Aktivist über Attac und die Finanzkrise: "Tobin-Steuer verhindert keine Krisen"

Die ökonomische Expertise bei Attac kam bisher überwiegend von Entwicklungspolitikern, sagt Aktivist Philipp Hersel. Deswegen habe man sich auch vor allem auf die Devisenspekulation konzentriert.

Attac-Aktion auf dem Frankfurter Börsenparkett: "Uns geht es um die Schwächsten auf der Welt." Bild: dpa

PHILIPP HERSEL, 37, ist Politökonom. Er saß lange im Koordinierungskreis von Attac und arbeitet jetzt bei der AG Finanzmärkte mit.

taz: Herr Hersel, hat Attac die Finanzkrise richtig vorhergesehen?

Philipp Hersel: Viele der Sollbruchstellen haben wir immer benannt, wie die zersplitterte Finanzaufsicht oder auch die Hypothekenblase in den USA.

Aber der Schwerpunkt der Analyse lag woanders: Attac hat sich vor allem auf die Devisenspekulation konzentriert, die beim Ausbruch der jetzigen Krise jedoch kaum eine Rolle gespielt hat.

Es stimmt, dass sich Attac bisher vor allem für Währungskrisen interessiert hat. Das hängt mit dem Fokus auf die Entwicklungsländer zusammen. Auch die Dotcom-Krise 2001 haben wir längst nicht so intensiv begleitet wie etwa die Asienkrise oder die Krise in Argentinien. Die deutschen Kleinaktionäre waren eben nicht unbedingt die Klientel, mit der sich Attac solidarisiert. Uns ging und geht es um die Schwächsten auf der Welt.

Attac wurde gegründet, um die Tobin-Steuer auf Währungsspekulationen durchzusetzen. Aber die jetzige Krise wurde durch faule Wertpapiere ausgelöst. Da hätte die Tobin-Steuer doch nichts genutzt?

Die Tobin-Steuer allein hätte die jetzige Krise nicht verhindert und auch nicht die Asienkrise. Es ist auch ein Missverständnis, dass es Attac mit der Tobin-Steuer vorrangig um die Verhinderung von Finanzkrisen ginge. Wir kritisieren den Normalbetrieb. Die Tobin-Steuer wäre ein effektives Mittel, um zumindest ein wenig die Umverteilung von unten nach oben zu korrigieren, die von den Finanzmärkten forciert wird. Zudem würde die Währungsstabilität erhöht.

Trotzdem wirkt Attac recht sprachlos in der jetzigen Krise.

Die Attac-Mitglieder engagieren sich dort in ihrer Freizeit. Dabei bringen sie berufliches Fachwissen mit oder müssen sich immer wieder aufs Neue schlau machen. Zu Beginn hat Attack vor allem vom Know-how seiner entwicklungspolitisch orientierten Mitgliedsorganisationen profitiert.

Zugespitzt: Fehlt Attac die Fachkompetenz für die jetzige Krise?

Das wäre stark übertrieben. Die Entwicklungsländer werden auch diesmal die eigentlichen Leidtragenden dieser Krise sein. Aber es stimmt schon, dass es nicht zur Tradition von Attac gehört, die sozialen Besitzstände der Mittelschichten im Inland zu verteidigen, die jetzt durch die Finanzkrise gefährdet sind. Wie man die eigenen Interessen organisiert - da ist die gewerkschaftliche Expertise größer. Da müssen wir zu einer stärkeren Kooperation kommen.

Die Regierungen schaffen jetzt in rasantem Tempo Fakten. Milliarden an Steuergeldern werden an die Pleitebanken verteilt. Kann eine Freiwilligenorganisation wie Attac mit dieser Geschwindigkeit mithalten?

Die Gefahr besteht, dass wir hinterher einen Postneoliberalismus haben, der noch schlimmer ist als der Neoliberalismus. Eine der großen Aufgaben wird sein, mit Protesten ein Steuersystem durchzusetzen, das die Lasten der Finanzkrise gerecht verteilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.