: Algerien bleibt sich selbst überlassen
USA und Frankreich ignorieren einen Hilfsappell der Opposition des nordafrikanischen Landes. Staatschef und General Liamine Zéroual bleibt bei seiner unnachgiebigen Haltung ■ Von Reiner Wandler
Madrid (taz) – Die Antwort des algerischen Präsidenten Liamine Zéroual auf die jüngste Terrorwelle in seinem Land ist denkbar einfach: „Ein Komplott ausländischer Mächte und algerischer Persönlichkeiten“ mit dem Ziel, „den erfolgreichen Demokratisierungsprozeß zu unterbrechen“, sei schuld am Machtkampf mit den islamistischen Gruppen, der in den vergangenen fünf Jahren 50.000 bis 100.000 Menschenleben gefordert hat, verriet er der Bevölkerung in einer Fernsehansprache am Freitag abend. „Liebe Brüder und Schwestern, ich muß den festen Willen des Staates hervorheben, diese terroristischen Gruppen zu bekämpfen“, schloß er.
Der Fernsehauftritt war angekündigt worden, weil die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) seit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan am 10. Januar das Land mit einer der blutigsten Terrorkampagnen überziehen. Über 270 Menschen sollen dem Terror in den letzten zwei Wochen zum Opfer gefallen sein.
Über die Identität der „ausländischen Mächte“ schwieg sich Zéroual aus, obwohl seine Zuschauer genau wußten, wer gemeint war: Iran und Sudan, denen der General in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen hatte, den algerischen Konflikt zu schüren. Bei den „algerischen Persönlichkeiten“ wurde das Staatsoberhaupt deutlicher. Er meine den Teil der legalen Opposition, „der in Wirklichkeit nichts anderes tut, als mit Hilfe der terroristischen Bewegung den Willen der Bevölkerung zu brechen“. Diejenigen, die 1994 zusammen mit der verbotenen FIS in Rom nach einem friedlichen Weg aus der Krise suchten, unter ihnen die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und die größte legale Oppositionsgruppe, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), „verbergen sich heute unter dem Deckmantel eines Friedensappells, dessen einzige Aussage darin besteht, die algerische Bevölkerung aufzufordern, vor Mord und Zerstörung zu resignieren.“
Selbstgebaute Barrikaden gegen Autobomben
„Die bekannte Abfolge von Verurteilungen und leeren Versprechungen“, so kommentierte eine der wichtigsten Tageszeitungen des Landes, Le Matin, Zérouals Rede. Hocine Ait-Ahmed, der Vorsitzende der FFS und Vertreter eines Dialogs mit der FIS, war nicht weniger enttäuscht. Für ihn waren Zérouals Ausführungen nichts weiter als „eine Haßrede“.
Ait-Ahmed hatte in den letzten Tagen vor einer weiteren Verhärtung der Fronten gewarnt. Angesichts der unnachgiebigen Haltung des Regimes hatte er die letzte Tagung der Sozialistischen Internationale in Rom genutzt, um die USA und Frankreich um Hilfe zu bitten, „bevor der Konflikt an einen Punkt kommt, wo eine Umkehr nicht mehr möglich ist“.
Vergebens: Ohne Einladung der Regierung Zéroual könne die USA nicht tätig werden, antwortete das US State Department. „Die Probleme Algeriens sind algerische Probleme, die von den Algeriern mit algerischen Lösungen angegangen werden müssen“, so lautete die als Schüttelreim verpackte Abfuhr aus Paris.
In der Hauptstadt Algier nimmt die Bevölkerung inzwischen die Sicherheit selbst in die Hand. Aus Angst vor weiteren Autobomben errichten die Anwohner auf den Gehsteigen Barrikaden, um zu verhindern, daß dort geparkt wird. Enttäuscht von Zérouals Fernsehauftritt, protestierten am Samstag in den Straßen des Stadtteils Belcourt etwa hundert Frauen mit Sprechchören gegen den Terrorismus und für Freiheit und Demokratie. Die Polizei hinderte sie daran, bis vor das Kino in der Avenue du Mohammed Belouzidad zu ziehen, wo eine Woche zuvor eine Autobombe nach offiziellen Angaben 23, laut Presseberichten 43 Menschenleben gefordert hatte.
Die Berichterstattung über die tatsächlichen Auswirkungen der Attentate kann künftig gefährlich werden. Einen Tag nach Zérouals Kampfrede wies das Innenministerium darauf hin, daß der Staat „nicht länger die Entgleisungen verschiedener Blätter dulden wird“, die „der terroristischen Propaganda in die Hände arbeiten“.
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