Aktivist über 1. East-Pride Berlin: „Keine ostalgische Beschönigung“

Wolfgang Beyer organisiert am CSD gemeinsam mit anderen den ersten „East Pride“, auch zur Erinnerung an die homosexuelle Bewegung der DDR.

1. Treffen der Homosexuellen Arbeitskreise in der DDR in der Samaritergemeinde, Berlin 1983 Foto: privat

taz: Herr Beyer, Sie organisieren gemeinsam mit anderen den ersten East Pride Berlins. Warum braucht es nach über 30 Jahren Einheit einen separaten Ost-CSD?

Wolfgang Beyer, geb. 1980 in Ostberlin, studierte Theologie an der Humboldt-Universität. Beyer ist Fotograf, Filmer, Aktivist und Mitbegründer der Gay Church Berlin (facebook.com/GayChurchBerlin).

Wolfgang Beyer: Man hätte das schon viel früher machen müssen. Letztes Jahr haben Nasser El-Ahmad, Stefan Kuschner, Anette Detering, Christian Pulz und ich den Berlin Pride organisiert. Schon da war uns die Solidarität mit queeren Menschen in Polen und Ungarn wichtig und dass die Route über das Brandenburger Tor hinaus weiter nach Ostberlin führt. Es sollte und soll auf keinen Fall um eine ostalgische Beschönigung der DDR-Verhältnisse gehen. Offenes Sprechen über Homosexualität war dort in den 70er und 80er Jahren viel weniger möglich als in der Bundesrepublik. Nicht weil die DDR besonders schwulenfeindlich war, sondern weil sie eine Diktatur war, in der Menschen nicht selbstbestimmt Gruppen bilden konnten. Trotzdem haben Schwule und Lesben angefangen, sich zu organisieren. Und daran möchten wir erinnern.

Wie sah das damals aus?

In Ostberlin waren Schwule wie Peter Rausch, Michael Eggert und andere sehr bewegt durch den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim. Sie haben gedacht: So was müssen wir in der DDR auch machen. Zunächst als Gruppe und dann später unter dem Namen Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin (HIB) haben sie sich ab 1973 organisiert und dann später bei Charlotte von Mahlsdorf Räume gefunden und versucht, Verbündete von staatlicher Seite zu finden. Sie dachten, sie könnten sich im Sinne einer sozialistischen Gesellschaft emanzipatorisch engagieren, wurden aber bitter enttäuscht.

Warum?

Die Thematisierung von antihomosexuellen und diskriminierenden Strukturen wurde von Partei und Staat als antisozialistisch und als Angriff auf die DDR eingestuft. Damit ist dieser erste emanzipatorische Versuch nach sechs Jahren nicht gescheitert, aber doch verboten und vorläufig gestoppt worden.

Der East Pride findet auch im Gedenken an Ihren guten Freund Christian Pulz statt, der im April verstorben ist. Der zweite Versuch kam von Pulz, richtig?

Sterndemo CSD Berlin Pride 26. 6., 13 Uhr, Stargarder Straße 77 (East Pride); Oranienplatz (QTIBIPOC United); Hermannplatz (Queerschutz Now!)

CSD Berlin Pride Livestream 26.–29. 6., csdberlinpride.de/livestream (u. a. „Rassismus in unseren Institutionen – eine kritische Selbstreflexion der Geschichte des Berliner CSD“)

Anarchistischer CSD Berlin

26. 6., 14 Uhr, Friedenstraße/Märchenbrunnen

Trans Pride Berlin

10. 7.,14 Uhr, U-Bahnhof Gleisdreieck

Regenbogen-Fahrrad-Demo

10. 7.,16 Uhr, Luisenplatz, Potsdam

Marzahn Pride

17. 7., Uhrzeit folgt, Helene-Weigel-Platz

Dyke* March Berlin

23. 7., Angaben folgen

Pride des Berliner CSD e.V.

24. 7.,12 Uhr, Karl-Marx-Allee 33 (sah)

Ja, das begann 1982 in Leipzig. Auch in der DDR gab es Parks und öffentliche Toiletten, wo Schwule sich getroffen haben, um sexuell Leute kennenzulernen, aber auch, um ins ­Gespräch zu kommen, auch über politische Dinge. Das waren in ge­wisser Weise schon selbst geschaffene Trefforte, die sexuell und sozial enorm wichtig waren. Später wurde in den ­Homosexuellen-Arbeitskreisen regelmäßig über „Klappe, Selbsthass und Emanzipation“ dis­kutiert. An der Frage schieden sich oft die Geister, es war aber eine ­Linie, die sich von der HIB bis in die emanzipatorischen kirchlichen Gruppen fortgesetzt hat. Christian ist in Leipzig regelmäßig auf die Klappe gegangen und hat dort unter anderen Eduard Stapel kennengelernt und zu einer Selbsterfahrungsgruppe eingeladen. Vorbild war das Buch „Coming out“ von Martin Siems aus Hamburg, das über die Leipziger Buchmesse in Christians Hände gekommen war. Nach einem Jahr Selbsterfahrung ist die Gruppe zu dem Schluss gekommen, dass man selbstbestimmt in die Öffentlichkeit treten muss. Sie sind zum evangelischen Studentenpfarrer gegangen und gründeten in der evangelischen Studentengemeinde den Arbeitskreis Homosexualität.

