Al-Qaida im Jemen: Die Macht der Stämme
Der Jemen ist zu einem Rückzugsort für Al-Qaida-Kämpfer geworden, obwohl die Regierung sie bekämpft. Doch die politischen Institutionen sind schwach und korrupt. Eine Analyse
KAIRO taz | Im Jemen besteht dringender Handlungsbedarf. Das hat der missglückte Anschlag auf eine US-Verkehrsmaschine am Weihnachtstag mehr als deutlich gemacht. Denn schon wenige Stunden nach Festnahme von Umar Faruk Abdulmutallab führte die Spur in das südarabische Land. Dort wurde der 23-jährige Nigerianer indoktriniert, ausgebildet und mit Sprengstoff versorgt. Was Geheimdienste schon längst wissen, wurde nun auch der Öffentlichkeit deutlich: Der Jemen hat sich nach Afghanistan, Pakistan und Somalia zu einem der wichtigsten Rückzugsgebiete für militante Islamisten entwickelt.
Doch die jemenitische Realität ist komplizierter, als die Schlagzeilen in den letzten Tagen suggerieren. Verarmt und politisch zerbrechlich, ist das Land im Süden der arabischen Halbinsel gefangen zwischen wachsender islamistischer Militanz und dem US-geführten Krieg gegen den Terror.
Und als ob das nicht genug wäre, kämpft die Regierung noch an weiteren Fronten: Im Norden schwelt seit fünf Jahren ein Konflikt mit schiitischen Huthi-Rebellen, der letzten Sommer eskalierte, als saudische Truppen direkt in den Krieg verwickelt wurden. Die Aufständischen werfen dem jemenitischen Staat vor, das unzugängliche Gebiet im Norden vollkommen zu vernachlässigen und sich zunehmend mit sunnitischen Islamisten zu verbünden, die die jemenitischen Schiiten als eine abtrünnige Sekte betrachten. Die Regierung in Sanaa sieht dagegen in der Rebellenbewegung eine Separatistenbewegung, die im Jemen ein schiitisches Imamat errichten will.
Im Süden des Landes mit seinem Zentrum, der Hafenstadt Aden, wächst gleichfalls eine Sezessionsbewegung heran. Dort ist man frustriert, dass die ohnehin mangelnden staatlichen Ressourcen zum Großteil nach Sanaa fließen. Gerade in den letzten Wochen wurde immer wieder die Befürchtung laut, auch diese Bewegung könnte zu den Waffen greifen.
Daneben hat die Regierung des Präsidenten Ali Saleh mit einer Flut von Flüchtlingen aus Somalia und dem Piratenproblem im Golf von Aden zu kämpfen. Wirtschaftlich gehen dem Land Wasser und Öl aus, Letzteres macht 75 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Eine Arbeitslosigkeit von mindestens 35 Prozent plagt das Land, sie wird durch ein Rekordbevölkerungswachstum sowie die Bildungskrise verschärft.
Die staatlichen Institutionen sind schwach und korrupt. Der Jemen rangiert auf der Korruptionsliste von Transparency International auf Platz 141von 180 Ländern. Die Kontrolle der Zentralregierung reicht kaum über die großen Städte hinaus. Jenseits davon regieren die Stämme. Und die sind meist besser bewaffnet als die Regierungstruppen. Auf 22 Millionen Jemeniten kommen nach Schätzungen dreimal so viele Schusswaffen in privatem Gebrauch - nicht nur Kleinkaliber. Auf dem Land ist es durchaus üblich, mit einer Kalaschnikow auf dem Rücken auszugehen. Selbst panzerbrechendes schweres Gerät findet sich in den Häusern.
Keine Duldung
Anders als in Afghanistan zu Zeiten der Taliban unterstützt die Regierung in Sanaa keine terroristischen Gruppierungen. Deren Spielraum ergibt sich aus der Schwäche der Zentralregierung und dem natürlichen Schutz des unzugänglichen Hinterlandes im Norden und Osten des Landes. In den letzten Jahren hat sich Jemen daher zu einem Magneten für militante Islamisten entwickelt. Nicht zuletzt auch, weil die Regierung mit einem Krieg gegen schiitische Huthi-Rebellen und dem Kampf gegen die Sezessionsbewegung im Süden andere Prioritäten als die Bekämpfung al-Qaidas hatte.
Erschwert wird die Bekämpfung des Terrorismus auch durch die Art, wie die Regierung in Sanaa versucht, am Ball zu bleiben. Nach dem Motto: Wen ich nicht kontrollieren kann, mit dem mache ich einen Deal oder versuche ihn einzubinden. Militante Islamisten, die nach dem Kampf gegen die Sowjets aus Afghanistan zurückgekehrt waren, wurden in den Sicherheitsapparat integriert. Im Bürgerkrieg 1994 bildeten sie die Vorhut bei der Eroberung von Aden. Und auch im Konflikt gegen die schiitischen Huthi-Rebellen kamen sie zum Einsatz.
Doch die nächste Generation militanter Islamisten, viele davon Rückkehrer aus dem Irak, wollte sich nicht mehr vereinnahmen lassen. In den letzten drei Jahren hat sich der Konflikt zwischen Regierung und militanten Islamisten verschärft. Und die Islamisten operierten zunehmend im Jemen selbst. Im September 2008 kamen bei einem Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft in Sanaa 18 Menschen ums Leben. Es war der blutigste Schlag gegen ein US-Ziel außerhalb von Irak und Afghanistan seit den Attentaten vom 11. September. Vier Monate später schlossen sich die Militanten zur "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" zusammen. "Kommt in den Jemen", lauteten die Aufrufe im Internet. Allein aus dem benachbarten Saudi-Arabien sollen über 80 Gesuchte diesem Aufruf gefolgt sein.
Die Regierung reagierte scharf. Mutmaßliche Al-Qaida-Anhänger wurden erschossen, hunderte verhaftet und ohne jegliche Anklage weggesperrt und gefoltert. Es gab spezielle Strafgerichtshöfe, und oft wurden Verwandte als Geiseln verhaftet, wenn die Verdächtigen nicht gefunden werden konnten. Doch der Versuch, die Militanten militärisch und mit dem Sicherheitsapparat zu schlagen, erwies sich am Ende als uneffektiv. Im Gegenteil: Es begünstigte den Zulauf zu den radikalen Islamisten.
"Vielen der Verhafteten wird vorgeworfen, mit al-Qaida in Verbindung zu stehen, ohne dass sie sich irgendeiner Straftat schuldig gemacht haben", sagt der ehemalige Richter und heutige Minister für Religiöse Angelegenheiten, Hamud al-Hittar. "Diese Leute werden erst durch die Verhaftung ein Problem, das ihrem Land Schaden zufügen könnte", formulierte er das bei einem Gespräch mit dieser Zeitung letztes Frühjahr in Sanaa vorsichtig.
Ohnehin war nicht immer klar, wer auf den Fahndungslisten steht. Jemenitische Menschenrechtler werfen der Regierung vor, dass sie jetzt mit US-Rückendeckung im Namen des Antiterrorkampfes interne Konflikte löst und politische Opponenten mundtot macht.
Bei all dem steckt die Regierung in einem Dilemma. Sie hat Washington Kooperation im Antiterrorkampf zugesagt, darf sich aber nicht allzu offen mit den USA verbünden, da sie dies ihre interne Legitimität kosten und das zerbrechliche politische Ökosystem zwischen Zentralregierung und Stämmen stören könnte. Man befürchtet, dass die militanten Islamisten Zulauf und mehr Unterstützung von den Stämmen bekommen könnten. "Die Jemeniten kooperieren mit dem Staat, aber wenn die Regierung zu sehr dem US-Druck nachgibt und für amerikanische Interessen arbeitet, werden wir sie bekämpfen", hat der inzwischen verstorbene Scheich Abdullah al-Ahmar, einst der mächtigste Stammesführer des Landes, einmal gesagt.
So herrscht eine gehörige Portion an gegenseitigem Misstrauen zwischen Washington und Sanaa. Ali Saleh zeigt sich stolz über die von den USA ausgebildeten jemenitischen Antiterroreinheiten, gleichzeitig versucht er immer wieder seine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen. So weigert sich die Regierung etwa, die zwei Jemeniten Jaber al-Banna und Jamal Muhammad al-Badawi auszuliefern, denen vorgeworfen wird, an dem Anschlag auf das US-Kriegsschiff "USS Cole" im Hafen von Aden im Jahr 2000 beteiligt gewesen zu sein, wobei 17 amerikanische Seeleute ums Leben kamen. Auch mehrere spektakuläre Gefängnisausbrüche militanter Islamisten, die für den Anschlag auf die "USS Cole" einsaßen, nährten Spekulationen, dass die Sicherheitskräfte selbst ihre Hand im Spiel gehabt haben könnten.
Der jemenitische Anwalt Khaled al-Ansi, der mit seiner Menschenrechtsorganisation Rückkehrer aus Guantánamo vertritt, betrachtete das Ganze bei einem Gespräch mit der taz in seiner Kanzlei in Sanaa als ein zynisches Katz- und Mausspiel. "Krieg gegen Terror ist ein Geschäft", fasste er damals zusammen. "Ein Offizier, der Terroristen festnimmt, wird schneller befördert.
Und immer wenn die Regierung wegen mangelnder Reformen und Menschenrechte unter Druck gerät, winkt sie mit dem Kampf gegen den Terror", sagte er. Ausschlaggebend wäre stets, wie es gerade um das amerikanisch-jemenitische Verhältnis bestellt sei. "Läuft es schlecht", erläutert Ansi, "dann entlässt die Regierung Terrorverdächtige oder wir lesen von einem spektakulären Ausbruch." Und wenn sich das Verhältnis zu Washington wieder verbessere, sagt der Anwalt, "dann werden sie alle einfach wieder eingesperrt".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW