„Aktion Lebensschutz“

Neonazis wie Michael Kühnen hatten es auf ihre Fahnen geschrieben: Fremdenhaß und Abtreibungsverbot waren immer ein Thema der Rechten  ■ Von Elke Amberg

„Jede Abtreibung eines gesunden Kindes macht einen Platz für einen Ausländer frei“, argumentiert ein „völkisch“ orientierter Abtreibungsgegner in der rechtsradikalen Zeitschrift Deutschland in Geschichte und Gegenwart. Und auf einem Flugblatt der NPD, das vor der Zirndorfer Sammelstelle für Asylbewerber verteilt wurde, heißt es: „Was soll das Geschwätz von den Ausländern, die angeblich unsere Renten sichern, wenn Kinder im Mutterleib abgetrieben werden.“ Die gleiche Verbindung von Rassismus und Abtreibungsgegnerschaft betrieb auch schon Michael Kühnen. Der militante Neonazi lobte die Arbeit der „Aktion Lebensschutz“ als wichtige Vorfeldorganisation zur Sammlung der Kühnen treuen Anhänger für die Zukunft. Der Kampf gegen „Abtreibungsmassenmord“ war ihm so wichtig wie der Kampf gegen „Rotfront-Terror“ und „zionistische Frechheiten“.

Nicht nur Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhaß, auch Abtreibung und „Lebensschutz“ waren immer ein Thema der Rechten. Für diejenigen, die in „völkischen“ Kategorien denken, sind abtreibungsbedingte „Geburtendefizite“ und die angebliche „Überfremdung“ wichtigste Komponenten des drohenden „Volkstodes“.

NS-Abtreibungsverbot und Rassenpolitik

Besonders rigoros war das Abtreibungsverbot im Nationalsozialismus. NS-Rassenpolitik bedeutete Zuchthaus oder Todesstrafe, wenn „arische“, deutsche Frauen abtrieben, sie bedeutete aber auch das Heranzüchten von „rassisch hochwertigen“ Menschen in Lebensborn-Heimen. „Fremdvölkische“ und als minderwertig eingestufte Frauen wurden hingegen zu Zwangsabtreibungen und -sterilisationen gezwungen. Im Rahmen der nationalsozialistischen „Frauenpolitik“ mißbrauchte man den weiblichen Körper zur Rettung der „Lebenskraft der Volksgesundheit“.

Heute tauchen Kühnen-Parolen wie „Stoppt den Kindermord“ nicht nur auf Flugblättern der Neonazis, sondern auch auf Pamphleten christlich-fundamentalistischer AbtreibungsgegnerInnen auf. Gleiche Begrifflichkeiten sind ein Hinweis auf die vielfältigen ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen sogenannten Lebensschützern und Rechtsradikalen. Zur Unterstützung ideologischer Konstrukte führen sowohl „LebensschützerInnen“ als auch Rechtsextreme biologistische Begründungen an. Im Schulterschluß mit Neurechten aller Couleur verfechten organisierte Abtreibungsgegner demokratiefeindliche Elitekonzepte und Verschwörungstheorien, die den Kommunismus als Ursache allen Übels ausmachen. Eine Variante revisionistischer Geschichtsklittung ist bei „Lebensschützern“ besonders beliebt: Abtreibende Frauen werden mit Nazi-Mördern gleichgesetzt. Diese Verharmlosung der Verbrechen des NS-Regimes mit der Formel: Abtreibung = „Embryocaust“ = „Holocaust an ungeborenen Kindern“ wird sogar vom Papst benutzt.

Mehr als hundert „Lebensschutz-Organisationen“ bemühen sich mittlerweile in der Bundesrepublik um das „ungeborene Leben“. Eine der jüngsten Vereinigungen, die 1985 gegründete „Juristenvereinigung Lebensrecht“ (JVL), geriet vor allem durch das derzeitige Verfahren um die Neuregelung des § 218 vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht in die Schlagzeilen. Einer der Verfassungsrichter, die über das neue Abtreibungsrecht zu entscheiden haben, Ernst-Wolfgang Böckenförde, war bis 1990 Mitglied in der Vereinigung. Außerdem gehört ein vom Gericht bestellter Gutachter nach wie vor dem – laut Spiegel – „militanten Anti-Abtreibungsverein“ an.

Bestärkt durch die Wiedervereinigung – im Einigungsvertrag ist die Neuregelung des § 218 vorgesehen – begann die JVL zusammen mit anderen „Lebensschützer- Gruppen“ ihre Arbeit zu koordinieren. Eine seit Ende 1991 in Bonn eingerichtete „Kontaktstelle Lebensrecht“, unter anderem getragen von der „Aktion Lebensrecht für Alle“, den „Christdemokraten für das Leben“, der evangelikalen Gruppe „Pro Vita“ und der JVL, sollte direkten Einfluß auf die Bonner Abtreibungspolitik gewährleisten. Erstes Ergebnis: ein gemeinsames Anti-Abtreibungsbuch, herausgegeben vom Krefelder Sinus-Verlag, einem Verlag, den Republikaner und sogenannte „Neue Rechte“ nutzen.