Ab 1990 saß Pulz für Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus – wie war er nach Berlin gekommen?

Noch im selben Jahr, Ende 1982. Seine Idee war, auch hier eine solche Gruppe zu gründen. Er ging zusammen mit Bettina Dziggel, Marina Krug, Ulrich Zieger und anderen zu Rainer Eppelmann. Das war ein bekannter Pfarrer an der Samariterkirche in Friedrichshain, der einen Friedenskreis hatte und sehr kritisch gegenüber dem Staat war. Christian meinte, das sei genau der Ort, wo es eine eigene schwule Gruppe geben sollte. Eppelmann war sofort begeistert. Wie man jetzt aus den Stasi­akten herausfinden kann, kam es aber zu einer Beratung innerhalb des Gemeindekirchenrates, zu der ein homosexueller Arzt hinzugezogen wurde. Der hat offensichtlich gegen diese Art selbstbestimmter Gruppe votiert. Daraufhin lehnte der Gemeindekirchenrat einen schwulen Arbeitskreis in der Gemeinde ab.

Ein homosexueller Arzt votierte gegen die Homosexuellengruppe?

Ja, sein Name ist aber in den Stasiakten geschwärzt. Ich kann nur spekulieren, wer das war. Christian Pulz und seine emanzipatorische Gruppe standen zwischen zwei Fronten. Einmal die Staatssicherheit und die staatliche Seite, die 1983 auch angefangen hat, gegen ihn mit Zersetzungsmaßnahmen aktiv zu werden und unter dem Stichwort „Missbrauch der Homosexuellen“ die Bewegung zu spalten versuchte. Die andere Seite waren kirchliche Akteure. Es gab konservative Kräfte, die Homosexualität grundsätzlich ablehnten.Viel folgenreicher aber noch waren Vorbehalte derer, die den Homosexuellen eigentlich positiv gesonnen waren, die aber große Schwierigkeiten mit der schwulen Selbstberatung- und Selbstorganisation hatten.

Was waren deren Vorstellungen?

Die wollten zwar, dass sich Kirche öffnet, dass das aber alles in geordneten, im Grunde heteronormativen Strukturen läuft. Ich würde es mal so sagen: Diese Kräfte wollten Integration der Homosexuellen ohne Emanzipation. Emanzipation und die Fundamentalkritik an heteronormativen Strukturen waren damals für diese kirchlichen Akteure etwas sehr Ungewöhnliches. Genau das hat Christian Pulz aber ausgesprochen offensiv gefordert und propagiert. Mit seinen Bemühungen, bei der Kirche angestellt zu werden, ist er genau an diesen Kräften gescheitert. Das ist ein noch aufzuarbeitendes Kapitel.

Friedenswerkstatt 1980, Pulz sitzend im Vordergrund Foto: privat

Trotzdem soll der East Pride mit einem Gottesdienst beginnen? Warum?

Wenn es nicht doch einzelne mutige Pfarrerinnen und Pfarrer gegeben hätte oder auch entsprechende Gemeindekirchenräte, die das gegen Widerstände durchgesetzt haben, hätten Lesben und Schwule gar keine Freiräume bekommen, um selbstbestimmte Gruppen zu gründen. Bei Christian Pulz war das schließlich der Pfarrer Werner Hilse und die Bekenntnisgemeinde in Treptow. Und für die Lesben in der Kirche war das die Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg, wo wir deshalb am Samstag den Gottesdienst feiern. Zum anderen wollen wir die Kirche auch an ihre Verantwortung erinnern, die sie damals auch offiziell übernommen hat. Aus ihr wollen wir sie nicht entlassen.

Der East Pride ist Teil der Sterndemo CSD Berlin Pride. Wie ist das Verhältnis zu den anderen Gruppen?

Wir sind alle in regelmäßigen Absprachen. Mit Achan Malonda, die „QTIBIPOC United“ organisiert, hat sich eine richtige Freundschaft entwickelt. Die Idee mit der Sterndemo war, dass unterschiedliche Erfahrungen von Diskriminierung und Emanzipation jeweils eigene Formen der Öffentlichkeitsarbeit brauchen. Und doch gehören wir alle irgendwie zusammen. Ich glaube, dass es viele Verbindungen von rassistischen und antihomosexuellen Strukturen gibt, über die man unbedingt sprechen muss, um zu erkennen, dass das eine unbedingt die Auseinandersetzung mit dem anderen erfordert. Das Intersektionale spielt eine große Rolle, wenn man an die tief­gehenden gesellschaftlichen Gewaltstrukturen herankommen und ernsthaft über gesellschaftlichen Unfrieden sprechen möchte.

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