Aimee Lou Wood aus „The White Lotus“: Die Zahnfee
Die dritte Staffel der Serie „The White Lotus“ geht diesen Montag zu Ende. Eine der Hauptrollen spielten die Zähne der Schauspielerin Aimee Lou Wood. Gut so!
D as popkulturelle Gedächtnis ist löchrig wie kariöse Zähne. Es wird viel über die auffallenden Zähne einer Schauspielerin geredet, dabei sind individuelle Gebisse regelmäßig Publikumslieblinge. In ihren Memoiren schrieb die inzwischen leider indiskutable (Volksverhetzung) französische Ikone Brigitte Bardot, dass ihre Zähne in eine Spange gezwängt werden sollten, dann hätte es ihren berühmten Schmollmund nie gegeben.
Madonna, Vanessa Paradis oder Lauren Hutton sind unstrittig umwerfend schöne Frauen mit Diastema mediale, das ist die frontale Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. Ihre Schönheit wurde nicht trotz, sondern eben gerade auch ihrer Zähne wegen wahrgenommen.
In „The White Lotus“, der buzziest Show des Jahres, begegnen wir nun Diastema mediale an vorstehenden Schneidezähnen. Sie gehören der ebenfalls umwerfend schönen Aimee Lou Wood. Das Publikum ist entzückt über den Anblick ihres natürlichen Lächelns.
Die Tochter eines Autohändlers aus der Gegend um Manchester spielt Yogalehrerin Chelsea, eine ebenfalls nicht wohlhabend geborene Engländerin, die mit dem deutlich älteren, vermögenden Rick (Walton Goggins) zusammen ist. Sie ist die eine Person im Luxusressort, die noch nicht weiß, wie Wein serviert wird, nämlich dass sie einen Schluck kosten und zustimmen soll, bevor ihr Glas gefüllt wird. Aber sie schämt sich nicht für ihr Unwissen: herrlich.
Spott in beide Richtung
Als Paar angeordnet verbreiten die beiden optisch einen ähnlich entspannten Hippievibe, aber in der Nahaufnahme, auf die Zähne konzentriert, kollidiert ihre charmante Natürlichkeit mit seiner angepassteren Wohlstands-Künstlichkeit. In seinem Gesicht prangen leuchtend weiße Zähne, sehr groß, sehr gleichmäßig. Herkunft und Klasse sind in die eigensinnigen Zähne eingeschrieben.
Es gibt Leute, die sagen, es sei an der Zeit, Mobbing zurückzubringen – dabei gibt es bereits Zahnärzt*innen, die in Reels die Zähne von Prominenten beurteilen. Brutal. Spott erfahren sie beide, Aimee und Walton. Weder das Künstliche noch das Natürliche sind den Spottenden unauffällig genug. Unauffälligkeit ist teuer, entweder wegen der Spangen und Verneers.
Oder weil es genetisch bedingt schwer und teuer sein kann, die Zähne zu behalten, die man mal hatte, denn sie zerbröseln so schnell, man zerknirscht sie ob des Zustands der Welt, man fällt hin oder einer nicht optimalen Behandlung zum Opfer.
Individualmerkmalen werden ausgelöscht
Walton Goggins hat nach eigener Aussage als Kind beim Baseballspielen die Schneidezähne verloren, das Künstliche in seinem Gesicht kann also nur sehr eingeschränkt als freiwillige Gestaltungsentscheidung betrachtet werden.
Aber die Serienfigur Rick hatte eben keinen Baseballunfall, sondern die Zähne, die man in den USA eben hat, wenn man es sich irgendwie leisten kann. Dafür muss man kein Hyper-Nepo-Baby mit Kennedy- und Terminator-Vorfahren sein, wie „White Lotus“-Ensembemitglied Patrick Schwarzenegger, dessen Zähne tadellos und nicht der Rede wert sind.
Kieferorthopädische Übertherapie, also Behandlung ohne medizinische Notwendigkeit, ist in den USA seit Langem vollkommen normalisiert. Das ist eine Kultur, in der die Verringerung von Individualmerkmalen zur Korrektur erklärt wird und deren Ausführung schon am Kind geschehen darf. Die Zwanghaftigkeit, mit der in einem Land ohne gesetzliche Krankenversicherung unauffällig makellose Zähne verlangt werden, setzt die Leute einem Schönheitsstress aus, von dem sie sich erlösen sollten.
Wieder stolz krummzähnig sein
Kein Wunder, dass die Zahnfee der Stunde, Schauspielerin Aimee Lou Wood, jetzt in jedem Interview über ihre Zähne sprechen muss. Tatsächlich wurde sie bisher ihrer natürlichen Zähne wegen eher nicht als US-Amerikanerin gecastet. Die Zeit der beruflichen Nachteile ihrer Zähne wegen sind für sie vorerst überstanden. Und das Publikum ist froh über die Normalisierung natürlicher Zähne.
Ihnen allen sei ein Blick nach Japan empfohlen, wo das Krumme als Teil zahnästhetischer Vorstellungen existiert: Der Schönheit besonders spitzer Eckzähne etwa huldigt man dort unter dem Namen Yaeba.
Ruft man sich das gelegentlich in Erinnerung und macht sich klar, was eine vermeintliche Korrektur, die nicht medizinisch notwendig ist, aus dem Gesicht herauslöscht, ermutigt das hoffentlich mehr Menschen, ganz stolz weiter krummzähnig zu leben.
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