„Embryonenvokabular“ in der Alltagssprache

Eines ihrer Ziele haben die „Lebensschützer“ längst erreicht. Während sich Rassisten über die breite Diskussion einer Änderung des Grundrechts auf Asyl freuen, reiben sich „Lebensschützer“ die Hände über die erfolgreiche Verbreitung des von ihnen kreierten „Embryonenvokabulars“. Dank gezielter „Lebensschutz-Politik“ werden Ausdrucksweisen, die in den eigenen Reihen längst schon eingeschliffen sind, sukzessive Allgemeingut: Jedes Schwangerschaftsprodukt, egal ob drei Wochen oder vier Monate nach der Befruchtung, wurde in Presse und Umgangssprache längst zum „Kind“.

Der Menschenversuch mit der hirntoten Marion P. – unter der Bezeichnung „Erlanger Baby“ in aller Munde – wurde in dieser Hinsicht ein voller Erfolg. Bernward Büchner, Vorsitzender der JVL, betont, „daß dieser Fall sehr viel zum öffentlichen Bewußtsein vom ungeborenen Menschen beigetragen hat.“ Er geht davon aus, „insbesondere die Erkenntnisse der vorgeburtlichen Psychologie“ seien durch die schwangere Hirntote „einem breiten Publikum richtig bewußt geworden.“

Die Kehrseite der so harmlos klingenden „Erkenntnisse der vorgeburtlichen Psychologie“ ist ein Mütterlichkeitsideal, dessen skrupelloser Frauenhaß meist nur dürftig kaschiert werden kann. Exemplarisch dafür: das Frauenbild der Uelzener „Psychagogin“ Christa Meves. Sie mischt bei der „Aktion Leben“ und der JVL mit. Als populäre Sachbuchautorin mit Millionenauflage wird die erzreaktionäre Abtreibungsgegnerin gerne von Neonazis zitiert. In den 70er Jahren referierte sie für die „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ des Hamburger Neonazis Jürgen Rieger. Die von ihr gepredigte Verherrlichung der Mutterschaft erinnert an NS-Ideologien: Laut Meves habe die Frau ein natürliches Bedürfnis nach Unterwerfung. Zudem sei es ein Naturgesetz, daß Frauen wegen ihres „anderen Körperbaus, ihres anderen Gehirns und ihrer anderen Seele“ in Berufen, die nicht ihrer „natürlichen Mütterlichkeit“ entsprechen, von vornherein zum Scheitern verurteilt seien. Der Freundeskreis Christa Meves, zu dem sich 6.000 ihrer AnhängerInnen zusammengeschlossen haben, riet deshalb 1984 zur „organisierten Lösung der Frauenfrage“, da sonst die zunehmende Unabhängigkeit und Berufstätigkeit von Frauen zu einer „Denaturierung“ der Kinder und Jugendlichen führe. Zur Abhilfe fordert der Freundeskreis die Einrichtung von Mütterschulen, in denen Frauen – neben ihrer eigentlichen Bestimmung: der Mutterschaft – ausschließlich auf soziale Berufe vorbereitet werden.

Die Abtreibungspolitik von Bayern und Baden-Württemberg liegt einem anderen „radikalen Kämpfer für den Schutz des ungeborenen Lebens“ besonders am Herzen. Siegfried Ernst, ehemaliger CDU-Stadtrat in Ulm und früherer evangelischer Landes-Synodaler, ist Begründer und Vorsitzender der „Europäischen Ärzteaktion“. Nicht umsonst kam im Sommer letzten Jahres der extremste Gesetzesvorschlag zur Verschärfung des § 218, der „Werner- Entwurf“, von einem Ulmer Parteikollegen Ernsts, dem Bundestagsabgeordneten Herbert Werner. Innerhalb der CDU/CSU stellte dieser im Bundestag abgeschmetterte Entwurf eine Randposition dar.

Sieben Mal wurde der national und international rege Anti-Abtreibungs-Funktionär Ernst, der auch bei der „JVL“ und der „Aktion für das Leben“ mitmischt, schon vom Papst empfangen. Ernst wettert gegen die „Bastardisierung der Rassen“, gegen die Zerstörung von Familie, Sippe und Volk durch Pille und Abtreibung. In einem 1976 verfaßten Brief an den damaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Hans Filbinger, wandte er sich dagegen, daß mit der gerade neugefaßten Indikationsregelung auch Türken, Perser, Afrikaner oder Asiaten abtreiben dürften und so ihren „antiweißen Rassenkomplex“ abreagieren könnten.

