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Aktionstag gegen die Macht der FinanzmärkteKein Camping vorm Parlament

Tausende demonstrieren gegen die Macht der Finanzeliten Vor dem Bundestag zelten dürfen sie aber noch lange nicht.

Teilnehmer der Demonstration gegen die Macht der Banken. Bild: DAPD

Zwölfmal schlägt die Uhr der Marienkirche, als die Trommelschläge zum Protest rufen. Von der Fassade des Roten Rathauses hallt ihr Schall wider, bevor er im Mittagsgeläut verklingt. "Das ist völlig verrückt", meint der 70-jährige Gebäudereiniger und lässt den Schläger seiner einsamen Trommel sinken. "Unser ganzes Geldsystem ist pervers. Die Jugend beginnt gerade erst, sich das bewusst zu machen."

Als sich der Protestmarsch am Samstagmittag in Richtung Kanzleramt in Bewegung setzt, geht das Trommeln im Getöse der Menschenmenge unter. Mit so vielen TeilnehmerInnen hatte keiner gerechnet. 350 waren angemeldet. Tausende sind gekommen. "10.000 demonstrieren in Berlin", hallt es aus den Lautsprechern. Die spanische "Echte Demokratie jetzt"-Bewegung hat den 15. Oktober zum weltweiten Aktionstag ausgerufen. "Vereint für globalen Wandel", so das Motto. Attac, Ver.di und die Antifa haben sich dem Aufruf angeschlossen. "Gegen die Macht der Finanzmärkte!" und "Zeit für echte Demokratie!", steht auf den Plakaten der Demonstrierenden.

"Wir sind hier, weil wir betroffen sind", erzählt eine ältere Dame. "Meine Kinder können sich keine Kinder leisten. Die haben ja noch nicht einmal eine richtige Wohnung." Hannah Klaus, die mit ihr auf der Reichstagswiese ins Gespräch gekommen ist, nickt. "Wir können nicht immer den Banken hinterherlaufen", meint die Aktivistin, die von Kopf bis Fuß mit politischen Statements behängt ist. "Die Schulden steigen. Soziale Sicherungssysteme werden ausgehöhlt. Die Finanzmärkte müssen kontrolliert werden, durch den Staat, durch unser Parlament."

Einige Meter entfernt, auf dem Vorplatz des Bundestags, haben sich zahlreiche Protestierer zu einem Plenum niedergelassen. 3.000 sind es nach Angaben der Polizei. In New York, erklärt ein junger Mann der Menge, habe man Wege gefunden, in der Masse zu diskutieren, ohne technische Verstärkung. Brav wiederholt die Menge jeden seiner Sätze laut im Chor, damit auch die weiter hinten Sitzenden alles mitbekommen. In New York, erklärt er, habe man so wirklich basisdemokratische Diskussionen zustande gebracht.

Die Idee, über Nacht zu bleiben, geht durch die Reihen. "Occupy Bundestag" raunt die Menge. Doch als einige Sitzblockierer um 17 Uhr in der Mitte des Plenums ein erstes Zelt errichten, schreitet die Polizei ein. Unter Pfiffen und Protestchören entreißen sie den Demonstrierenden das Zelt. "Schämt Euch, schämt Euch" und "Keine Gewalt" schmettern sie den Beamten entgegen, während weitere Zelte aus den hinteren Reihen nach vorne gereicht werden.

Die Touristenführerin Clara Reina, die vor fünf Jahren von Spanien nach Berlin zog, kann kaum glauben, dass sich nun auch hier etwas bewegt. Im Mai, als sich in ihrem Heimatland unter dem Slogan "Echte Demokratie jetzt" die große Protestbewegung formierte, demonstrierte sie vor der spanischen Botschaft. Seitdem haben die Spanier keine Ruhe gegeben. "Wir waren enttäuscht, dass in Deutschland gar nichts passierte", blickt eine junge Frau zurück. "Dann haben wir angefangen, uns auch hier zu organisieren."

Doch sind es längst nicht mehr nur Spanier, die sich für "echte Demokratie" in Deutschland einsetzen. "Ich bin mit der politischen Entwicklung der letzten Jahre unzufrieden", schimpft Elke Lübbeke aus Berlin. "Es geht nicht um eine Systemalternative, aber man muss dem Kapitalismus wieder Fesseln anlegen", meint die Politiklehrerin.

Einer derjenigen, die im Internet - etwa über Facebook - zur Demo getrommelt haben, ist Thomas Schmerz. Seinen echten Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. Eigentlich habe der Prozess in den arabischen Ländern begonnen, sagt er. "Auch die Spanier haben damals zum Tahrir-Platz in Kairo geblickt." "Echte Demokratie jetzt" sei eine weltweite Bewegung, die sich nicht auf Bankenkritik beschränken dürfe.

Mit Einbruch der Dunkelheit wird es leerer auf der Wiese vorm Bundestag. Das Plenum hat sich aufgelöst. Einige tanzen noch. Andere bedienen sich an der Suppenkanone, die spontan vom Kreuzberger Mariannenplatz auf die Reichstagwiese verlegt wurde. "Hier ist ja viel mehr los als in Kreuzberg", freut sich eine Spanierin, die Linsensuppe verteilt.

Weniger harmonisch endet die Veranstaltung wenige Stunden später. Noch in derselben Nacht vertreibt die Polizei die zeltenden Kapitalismus-Kritiker. Unter Einsatz von Reizgas räumt sie die letzten Demonstrierenden vom Platz. Zwölf vorübergehende Festnahmen, 31 Strafverfahren und elf verletzte Polizeibeamte, meldet sie später. Bis kurz nach Mitternacht hatten die letzten Protestierer bei Minusgraden ausgeharrt. Dann war es vorbei mit der echten Demokratie vor dem Bundestag.

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5 Kommentare

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  • O
    OverTheEdge

    Was ich - neben der Illusion einer vermeintlich gewalttätigen Menge, welche Polizist_Innen angreift - hier kritisch betrachte ist, wie zwanghaft in TAZscher Manier versucht wird das Ganze als "Europäische" Bewegung mit Ursprung in Spanien zu deklarieren. Kaum ein Wort über die Occupy Wallstreet Bewegung in den USA, kein Wort dazu, dass der Slogan "Shame on you" primär in Englisch gerunfen wurde. Am Rande wird erwähnt, dass die Idee über das Verhalten bei Abstimmungen aus den USA kommen (die Zeichen, welche verwendet werden, kommen übrigens aus der englischen Gebärdensprache), aber dann doch rasch auf Spanien konzentriert. Hier wird wieder einmal suggeriert, dass in den USA nur "Kapitalismus" vorherrscht und echte "Bewegung" nur aus Europa kommen kann. Das dabei zum einen die "3. Welt" ausgeklammert wird, zum anderen z.B. die Vorgeschichte der 68er, welche in den USA entstand, ist einmal wieder typisch TAZ.

    Nun ja, ich hoffe die Bewegung "Occupy Berlin" wird wachsen, dass sich emanzipatorische Strömungen der (radikalen) Linken daran beteiligen werden und dass am Ende nicht nur "Wutbürger" oder "Reformer" gewinnen werden, sondern eine echte, progressive und anti-systemische Bewegung ensteht. Das die TAZ dabei wohl eher keine Rolle spielen wird ist seit einigen Jahren (leider) klar...

  • S
    Strandmuschel

    Ich war ebenfalls dabei und bestätige die Aussagen von "Whatson" und "Protestler_in"! Es gab von Seite der versammelten Individuen KEINERLEI

    Aggression oder Gewalt. Im Gegenteil: Ich habe selten erlebt dass eine Versammlung bei Ihrer Räumung SO friedlich geblieben ist!

     

    Wenn Polizisten verletzt wurden, dann sollten sie die Täter in den eigenen Reihen suchen!

     

    Heute ist Tag 3. Wir kommen wieder!

    Von nun an JEDEN TAG ab 15 Uhr auf dem Platz der Republik!

     

    "Wetten dass wir mehr werden?"

  • Y
    yberg

    echte demokratie mit der räumung der reichstagswiese am ende...

     

    starker tobak.

     

    es gibt nicht nur die bannmeile,aus berechtigten historischen gründen,druck der straße etc.,

    sondern auch einen städtischen ordnungsrahmen,der wildes campieren eben verbietet.

     

    hat eigentlich die echte demokratie erst mit der

    besetzung der reichstagswiese angefangen.

     

    alle im bundestag vertretene parteien,die einen mehr die andern weniger,eine fast gar nicht,haben die derzeit kritisierten zustände und machtverhältnisse als gewählte volksvertreter ermöglicht,befördert und beschleunigt und haben bis jetzt nicht die geringsten

    anstrengungen unternommen ein trennbankensystem gesetzlich eizuführen oder die unter kohl abgeschaffte börsenumsatzsteuer wieder einzuführen.

     

    fragen sie sich doch mal in aller ruhe ,warum das hypothekengeschäft in besondere banken ausgelagert

    wird die spielgeld und zockerabteilungen jedoch im normalen geschäftsbetrieb,den der staat also wir als gesellschaft versichern,verbleiben.

     

    solange wir die probleme in ihren ursachen nicht erkennen und akzeptieren ,müssen eben zielgrößen wie wachstum,so dackelhaft die zahlen erhoben und verursacht sind,börsenkurse,die von zwei händen großzocker manipuliert werden,beschäftigtenzahlen,frisiert wie der scheitel auf ner glatze,gewinne,bei großunternehmen im buchwerk nicht errechnet sondern nach IFRS zusammenfantasiert,bequemlichkeit aller wirtschafts

    berichterstattung,die meldungen aus den unternehmen werden unkritisch erst von den agenturen und dann von den medien übernommen und verbreitet, und so weiter und so fort.

     

    erst wenn die erste großbank ohne all die verkündeten schreckensfolgen in die grutze gegangen ist,kapiern die um ihre monatlichen apanagen bangenden politiker,daß sie sich am nasenring durch die manege ziehen lassen und von den ackerman-

    nern seit jahren vorführt werden.

     

    das wird jedoch noch ein,zwei katastrofen und jahre lang dauern.

  • P
    Protestler_in

    Insgesamt großartig, dass auch über Berlin mal etwas halbwegs ausführliches und ausgeglichenes geschrieben wird. Dennoch eine Anmerkung zu folgendem:

     

    "Bis kurz nach Mitternacht hatten die letzten Protestierer bei Minusgraden ausgeharrt."

    Dass klingt ja, als habe es sich nur noch um einige wenig gehandelt. In Wirklichkeit wurden zum Schluss locker 500-700 Leute, teils unter massiver und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung vom Platz entfernt. Ein belibter Spruch der Robocops: "Das ist letzte Aufforderung ohne Schmerzen aufzustehen. Und es wird wehtun, das versprech ich dir!" Und dieses Versprechen wurde wahr gemacht mit Pfefferspray, Schlägen und Tritten, selbst auf bereits auf dem Boden liegende Demonstrant_innen.

  • W
    Whatson

    Verletzte Polizeibeamte??? Das ist ja wohl ein schlechter Witz! Ich war den ganzen Abend dabei und die Gewalt die wir erlebt haben ging ausschließlich von den Polizeibeamten aus, die übrigens widerrechtlich keine Erkennungsnummern trugen, einige Journalisten an ihrer Arbeit hinderten und - ohne das Gewaltpotential bei den Demonstrierenden bestand - die ganze Zeit über Gesichter abfilmten!