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Aktionsplan gegen Obdachlose in PragObdachlose, raus!

Prag will Menschen ohne feste Bleibe an den Stadtrand abschieben. Das Lager soll bei einer Müllanlage errichtet werden. Einige Obdachlose finden die Idee gar nicht schlecht.

Unerwünscht und deshalb ab ins Sammellager: Obdachloser in der Prager Innenstadt. Bild: ap

PRAG taz | Jiri Janecek, Prager Stadtrat für soziale Angelegenheiten, hat ein Herz für Menschen ohne Bleibe. "Wer sich nicht integrieren will, der soll sein obdachloses Leben dort führen, wo er niemanden stört", erklärte er dieser Tage mehrfach selbstbewusst. Daher weiß der 36-jährige Kommunalpolitiker von der konservativen Bürgerpartei (ODS) auch genau, wie man dem Obdachlosenproblem der tschechischen Metropole am besten beikommt: mit einem Sammellager.

Am vergangenen Dienstag verabschiedete die Prager Stadtverwaltung den Aktionsplan Janeceks zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit in Prag. An einem bislang noch undefinierten Ort am Stadtrand - Favorit ist ein Gelände gleich neben der städtischen Müllverbrennungsanlage - soll ein Zeltlager errichtet werden, das als Anlaufstelle für Obdachlose dienen soll. Eine "Oase" soll es laut Janecek werden, in der die auffälligsten 10 Prozent der rund 3.500 Prager Obdachlosen unterkommen können. Dort würden ihnen Sozialarbeiter und Ärzte zur Verfügung stehen, und dreimal am Tag soll es heiße Suppe geben, erläuterte Janecek seinen Plan.

Das Vorhaben stößt bei einigen der "Homlesaci", wie die Prager ihre Obdachlosen auf Anglotschechisch gern nennen, auf Zustimmung. "Da könnte ich mal in Ruhe schlafen, mal meine Schuhe ausziehen und mich unter eine Decke legen", träumt Jirka, der seit 21 Jahren auf den Straßen und Bänken der Moldaumetropole überlebt.

"Warum nicht?", sagt sein Kumpel Vláda,der mehrere Jahre in Haft war. "Ich habe mir ja schon öfters überlegt, ob ich im Gefängnis nicht besser dran war als jetzt auf der Straße.

"In die Konzentrationslager sind auch viele Menschen gegangen in der Hoffnung auf ein neues Leben und eine warme Dusche", sagt Pavla Vopekalová von der Prager Heilsarmee. Für sie ist der Plan eines Obdachlosenlagers inakzeptabel. "Man darf diese Leute nicht noch weiter an den Rand der Gesellschaft schieben", sagt sie. Viel besser wäre es, wenn die Stadt mehrere kleine Anlaufstellen für Obdachlose einrichten würde. "Ein Lager wird das Problem nicht lösen", glaubt sie.

Worum es Jiri Janecek und der Prager Stadtverwaltung eigentlich geht, liegt auf der Hand: die Obdachlosen und ihr Elend aus dem Prager Stadtzentrum zu vertreiben. Viele Prager beschweren sich seit Langem über "den Gestank der Wohnungslosen in Straßen- und U-Bahnen. Dabei soll das geplante Sammellager eine freiwillige Angelegenheit sein, beteuert Janecek. Keiner wird ins Lager müssen, sagt er. Gleichzeitig aber soll "sich die Intensität der städtischen Kontrollen Obdachloser erhöhen, bis sie selbst merken, dass sie im Lager am meisten Ruhe haben", gibt der Sozialstadtrat zu.

Im Lager selbst soll neben Ärzten, Köchen und Sozialarbeitern auch eine Sicherheitsagentur über die Obdachlosen wachen. Gute Chancen, den Auftrag zu erhalten, hat die Agentur des weißen Löwen (ABL). Die hat beste Beziehungen zu den Prager Stadtoberen und ist schon seit vergangenem Jahr im Bezirk Prag 10 offiziell damit beauftragt, die Obdachlosen aus dem Stadtviertel zu vertreiben. Politischen Einfluss hat die ABL durch die Regierungspartei Öffentliche Angelegenheiten (VV), mithilfe deren ABL-Manager in staatliche Schlüsselpositionen verschiedener Ministerien gelangt sind. Die Partei, die bei den Parlamentswahlen Ende Mai erstmals antrat, hatte im Wahlkampf mit Bürgerwachen gegen Obdachlose auf sich aufmerksam gemacht.

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6 Kommentare

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  • B
    Berlinerin

    @besserwisser: Ich denke nicht,dass die Wohnproblematik Berlins mit Lagern für obdachlose gleichzustellen ist...

    So weit ist es also gekommen. Wir, die Gesellschaft sind doch Teil des Problems. Armut wird von uns allen mitproduziert und erhalten. Und dann sagen wir uns: "Weg mit dem Abschaum an den Stadtrand". Und das ganze wird dann als Wohltätigkeit verkauft?? Schon alleine das Wort "Lager" löst in mir Gänsehaut aus. Und dann wird das Lager neben einer Müllkippe errichtet? Nach dem Motto: "Naja, denen macht das doch nichts aus, die stinken ja auch?" In was für einer menschenverachtenden Welt leben wir denn eigentlich???

  • MG
    Madlen GRüne

    Erschreckend!

    Erinnert mich auch an die USA!

    Amerikanische Rentner haben ihre gesamten Ersparnisse verloren; Inhaber mittelständischer Unternehmen gehören zu den Verlierern ...hausen nun am Stadtrand in Zelten, mittellos..

    Wer sind diese Obdachlosen?

    Es sind doch keine Außerirdischen, vor denen man Angst haben muss!!!???

    Die Menschen dürfen auf keinen Fall ausgegrenzt werden, schliesslich haben die Meisten (!)ihr Leben lang gearbeitet!

    Was soll das ???

  • B
    Benjoloni

    Habe den Artikel zunächst in der Printausgabe der Taz gelesen. Ich denke, dass dieser Ansatz den Obdachlosen in Prag langfristig nicht helfen wird. Auch in Brasilien wurde Ende des 19. Jh. versucht die Problematik an die Stadtrände zu verlagern. Was daraus geworden ist, kann man beispielsweise an den Favelas in Rio erkennen. Probleme verschwinden nicht, nur weil man sie nicht mehr sieht... Vielleicht wäre es doch sinnvoller mehrere kleinere Anlaufstellen zu schaffen, wie auch im Text bereits angesprochen. Hoffentlich kommen die Verantwortlichen auch noch darauf, dass auch die Obdachlosen zur Gesellschaft dazugehören.

  • K
    kesselhügel

    kennen wir doch aus Kreuzberg ;), Clean your City! Zwangsarbeit in Projekte, Umsonst für alle vermeintlichen ASSYS oda ne.........

  • B
    besserwisser

    Na und? In Berlin werden wenig Verdienende mit der aufgeblasenen Mietspiegel basierende Mieterhöhungen an den Stadtrand abgeschoben!

  • A
    ausländer

    Erschreckend! Die Ghettoisierung à la USA ist angekommen. Aber Hauptsache der Tourismus läuft rund und das Zentrum bleibt "sauber".

     

    Ich habe jahrelang in Prag gelebt, und kenne die Situationen im Winter, wenn Obdachlose permanent die Strassenbahn- oder Metrostrecken hin- und herfahren, um im Warmen zu sein. Was der Stadt fehlt, sind Stadtteilzentren für Bedürftige!