Bei einem Prozeß gegen die ökologische Linke Jutta Ditfurth wegen Beleidigung mußte er letztes Jahr eine juristische Niederlage einstecken. Das Urteil des Kölner Amtsgerichts: Ditfurth darf Ernst als Neofaschisten bezeichnen, „zumal seine Äußerungen derart rassistische Züge haben, daß sich jedem unbefangenen Betrachter sofort der Vergleich mit den Ideologien des Dritten Reiches aufdrängt.“ Auch antisemitische Denkweisen hielt Ditfurth-Anwalt Wolfgang Seibert dem Abtreibungsgegner vor: In seinen Veröffentlichungen schreibe Ernst vom „Weltjudentum“ und zeichne das Bild des „Finanzjuden“, der sich durch die „Abgabe“ von Goldzähnen und Eheringen den „Rassefrieden“ erkaufen wolle.

Regelmäßig Mitgliederwerbung in einer antisemitischen Zeitschrift betreibt auch die neue Organisation „Ärzte für das Leben“. Ihr Vorsitzender, Claus von Aderkas, und mehrere Beiratsmitglieder des Vereins publizierten in den letzten Monaten regelmäßig in der rechtsradikalen Zeitschrift Code zum Thema Abtreibung.

Ausländerfeindliche Lebensschützer im Bundestag

Auffällige Korrelationen finden sich auch bei Abgeordneten des Bundestages. Die gleiche Personengruppe, die durch besonders ausländerfeindliche, ultrarechte und völkisch-nationalistische Äußerungen auffällt, insbesondere Mitglieder des „Christlich-Konservativen Deutschland Forums“, ist für eine massive Verschärfung der Abtreibungsregelung. Die „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), zu der 30 Bundestagsabgeordnete und fast 50 Landtagsabgeordnete gehören, hatten den Werner-Gesetzentwurf zum § 218 befürwortet. Handelte es sich doch bei allen anderen Gesetzesentwürfen angeblich um gefährliche Ausflüße der „neomarxistischen Ideologie“.

CDL-Vorsitzende Johanna Gräfin von Westphalen sieht schon bei Rita Süssmuth rot. Diese sei die „Gallionsfigur einer linken zerstörerischen Politik“ weil „ganz speziell sie die neomarxistische Ideologie in die CDU hineinträgt“. Ihr „Lebensschutz-Kollege“ Siegfried Ernst kann ihr da nur zustimmen. „Die Fristenlösung ist Ausdruck der kommunistischen Ideologie“, meint er. Frau Süssmuth würde, wie viele andere weibliche Mitglieder des Bundestags, nicht mit dem Kopf, sondern mit anderen Organen denken. Ein Grund, warum Ernst Mehrheitsentscheidungen in Sachen Abtreibung für Teufelswerk hält. Sein Fazit: „Die Mehrheit ist ein dummer Haufen!“

Elite- und Biologismustheorien sind bei „Lebensschützern“ zur Bekämpfung der „kommunistischen Gleichheitstheorie“ verbreitet. Insbesondere für Studentenverbindungen sind sie nicht nur grundlegendes Element der Weltanschauung, sondern dienen auch der Rechtfertigung von Männerklüngel und Vetternwirtschaft. Insofern ist es nicht außergewöhnlich, wenn sich „Waffenbruder“ Josef Hollerith (CSU), Bundestagsabgeordneter und organisierter „Lebensschützer“ (CDL), in den Burschenschaftlichen Blättern beschwert, die „rote Gleichheitsideologie habe sich schon so tief eingefressen“, daß manchem schon das Wort „Elite“ als obszöner Begriff erscheine. Er plädiert: „Eliteförderung sei das Gebot der Stunde.“

Korporierter „Lebensschützer“ ist auch der Mannheimer Rechtsanwalt Wolfgang Philipp. Als Abtreibungsgegner referierte er für den rassistischen „Schutzbund für das Deutsche Volk“ und schreibt in rechtsextremen Zeitschriften. In den Unabhängigen Nachrichten und den Lebensschutz-Informationen des Weltbundes zum Schutz des Lebens veröffentlicht er seine Gedanken zum Thema Ausländer und Asylrecht: „Wie Troja von den Griechen wird unser Land von Millionen belagert.“ Den Deutschen seien ohnehin schon riesige Siedlungsgebiete verloren gegangen. „Nach dem Willen der Bonner Trojaner wird jetzt auch das Kernland und seine Bevölkerung endgültig preisgegeben.“ Philipp ist ein Mitbegründer der „Juristenvereinigung Lebensrecht“ und hat eine Klage gegen die Krankenkassenfinanzierung von Abtreibung bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht.

Was damals nicht gelang, wird vielleicht heute dank der intensiven Lobbyarbeit der JVL Erfolg haben: Die Streichung der „Kassenfinanzierung“ ist ein wichtiger Ansatzpunkt der „Lebensschützer“, die momentan versuchen, auf das Bundesverfassungsgericht Einfluß zu nehmen.