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Albanische Demokraten freuten sich zu früh

Aus den ersten Wahlen in Albanien gingen die Kommunisten doch noch als Sieger hervor, obwohl sie in den großen Städten unterlegen waren  ■ Aus Ohrid Roland Hofwiler

Die albanischen Kommunisten haben nach bisherigen inoffiziellen Teilergebnissen die ersten freien Parlamentswahlen in der Geschichte des Balkanlandes gewonnen. Sie werden voraussichtlich etwa 145 der 250 Parlamentssitze einnehmen. Mit einem offiziellen Endergebnis wird erst im Laufe der Woche gerechnet. Die erst kürzlich gegründete oppositionelle Demokratische Partei hat aber bei der Abstimmung vom Sonntag einen beachtlichen Erfolg insbesondere in der Hauptstadt Tirana errungen. Dort verlor fast die gesamte kommunistische Führung ihre Parlamentssitze. Nach bisherigem Stand errang die Opposition in der Hauptstadt 17 der 18 Parlamentssitze.

Für große Überraschung sorgte die Wahlniederlage des Staatschefs Ramiz Alia, der Reformkommunisten Muhamed Kapllani (Außenminister) und Fatos Nano, dem erst kürzliche ernannten Regierungschef, gegen Kandidaten der oppositionellen Demokratischen Partei. Diese große Oppositionsbewegung gewann in allen Wahlkreisen der Küstenstädte und Industriemetropolen auf Anhieb die absolute Mehrheit.

Scheint die Oppositon, vor allem die „Demokratische“ und die „Republikanische Partei“, das Vertrauen der Arbeiter und Intellektuellen in den Städten zu besitzen, so nicht das der Bewohner des flachen Landes. Dort konnten die Kommunisten große Erfolge verbuchen. Die Propaganda der Kommunisten, wonach die Opposition Land und Boden an westliche und einst enteignete Großgrundbesitzer veräußern wolle, war hier erfolgreich. Die eigenen Parolen, man werde die Kolchosen modernisieren und jeder Großfamilie eine eigene fruchtbare Parzelle zum privaten Anbau überlassen, scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.

Die Kampagne war von der Opposition nicht ernst genommen worden. Auch die Landbevölkerung werde sich gegenüber „vollkommen neuen Eigentumsformen“ offen zeigen, sagte der Spitzenpolitiker der „Demokraten“ Sali Berisha auf einer Pressekonferenz noch am Vortag der Wahl. Gestern nun erhoben zahlreiche Oppositonspolitiker in den staatlichen Radio- und Fernsehsendern scharfe Vorwürfe gegen die Wahlkommissionen, die manche „Manipulationen“ mit zugedrücktem Auge bemerkten und stillschweigend hinnahmen. Aufgrund der besseren Infrastruktur trafen nämlich die ersten Endergebnisse des Urnengangs zunächst aus den Industriezentren bei der zentralen Wahlkommission in Tirana ein — und die sprachen von einem überwältigenden Sieg der demokratischen Herausforderer. Schon strömten Tausende in den Städten auf die Straße und feierten das „Ende des Kommunismus“, als um Mitternacht Radio Tirana eine erste Wahlanalyse aus den ländlichen Regionen ausstrahlte, nach der sich das Blatt zugunsten der Roten gewendet habe.

Obwohl gestern bereits wieder Arbeitstag in Albanien war, blieb man allgemein der Arbeit fern und verfolgte gespannt die Live-Berichte des staatlichen Fernsehens. Auch Schulen blieben geschlossen. Bei einer Wahlbeteiligung von über 93 Prozent zeigte sich, wie gespannt die Bevölkerung den ersten Mehrparteienwahlgang seit 1923 verfolgt. Seitdem herrschte entweder ein absolutistischer Monarch oder stalintreue Kommunisten. Wie nun diese eine neue demokratische Regierung bilden wollen, darüber war gestern noch nichts zu erfahren.

Auf einer Pressekonferenz in Tirana erklärte der Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, Xhelil Ghoni, am Montag seine Partei zum Wahlsieger. Die Partei der Arbeit (KP) werde ihren Weg der Demokratisierung und des Pluralismus weitergehen. Auf die Frage, ob Staats- und KP-Chef Ramiz Alia trotz seiner persönlichen Niederlage Präsident bleibe, antwortete Ghoni, dies werde das Parlament entscheiden. Alia, der 1990 die albanischen Reformen eingeleitet hatte, hatte im Wahlkampf versichert, er werde das Wahlergebnis „respektieren“. Beobachter hielten für möglich, daß die Opposition seinem Verbleib als Staatschef zustimmt.

Nach den bisher vorliegenden inoffiziellen Ergebnissen dürfte die KP landesweit rund zwei Drittel der Wählerstimmen auf sich vereint haben. Die Wahlbeteiligung war außerordentlich hoch und erreichte in einzelnen Landgemeinden die in der stalinistischen Zeit üblichen 99 Prozent, in Tirana etwa 87 Prozent. Rund 2,2 Millionen Bürger waren wahlberechtigt. Endgültig entschieden werden die Wahlen am kommenden Sonntag. In den nach bisherigen Berichten etwa sechs Wahlbezirken, in denen kein Kandidat die absolute Mehrheit erzielte, finden Stichwahlen statt. Dabei entscheidet die einfache Mehrheit. Parlamentarier und Vertreter internationaler Organisationen bestätigten einen im allgemeinen ruhigen und fairen Verlauf.

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