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Alice SchwarzerDrama Feminismus

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Alice Schwarzers neues Buch gibt "Die Antwort" auf Diätenterror und Arschficksongs. Es trifft einen Nerv - trotz viel alter Polemik.

Drama-Queen gegen Kleidergröße "zero" Bild: dpa

A lice Schwarzer ist mit ihrem markigen Basis-Feminismus immer zur Stelle, wenn in der Öffentlichkeit eine kräftige weibliche Stimme gefragt ist - einfache Feindbilder inklusive. "Die Antwort", ihre aktuelle Zeitdiagnose, ist wieder eine merkwürdige Mischung aus dringend gebrauchter Schlagkraft und alten, etwas kruden Thesen.

Haben sehr viele Feministinnen sich produktiv verunsichern lassen, von neuen Männern, die das alte Feindbild bröckeln lassen, von der Entmündigung, die vom Opferdiskurs ausgehen kann, von der Imagekritik, die jüngere Frauen üben - Alice Schwarzer hat all dies nie angefochten. Das ist eine Stärke, wenn es heißt, einfach mal wieder kräftig dazwischenzuhauen. Und die Zeit dazu ist gekommen. Zugleich aber verursacht eine solche Brachialstrategie Kollateralschäden bei allen Themen, denen man nur mit Differenzierungen wirklich gerecht werden kann.

Die Stärken von Schwarzers Buch: Einige der von ihr selbst zu Tode gerittenen Themen sind durch neue Fakten wieder aktuell. So gibt es mittlerweile eine Inflation von Gewaltpornografie. Schwarzer hat diese früher extrem dramatisiert - jetzt hat sich die Lage wirklich zugespitzt und verlangt Erörterung. Schwarzers Dauerthema Diätenterror steht ebenfalls wieder auf der Agenda, nachdem die Modeindustrie mittlerweile bei der Kleidergröße "Zero" angelangt ist. Nun also sehen wir etwas verlorene Töchter zwischen Girlie-Ego und Mädchenzeitschriften, denen mit einer guten Portion Feminismus wirklich zu helfen wäre. Schwarzer liefert ihn, unerschrocken wie immer, und das ist gut so.

Aber das Kraftpaket Schwarzer bekommt man nie ohne seine Kehrseite. Sie ist Drama-Feministin - und das hat seinen Preis. In ihren Holzschnitten vom Islam hat Chomeini allen Musliminnen auf der Welt ein für alle Mal das Kopftuch an die Schläfen gehämmert - muslimische Feministinnen mit Tuch werden nur noch die Augen verdrehen. Das Kopftuch ist für Schwarzer noch schlimmer als "die westliche Nuttenmode" - man ahnt, warum die FAZ ihr Buch mit Freuden vorab druckte.

Auch beim Thema Sexualität wird die Dramatisierung unseriös: Pornografie setzt sie mit Gewaltpornografie gleich, Prostitution vermischt sie mit Zwangsprostitution und Menschenhandel. Freier sind "Nekrophile, die sich an sozial toten Frauen vergehen". Beziehungsgewalt gegen Frauen ist etwas, dem nur wenige "entkommen". Mit anderen Worten, die Sexualität ist ein Geschlechterschlachtfeld.

Zugleich muss aber auch Schwarzer zur Kenntnis nehmen: "SexualforscherInnen konstatieren eine herrschaftsfreiere Sexualität, auch zwischen den Geschlechtern." Hm. Sicher kann man diese Diskrepanz damit erklären, dass Fortschritt immer auch Backlash erzeugt. Doch die Pauschalität von Schwarzers Anklagen wirkt, wenn die Realität eben so unterschiedlich ist, zu grob.

Ihre Verzerrungen reichen bis zu glatten Fehlinformationen: So ist etwa für eine Abtreibung in der Tat eine Beratung obligatorisch. Doch keineswegs muss die Beraterin der Abtreibung zustimmen, wie Schwarzer behauptet. Ganz so arg wie in Alices Horrorland ist es eben doch nicht immer.

Diese Ungenauigkeiten sind bedauerlich, weil Schwarzer auf so viele Punkte hinweist, die eine Skandalisierung tatsächlich nötig haben. Da gelingt ihr auch der Brückenschlag zu jüngeren Frauen - nicht zuletzt, weil Schwarzer sich menschlich macht: Ja, auch sie hat diverse Diäten hinter sich.

Mit ihren klassischen Übertreibungen dürfte sie allerdings die intelligenten jungen Damen verprellen, die sich doch gerade heute einen neuen Feminismus wünschen. Ja, leider liegt der Verdacht nahe, diese Frauen wünschten sich wegen Alice Schwarzer einen neuen Feminismus. Das ist schade. Alice Schwarzer nämlich kann auch der neue Feminismus gut gebrauchen.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

1 Kommentar

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  • G
    Gast

    Liebe Frau Oestreich,

     

    "...muslimische Feministinnen mit Tuch werden nur noch die Augen verdrehen."

     

    Können Sie bitte einmal erläutern, was Sie damit eigentlich sagen wollen? Mag ja sein, daß es in islamischen Ländern Frauen gibt, die diplomatisch versuchen, mehr Rechte für sich einzufordern, und das Kopftuch aus Opportunismus tragen. Aber an diese richtet sich das Buch Schwarzers ja nicht. Schließlich geht es um die Stellung der Frau in der Bundesrepublik.

     

    Die Voraussetzung für einen wie auch immer gearteten Emanzipationsprozeß ist Bildung. Kein gebildeter, intellektueller Kopf verhüllt diesen jeden Tag obligatorisch mit einem Tuch, um den Trieb des anderen Geschlechts nichts zu provozieren, und das Ganze unter der Annahme, es gäbe einen Gott, zudem einen Gott, der sich so etwas ausgedacht hat.

    Der Ausspruch "feministische Islamistin" ist schon ein Widerspruch in sich selbst - so wie feministische Katholikin. In dem Moment, wenn ich Feminist bin, bin ich nicht mehr katholisch. Das hat Konsequenzen. Gleiches gilt für das Zölibat, die Abtreibung, Homosexualität etc. Entweder bin ich katholisch, dann unterwerfe ich mich diesen Regeln, denn es geht nicht um Logik, Gerechtigkeit, Wahrheit, sondern ausschließlich um Glaube. Und warum glauben die Menschen? Weil sie mit der Sterblichkeit nicht zurechtkommen. Es geht nicht so sehr um Bequemlichkeit als um eine schlüssige Antwort. Und für diese Antwort zahlen viele Menschen gern einen sehr hohen Preis. Indem sie eben glauben, also z.B. katholisch sind. Will ich mit den ganzen Einschränkungen aber nicht mehr leben (weil mir Bequemlichkeit wichtiger ist als Visionen oder schlicht, weil ich etwas anderes glaube oder meinen Seelenfrieden woanders finde), bin ich nicht mehr katholisch. Ein Reformieren von innen ist Selbstauflösung, es ist Unfug. Die Frauen brauchen eine Konspiration, keinen Opportunismus. Erreichen könnten Frauen etwas, wenn sie im Sinne von Aristophanes (Lysistrata) einmal zusammenhalten würden (Wenn also in den Kernländern Europas (D, F, I) plus Spanien die Frauen einmal millionenfach aus der katholischen Kirche austreten und die Millionen Helferinnen ihren Dienst verweigern würden, damit die Männer den Schaden Ihres Chauvinismus leibhaftig zu spüren bekämen (Die heilende Wirkung des Schmerzes, sozusagen). Das tun sie aber nicht. Und Ihnen, liebe Frau Oestreich, ist eine eitle Spitze auch wichtiger als Frauensolidarität. Sie unterstellen, es gäbe hierzulande Tausende (also ein beachtlicher und damit bemerkenswerter prozentualer Anteil, ansonsten hätte sich der Hinweis erübrigt) von Feministinnen unter Kopftüchern. Ich weiß ja nicht, wo sie leben, aber ganz sicher nicht in einem sogenannten Türkenviertel. Von den Kopftuchträgerinnen hier in Köln-Mülheim hat und macht keine einzige Abitur, die Universität ist nicht einmal ein Gedanke. Viele der Hiergeborenen sprechen weder Deutsch noch Türkisch fließend. Von Englisch, Französisch, Latein kann überhaupt keine Rede sein. Die jungen Frauen werden verpackt und befruchtet, aufbewahrt und verdingt. In ihren Augen liest man Blödsinn, Apathie, Resignation und bei den frisch Verhüllten Neid und Bitterkeit. Angst macht Kopftuch. Das ganze öffentliche Leben der Türken hier besteht nur aus Männern, es gibt überhaupt keine Frauen, nicht in den Vereinen, nicht in den Cafes. Sie können hier nicht in ein türkisches Cafe gehen und mit einer Frau diskutieren. Und auch sonst: Ich weiß nicht, was Sie für eine Wahrnehmung haben. Das Kopftuch ist nicht einfach eine Schikane, eine Lappalie. Hier in Köln treffen Sie türkische Kopftuchträgerinnen weder in der Oper noch im Theater, in der Philharmonie, im Museum, bei Vorträgen oder Sportveranstaltungen, in der Gastronomie, bei Volksfesten oder im Kino. Und ab einem bestimmten Alter nicht einmal mehr im Park mit Freundinnen, die kein Kopftuch tragen. Kopftuch ist Bücken: Inschallah! Die Frau sitzt zu Hause bei der Brut. Die Weibchen werden dumm gehalten, damit sie nicht aufmucken; denn die Männer wissen: Bildung ist der erste Schritt einer Emanzipation. Ihnen, Frau Oestreich, ist, glaube ich, überhaupt nicht klar, wie zynisch Ihr Spruch ist, und Ihnen ist wohl auch nicht klar, daß weit über 90% der Frauen, von denen hier die Rede ist, Ihre Zeitung gar nicht lesen können oder lesen dürfen. Sie meinen wahrscheinlich, nur ein bißchen mit Ihrer spitzen Zungen geschlängelt zu haben, um der alten Dame und der FAZ eins auszuwischen. Aber Ihre Ignoranz, Ihre Naivität ist ungeheuer verletzend. Und noch etwas: Ist ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, daß Menschen ihre Unterdrückung verteidigen aus Angst vor noch mehr Repressalien. Angst macht Kopftuch. Wenn man Ihren Artikel liest, hat man das Gefühl, daß Sie nicht die geringste Vorstellung davon haben, was Angst überhaupt ist; und daß der Terror nicht nur von Männern ausgeht, sondern auch von anderen Frauen. Ihr Sprüchlein ist ein kleiner Beitrag dieses Terrors, aber ich fürchte, daß Sie das nicht verstehen werden.

     

    Grüße

    [Gast]

     

    ps der neue Internetauftritt der taz ist Murks. Wenn Sie sich entscheiden müssen, ob Sie mir antworten oder ob Sie sich für das alte Design von taz.de stark machen, wählen Sie bitte letzteres. Der angerichtete Schaden ist immens. Und/Oder schreiben Sie bitte eine Rezension über Lysistrata und stellen den Zusammenhang her zwischen Macht und Sexualität und Sexualität und Kopftuch und Kopftuch und Macht. Danke.