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Algerien erwägt den Bruch mit Iran

■ Botschafter abberufen/ Soldat getötet/ Sackgasse bei Gesprächen zwischen FLN und Opposition

Algier/Berlin (afp/taz) — Algeriens neue Machthaber mögen keine Kritik, selbst dann nicht, wenn sie aus dem fernen Paris oder Teheran kommt. Das Außenministerium in Algier warf am Wochenende Frankreich und dem Iran Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor und berief seine Botschafter in beiden Staaten zu „Konsultationen“ zurück. Ob der Vetreter in Teheran überhaupt auf seinen Posten zurückkehren wird, ist zweifelhaft. Der neugebildete Staatsrat erwägt Presseberichten zufolge den Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

Algeriens Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich entzündete sich an den Äußerungen von Staatspräsident Francois Mitterrand. Er hatte die „Ereignisse“ in Algier als „zumindest anormal“ bezeichnet und eine Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses gefordert.

Dem Iran werfen die Machthaber in Algier vor, eine „Pressekompagne von seltener Heftigkeit gegen die Souveränität und Einheit Algeriens“ entfesselt zu haben und die Islamische Heilsfront (FIS) zu unterstützen. In der iranischen Presse war der Militärputsch und die Absetzung der Wahlen umgehend verurteilt worden. „Der verbale Krieg, der vom iranischen Regime gegen Algerien entfacht worden ist, hat die Grenzen des Akzeptablen überschritten“, hieß es in der dem Staatsrat nahestehenden Zeitung 'Al Watan‘. Für Iraner, auch für solche in diplomatischen Diensten, würden keine Visa mehr ausgestellt. Die iranische Botschaft in Algier wies die in algerischen Medien erhobenen Vorwürfe zurück und versicherte in einer Stellungnahme, die Islamische Republik habe sich immer an das Prinzip der Nichteinmischung gehalten. Gleichzeitig meldete die algerische Nachrichtenagentur 'aps‘, Algier werde die Interessen des Iran in Washington nicht länger vertreten.

Bisher waren die Beziehungen zwischen Iran und Algerien ausgesprochen gut — auch in den Zeiten, als die Befreiungsfront FLN noch fest im Sattel saß. Algerien hatte nicht nur den Iran in der Hauptstadt des „großen Satan“ vertreten, sondern auch in zahlreichen Konflikten die Rolle eines Vermittlers gespielt — beispielsweise während des irakisch-iranischen Krieges oder bei Flugzeugentführungen proiranischer Gruppen. Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Teheran würde daher auch gleichzeitig eine Abkehr von dieser Politik des politischen Ausgleichs bedeuten, zumindest, was den Iran anbelangt.

Auch innenpolitisch geht der Versuch des Regimes weiter, seine Gegner mundtot zu machen. Nach den schätzungsweise 500 Festnahmen vom Freitag teilte die FIS gestern mit, mehrere ihrer gewählten Abgeordneten und Mitglieder der Führungsorgane der Partei seien verhaftet worden. In einer Erklärung warnte die FIS die Junta vor den Folgen der Provokationen gegen die Partei. In der Nacht zum Sonntag kam es zu den ersten Anschlägen und Toten seit dem Putsch. Ein Soldat wurde bei einem Überfall auf einen Posten bei Sidi Moussa, zwanzig Kilometer südlich von Algier, getötet und zwei Gendarmen verletzt. Ein Brandsatz gegen die Polizeizentrale in Algier richtete keinen Sachschaden an, und niemand wurde verletzt.

Ungeachtet der gemeinsamen Frontstellung gegen den Putsch kamen die Gespräche zwischen der FLN und den Oppositionsparteien nicht vom Fleck. Wie am Samstag in Algier verlautete, wurden die Verhandlungen zwischen der FLN und der FIS sowie der Front Sozialistischer Kräfte (FFS) zunächst nicht fortgesetzt. Nach dem Rücktritt von Präsident Chadli Bendjedid hatten die drei Parteien Kontakt aufgenommen, um ihre Opposition gegen die neuen Machthaber zu organisieren. Am Samstag sprachen Beobachter jedoch von „Rückschritten“ im Annäherungsprozeß. Grund dafür sei der Widerstand in allen drei Parteien gegen ein gemeinsames Bündnis. Insbesondere in der FLN wächst die Kritik an der von Generalsekretär Abdelahmid Mehri vollzogenen Annäherung an die FIS und die FFS. Die Hardliner, die die im vergangenen Jahr eingeleiteten Reformen und ein Bündnis mit der FIS ablehnen, gewinnen immer mehr an Boden.

Die orthodoxen Kräfte werden von regionalen „Häuptlingen“ der Herrschaftszeit des 1978 gestorbenen Staatschefs Houari Boumediene angeführt. Ihnen stehen die Reformer unter dem früheren Ministerpräsidenten Mouloud Hamrouche gegenüber. Die Gegensätze zwischen beiden Gruppen verschärften sich nach dem schlechten Wahlergebnis bei der ersten Runde der Parlamentswahlen. Auch an der Basis wächst der Widerstand gegen die Politik der FLN. Die Zeitungen erhielten in den vergangenen Tagen vermehrt Leserbriefe, in denen der Rücktritt von Generalsekretär Mehri gefordert wird.

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