Aktivist über „Lieferando“: „Sechs Unfälle, drei Zwischenfälle“
Keno Böhme wurde als „Lieferando“-Mitarbeiter entlassen, weil er sich bei „Liefern am Limit“ engagierte. Die E-Bikes sind zu unsicher, sagt er.
Schon lange stehen Essenslieferdienste wie „Lieferando“, „Deliveroo“ und „Foodora“ in der Kritik: Ihre Arbeitsbedingungen sind unsicher, gewerkschaftliche Organisation wird kaum zugelassen. Die Initiative „Liefern am Limit“ engagiert sich deswegen für bessere und beständigere Arbeitsbedingungen und mehr Mitspracherecht der Lieferdienst-Mitarbeiter*innen. Im August wurde dem „Lieferando“-Mitarbeiter und gleichzeitig bei „Liefern am Limit“-Engagierten Keno Böhme gekündigt. Er warf dem Unternehmen vor, dies wegen seinem Engagement bei der Initiative getan zu haben. Gerade erst hatte er eine Beschwerde mehrerer Fahrrad-Kuriere wegen untauglicher E-Bikes an „Lieferando“ herangetragen. Im Interview berichtet er von seinem Fall und dem Kampf der Initiative gegen unbrauchbare E-Bikes.
taz: Welche Rolle spielten Sie in der Initiative „Liefern am Limit“ und dem Unternehmen „Lieferando“ gegenüber?
Keno Böhme: Ich bin bei uns im Projekt für die Kontakte mit den Unternehmen zuständig. Das heißt, wenn es Probleme gab oder Nachfragen, habe ich von meiner Mail-Adresse, mit meinem Namen, aus den Kontakt aufgenommen. „Lieferando“ war auch das erste und einzige Unternehmen, welches mit „Liefern am Limit“ – also in dem Fall dann mit mir – telefonieren wollte und das geschah dann auch so.
Sind solche Fälle wie Ihrer schon öfter vorgekommen und gab es Klagen gegen derartige Entlassungen – und planen Sie eine eigene Anklage?
In meinem Fall ist keine Klage geplant. Die NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) hat dies in Betracht gezogen. Aber aufgrund der Tatsache, dass ich zum 1. Oktober, spätestens jedoch zum 1. November, als Projektsekretär eingestellt werde und „Liefern am Limit“ damit offizielles NGG-Projekt wird, wurde das wieder verworfen. Ich hätte also ohnehin demnächst gekündigt. „Lieferando“ hätte sich die Hände gar nicht schmutzig machen müssen, und das war auch ein offenes Geheimnis.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit von „Liefern am Limit“ mit Lieferando und ähnlichen Lieferunternehmen? Gibt es nach der Entlassung nun Veränderungen?
Um von einer nachhaltigen Veränderung sprechen zu können, ist noch nicht ausreichend Zeit vergangen. Ich persönlich empfinde das Verhältnis derzeit als kühl, kühler als zuvor. Mark Deumer, ein Manager, wollte mich noch einmal telefonisch erreichen. Da wir aber zu der Zeit auf der ILO (International Labour Organization) waren, musste ich ihn auf eine E-Mail vertrösten. Auf die warte ich bis heute. Das ist nun gut zweieinhalb Wochen her.
Keno Böhme ist Social Media Manager bei der Initiative "Liefern am Limit" und zuständig für den Kontakt mit den Unternehmen, unter anderem "Lieferando".
Sie kritisieren unbrauchbare E-Bikes. Welche Zustände sind es konkret, die „Liefern am Limit“ kritisiert und verändert sehen will?
In 90 Tagen – Dürreperiode mit eingeschlossen – sind uns neun Ereignisse bekannt. Sechs Unfälle, drei „Zwischenfälle“. Unfälle sind in diesem Fall Stürze, Zwischenfälle sind ausgebrochene Räder, Rutschen oder Ähnliches, ohne, dass es zu Stürzen kam. Außerdem machen sich die E-Bikes aus bisher unvorhersehbaren Gründen gerne selbstständig. Mir persönlich ist ein E-Bike in diesem Zustand beinahe in eine Passantin gefahren. Wir stehen dafür ein, dass „Lieferando“ von seinem unausgesprochenen Standpunkt abrückt, wir Fahrer wären zu blöd zum Fahren. Das Unternehmen muss ernsthaft über ein Fahrsicherheitstraining für unsere Kolleg*innen nachdenken oder auf nicht mehr motorisierte Fahrräder setzen.
Gibt es eine reale Chancen auf Verbesserung der Zustände?
Ob es reale Chancen auf Veränderung gibt, vermögen wir an dieser Stelle nicht zu prognostizieren. Das war bei „Deliveroo“ genauso schwierig und die mussten sich aus zehn Städten zurückziehen. Wir können nur sagen, dass wir an der Sache dran bleiben werden – vor allem angesichts des Winters. Und ob das bedeutet, dass Lieferando sich früher oder später ebenfalls zurückziehen muss, hängt ganz davon ab, ob das Unternehmen einlenkt oder nicht.
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