Alexander Hacke übers Überleben als Musiker: "Ich wollte mit 14 Musiker werden"
Als Gitarrist und Bassist der Einstürzenden Neubauten hat er die Westberliner Musikszene geprägt. Inzwischen ist er 42 und schreibt Filmmusiken.
taz: Herr Hacke, sind Sie Künstler oder Lebenskünstler?
Alexander Hacke wird am 11. Oktober 1965 in Neukölln geboren. Mit 14 Jahren schmeißt er die Schule und geht mit der Band Einstürzende Neubauten auf Tour.
Die Neubauten sind in den 80er-Jahren eine der einflussreichsten deutschen Musikgruppen. Auf ihren Alben verbinden die Berliner konventionelle Instrumentalmusik mit Geräuschen von Bohrmaschinen, Trennschleifern und Bohrhämmern. Die ausgefallene Musik bringt der Band auch internationale Bekanntheit. Daneben beteiligt sich Hacke an zahlreichen Musikprojekten unterschiedlichster Art.
Von 1996 bis 2002 ist Alexander Hacke mit der Sängerin Meret Becker verheiratet, mit der er eine gemeinsame Tochter hat. 2006 heiratet er die amerikanische Künstlerin Danielle de Picciotto. Gemeinsamen haben sie die DVD "The Ship of Fools" aufgenommen, die vor kurzem veröffentlicht wurde. "Ship of Fools" ist eine Neuinterpretation des "Narrenschiffs" von Sebastian Brant. Der Film läuft am Freitagabend im Open-Air-Kino im Haus Schwarzenberg in Mitte.
Hacke betätigt sich auch als Produzent, Komponist und Schauspieler. So schrieb er für Fathik Akins Film "Gegen die Wand" 2004 die Musik.
Alexander Hacke: Ich bin Lebenskünstler - notgedrungen. Seit der Wende ist es in Berlin nicht mehr so einfach, sein täglich Brot mit der Musik zu verdienen.
Nun sind Sie seit 1980 Gitarrist und Bassist der Experimentalband Einstürzende Neubauten; Sie genießen weltweiten Respekt und müssten eigentlich keine Geldsorgen haben. Wir stellen uns unter einem Lebenskünstler einen Menschen vor, der von der Hand im Mund lebt. Was verstehen Sie unter dem Begriff?
Für mich hat ein Lebenskünstler eine bestimmte Haltung: Man kann heute viel Geld machen, wenn man sich verkauft - unter Preis und zum falschen Zweck. Ich möchte das aber nicht, da ich mich selbst nicht mehr für glaubhaft halten würde, und verzichte somit auf einen gewissen finanziellen Wohlstand. Außerdem ist mir meine künstlerische Freiheit so wichtig, dass ich bereit bin, dieses Opfer zu bringen.
Seit ein paar Jahren ist es so, dass Musiker nicht mehr wirklich von ihren Platten leben können und deshalb für Werbung Musik machen, um Geld zu verdienen. Kennen Sie andere Alternativen, wenn Sie solche Wege ablehnen?
Filmmusik zum Beispiel. Ich habe die Musik für Fatih Akins Film "Gegen die Wand" produziert, schrieb den Score für den Uschi-Obermeier-Film "Das Wilde Leben" und bin auch zurzeit mit mehreren Aufträgen dieser Art aus ganz Europa beschäftigt.
Warum gerade Filmmusiken?
Mich fasziniert dabei das Zusammenwirken von Bildern und Musik. Beide haben ihre eigene Aussage und erzeugen bestimmte Gefühle. Kombiniert man dann Ton und Bild, entsteht ein drittes Wesen, das sich außerhalb der Kontrolle der Schaffenden bewegt. Für den Dokumentarfilm "Crossing the Bridge", in dem es um die Musikszene Istanbuls geht, stand ich dann auch vor der Kamera.
Gibt es ansonsten keinen Mittelweg zwischen Glaubwürdigkeit und kommerziellen Erfolg?
Den gibt es bestimmt - und solange, bis ich ihn gefunden habe, suche ich nach neuen künstlerischen Konzepten, mit denen ich meine Musik verbreiten kann. Mit den Neubauten hatten wir uns das Supporter-Projekt ausgedacht, mit dem wir uns in den direkten Dialog mit unseren Fans begaben, die unsere Platten finanzierten und dafür Einblicke in die Studioarbeiten bekamen.
Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann eine andere Arbeit zu machen als die künstlerische?
Nein. Ich tue das, was ich tue, weil ich es am besten kann. Das ist auch der Grund, warum ich Musik mache: Ich kann das sehr gut. Insofern ist es auch meine Pflicht, das, was ich am besten kann, zu meiner Profession zu machen.
Den Einstürzenden Neubauten schlossen Sie sich im Alter von 14 Jahren an und brachen sogar die Schule ab, um ihre ganze Aufmerksamkeit der Musik und der Band zu widmen. Was führte Sie zu der Entscheidung?
Ich wusste, dass ich Musiker werden wollte. Nach der achten Klasse habe ich mein Schließfach an der Gesamtschule ausgeräumt und bin mit den Einstürzenden Neubauten auf Deutschlandtour gefahren.
Ihre Eltern werden damit sicherlich nicht einverstanden gewesen sein?
Meine Eltern waren froh, dass wenigstens ich wusste, was ich mit meinem Leben machen will. Die hatten genug Probleme mit sich selbst, ließen sich scheiden und so weiter. Um das Sorgerecht nicht zu verlieren, mussten sie ja auch so tun, als wüssten sie nicht, wo ich bin.
Mit dem Mauerfall hat sich in Berlin einiges geändert. Vermissen Sie das Westberliner Leben und ihre Jugend?
Nein. Ich bin glücklich, dass ich aus dem Alter raus bin. Ich habe meine Teenagerzeiten und meine frühen 20er-Jahre in dieser Stadt verbracht. Ich bin froh, dass ich mich nicht mehr mit den Verwirrungen, mit denen man sich in diesem Alter auseinandersetzt, abgeben muss. Es war zwar eine schöne Zeit, aber ich muss sie nicht wiederhaben.
Wie sah das Leben der Frontstadt Westberlin damals aus?
Die Stadt war eine Insel, ein Dorf, eine in sich geschlossene Einheit. Die Szene war zudem extrem elitär und gut überschaubar. Es gab außerdem noch besetzte Häuser, und der Ostteil der Stadt war vielen unbekannt.
Ihnen auch?
Ja. Ich hatte zwar Verwandte in Ostberlin. Aber der Aufwand, der für mich als Westberliner mit einem Ausflug in den Ostteil zusammenhing, nahm mir die Lust, öfter dorthin zu fahren. Daher hat sich Ostberlin größtenteils in meinen Träumen abgespielt. Der U-Bahnhof Friedrichstraße und die imaginären Gänge dahinter waren zum Beispiel so ein Ort, an dem ich im Geist wandelte. Nach dem Mauerfall besuchte ich den Osten der Stadt vor allem, wenn ich von Tourneen wiederkam und keine Lust hatte auf meine gewohnte Umgebung. Ein paar Stationen mit der U-Bahn genügten, um meine Reise fortzusetzen.
Sie wurden 1965 in Neukölln geboren und sind dort aufgewachsen. Sie kennen die Stadt schon sehr lange. Inwiefern hat sich das Lebensgefühl in Berlin für Sie verändert?
Die Stadt ist mir fremd geworden. Anfangs war ich sehr auf das Lebensgefühl hier fixiert, aber schon die 90er-Jahre haben mich nicht sonderlich interessiert, denn zu Technomusik hatte ich keinen besonderen Zugang, und Berlin ist inzwischen eine Businessmetropole und Regierungsstadt.
Schon überlegt, wegzuziehen?
Ja. Zwar werde ich immer gerne hierher zurückkehren, aber ich bin der Überzeugung, dass man einmal im Leben die Halbkugel gewechselt haben und emmigriert sein sollte.
Für ihr jüngstes Projekt, die DVD "Ship of Fools", haben Sie sich ein Konzept ausgedacht, was diese attraktiv macht. Was genau ist das Besondere?
Die DVD ist das Making-of eines neuen audiovisuellen Bühnenprogramms, das meine Frau, die Künstlerin Danielle de Picciotto, und ich zusammen initiiert haben. Der Film besteht aus Aufnahmen der Uraufführung im Radialsystem im letzten Dezember; in Interviews erklären wir, was es mit dem Programm auf sich hat. Dazu gibt es eine CD mit Studioversionen der Musik.
Worum dreht es sich bei "Ship of Fools"?
Das Stück basiert auf dem Buch "Das Narrenschiff" von Sebastian Brant, das er 1494 schrieb. Im Mittelalter war es Brauch, dass alle Außenseiter der Gesellschaft, also Verrückte, Kleinkriminelle oder überhaupt Leute, die nicht reingepasst haben, auf Schiffe gebannt und um die Küsten geschifft wurden, um sie zu isolieren. Brandt hat die Gesellschaft damals mit den Insassen solcher Schiffen verglichen und an die 100 Charaktere von Narren aufgeschrieben. Davon haben Danielle und ich elf Kapitel ausgesucht und sie mit unterschiedlichen Musiken, Visuals und Herangehensweisen bearbeitet.
Was hat Sie, außer dem Buch, noch inspiriert?
Die Reibung, die entsteht, wenn möglichst viele unterschiedliche Stilmittel aufeinanderprallen. Puristische Mittel finden wir uninteressant. Wir sind gegen jede Ghettoisierung der Formen, Genres und Stile.
Nun zieht sich diese Vorliebe für viele Genres durch Ihr Leben. Hat Sie musikalisch immer schon alles interessiert?
Ich entwickle mich ja weiter. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, das kann ich und das kann ich nicht und das sind die Werkzeuge, die ich einsetze. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Werkzeugen, Bildern, Tönen, Herangehensweisen, und ich würde mich selbst zu sehr beschneiden, wenn ich mich jetzt auf einen Stil festlegen müsste. Dafür gibt es noch zu viel zu entdecken.
Was haben Sie denn für "Ship of Fools" entdeckt?
Bei "Ship of Fools" geht es im Vergleich zu einem Konzert um das Zusammenspiel verschiedener Kunstformen. Somit hat das Projekt einen audio-visuellen Charakter. Musik und Bild ergeben hier eine Einheit. Das finde ich interessanter als "nur" Musik zu machen. Was wir da geschaffen haben, haben wir noch nie in dieser Perfektion hingekriegt.
Denken sie, dass Sie Insasse jenes Schiffes gewesen wären?
Ja, auf jeden Fall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe