z 4 Cabrio sieben Fahrbahnen quer genommen und war mit überhöhter Geschwindigkeit in einen VW Touareg gerast, der sich in einen Toyota Corolla schob. Von Glück konnte er sagen, dass niemand zu Schaden gekommen war. Doch Sprechen fiel dem Mann schwer. Ärzte, die sich zufällig vor Ort aufhielten, vermuteten, der Fahrer sei schwer betrunken gewesen. Allein konnte er nicht mehr auf den Beinen stehen.
Die Verkehrswächter staunten nicht schlecht, als sich herausstellte, wer sich hinter Alexej Podowedow noch verbarg: Igumen Timofei, Oberpriester der orthodoxen Kirche und vor kurzem noch bischöflicher Sekretär. Er ist kein unbekannter Geistlicher. Regelmäßig tritt er in Fernseh-Shows als Experte auf. Im vergangenen Sommer verteidigte Igumen das Urteil gegen die Frauenpunkband Pussy Riot noch vehement.
Schon am Unfallort tauchten Timofeis Helfer auf und schraubten die Nummernschilder vom Auto ab. Dass der Vorfall aktenkundig wurde, ist der Fahrerin des Touareg zu verdanken. Sie schaltete die Medien in der Vorahnung ein, die Sache würde unter den Teppich gekehrt.
Das wäre dann auch fast passiert. Bei der Gerichtsverhandlung gegen Timofei räumte die Polizei ein, dass das Beweisvideo vom Unfallort gelöscht worden sei – angeblich von einem Virus. Das Gericht entzog dem Oberpopen, der auch noch den Alkoholtest verweigert hatte, den Führerschein für lediglich 18 Monate.
Ein unglücklicher Autofahrer ist auch der Mönchspriester Ilia mit weltlichem Namen Pawel Semin. Vor ein paar Wochen raste er mit einem weißen Mercedes-Geländewagen in eine Baustelle. Zwei Personen starben, mehrere wurden zum Teil schwer verletzt. Der Gottesdiener beging Fahrerflucht. Er war zwar betrunken, konnte aber noch gehen. Semin saß vorübergehend in dem Gefängnis, wo er vorher Gottesdienst gehalten hatte.
Nicht nur unmoralisch, sondern auch lächerlich
Die Öffentlichkeit registriert derartige Vorfälle inzwischen sehr aufmerksam. Zum einen, weil sie sich wundert, woher die Kleriker das Geld für solche Luxusschlitten haben. Zum anderen, weil sich abzeichnet, dass nach den Machthabern nun auch kirchliche Würdenträger dem Gesetz nicht mehr unterworfen sind.
„Für viele Priester ist der Wagen ein Statussymbol, wodurch sie ihr Selbstwertgefühl zum Ausdruck bringen“, meint Georgi Mitrofanow, Professor an der Geistlichen Akademie der Orthodoxie in Sankt Petersburg. Ein Pope in einem teuren Auto sei jedoch nicht nur unmoralisch, er mache sich auch lächerlich. Viele junge Popen verbinde wenig mit dem Christentum. Daher seien sie auch keine Vorbilder.
Dass sich junge Leute nach dem Staat nun auch der Kirche immer häufiger aus merkantilen Gründen zuwenden, stellten Soziologen seit längerem als Trend fest. Die Welle der priesterlichen Entgleisungen reißt unterdessen nicht ab. Erst kürzlich machte Oberpriester Sergej Frunsa von sich reden, der zwei Rentnerinnen mit Fäusten traktierte, weil sie sich beschwerten, nachdem er ihnen die Vorfahrt genommen hatte.
Mitrofanow klagt über Kulturlosigkeit. Sie sei beileibe aber nicht nur eine Erscheinung in den unteren Rängen. Dem würde der Patriarch der Orthodoxen Kirche Kirill sicherlich ganz entschieden widersprechen. In seinem Fuhrpark ist mittlerweile der Maybach das favorisierte Fortbewegungsmittel.
Vater Igumen klagt inzwischen gegen den Entzug seines Führerscheins. Als Geschäftsmann im Nebenberuf ist es für ihn ja auch entscheidend, mobil zu bleiben. Sein Unternehmen Sodeistwije (Beistand) produziert religiöse Souvenirs, ist bei „Finanzvermittlungen“ behilflich und bietet Transporthilfen im „Luft- und Raumfahrtbereich“ an.
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