Aktivistin über Frauen bei Wikipedia: „Frauen vermeiden Konfrontationen“
Sarah Stierch engagiert sich für eine femininere Wikipedia. Mit mehreren Projekten will sie mehr Mitarbeiterinnen für das Online-Lexikon gewinnen.
taz.de: Jimmy Wales will Wikipedia für Frauen interessanter machen – was glauben Sie wie das erreicht werden kann?
SarahStierch:Sarah Stierch: Ich glaube, Wikipedia ist jetzt schon interessant für Frauen. Immerhin besteht die Hälfte unserer Leserschaft aus Frauen. Die Frage ist, wie wir Frauen animieren können, von Leserinnen zu Mitarbeiterinnen zu werden. Ich glaube, viele Jahre harter Arbeit von freiwilligen Mitarbeitern in aller Welt werden dafür erforderlich sein.
Projekte, die Frauen zur Mitarbeit anregen, sind zum Beispiel soziale Aktivitäten bei denen es ums Redigieren geht, sogenannte „Edit-a-Thons“ bei denen sich Leute online treffen, um an Inhalten auf Wikipedia zu arbeiten. Diese Events sind sehr erfolgreich, aber es ist trotzdem schwierig, Frauen anschließend als Mitarbeiterinnen bei der Stange zu halten. Wir haben auch versucht, das Hilfe-Menü zu verbessern. Mit Projekten, die ich gemeinsam mit anderen entwickelte, wie dem Teahouse:Teahouse.
Worum handelt es sich genau?
Dieser Space soll visuell attraktiver und freundlicher sein als der Rest von Wikipedia. Und außerdem gibt es dort ein soziales Element: Man kann ein Profil von sich erstellen, was bei Frauen auf Anklang stieß (28 Prozent der Teilnehmenden sind Frauen, Anmerkung der Redaktion). Ich habe auch ein soziales Projekt ins Leben gerufen, die WikiWomen%27s_Collaborative:WikiWomen's Collaborative.
WikiFrauen aus aller Welt finden sich dort ein, und versuchen über Twitter, Facebook und Blogs Kontakt zu anderen Frauen aufzunehmen. Solche Projekte werden in erster Linie von Frauen genutzt, das heißt, wenn es uns gelingt aus Wikipedia einen ansprechenderen Ort zu machen, dann werden sich vielleicht auch mehr Frauen dafür engagieren.
Die Aktivistin: Die Amerikanerin Sarah Stierch – auch MissVain genannt – ist eine der wenigen Frauen, die bei Wikipedia aktiv sind. Als Kopf der weiblichen Revolution in der Wiki-Republik spielt sie eine wichtige Rolle. Stirech hat einen M.A. in Museumskunde und arbeitete früher unter anderem als Maskenbildnerin und DJ.
Die Situation: Wikipedia ist Männersache – jedenfalls, wenn man den von der Wikimedia Foundation veröffentlichten Zahlen Glauben schenken will: Ein Großteil der Freiwilligenarmee, die die virtuelle Enzyklopädie mit Fakten und Artikeln versorgt, besteht aus kaukasischen Männern um die 30 mit Hochschulabschluss.
Nur neun Prozent der Wikipedia-Editors sind Frauen. Und die männlichen Wiki-Helfer widmen sich überwiegend „männlichen“ Themen – selbst Profile von berühmten Frauen fallen unter den Tisch. Wikipedia-Gründervater Jimmy Wales will das jetzt ändern: „Am wichtigsten ist, Menschen aus allen Schichten reinzubringen. Wenn wir das schaffen, vergrößern wir die Wissensbasis der Seite und das kann ja nur gut sein.“ (FHD)
Wie kam es zu Ihrer Mitarbeit bei Wikipedia?
2004 fing ich mit kleinen Korrekturen an. 2006 hatte ich einen Unfall und musste eine Weile zuhause bleiben. Statt mir die Zeit mit Videospielen zu vertreiben, stieg ich tiefer bei Wikipedia ein. „Community Outreach“ mache ich erst seit vier Jahren.
Gibt es eine interne Diskussion bei Wikipedia über dieses Thema? Und wenn ja, was halten Ihre Kollegen von frauenfreundlichen Projekten?
Die Mehrheit der englischsprachigen Wikipedia-Gemeinschaft ist ebenfalls der Ansicht, dass es ein Problem gibt und das es gut wäre, mehr Mitarbeiterinnen zu haben. In anderen Länden wird das nicht unbedingt so gesehen. Ich war neulich in Nordeuropa und dort wurde ich gefragt, ob das wirklich so ein großes Problem ist. Während die Mehrheit der englischsprachigen Wikipedianer für eine dringend notwendige Veränderung plädiert, scheint das in anderen Ländern nicht unbedingt so zu sei. Aber die geschlechtsspezifischen Unterschiede existieren in allen Ländern.
Warum ist Wikipedia Ihrer Meinung nach interessanter für Männer als für Frauen?
Nachforschungen bei Wikipedia haben gezeigt, dass Männer weniger Probleme damit haben, „couragiert“ zu sein (eines der Mottos von Wikipedia, Anmerkung der Redaktion) mit weniger Angst vor den Folgen. Männer lernen außerdem, dass ihr Wissen grundsätzlich akzeptiert und weniger in Frage gestellt wird. Frauen wurde jahrhundertelang eingebläut, dass ihr Wissen und ihre Fähigkeiten weniger wichtig für die „Kultur“ sind.
Das hat ganze Generationen von Frauen beeinflusst – wie mich – die das verändern wollen. Den Edit-Knopf zu klicken kann auch Angst einjagen, denn man sieht sofort einen ganzen Haufen von Wikipedia-Markierungen – eine ganz andere Sprache. Und wer will das schon durcheinander- bringen.
Männer tun sich also leichter?
Männer tun sich vielleicht leichter, da zuzulangen. Uns ist auch klar geworden, dass Frauen Konfrontationen eher vermeiden. Wikipedia wird – wie das übrige Internet – von Trollen heimgesucht. Weibliche Trolle gehören meist zu einem Jungenclub, fallen dort auf und erlangen einen gewissen Berühmtheitsgrad. Die meisten Frauen haben aber damit nichts am Hut. Wir wollen in einer gesunden, kooperativen Umgebung arbeiten und manchmal gibt es die auf Wikipedia eben nicht. Ich hoffe aber, dass wir das ändern können, wie viele andere Wikipedianer auch.
Wieso ist es Ihnen wichtig, dass sich mehr Frauen bei Wikipedia beteiligen?
Wie kann man das gesamte Weltwissen aufschreiben – und das ist unser Ziel – wenn nur ein kleiner Teil der Hälfte der Bevölkerung daran beteiligt ist? Historie und Wissen wurden seit Anbeginn der Zeit überwiegend von Männern aufgeschrieben. Wikipedia ist eine der wenigen Plattformen, die einen direkten Weg für Frauen aus allen sozialen Schichten und Welten bietet, das zu ändern. Zu einem wahren, ausgewogenen menschlichen Wissen muss die ganze Welt beitragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“