: Agentengeschichte auf die „feine“ englische Art
■ Wollte der britische Geheimdienst MI-5 dem abgesprungenen Agenten Colin Wallace einen Mord in die Schuhe schieben? - eine Spurensuche
Der britische Journalist Paul Foot ist Spezialist für Justizirrtümer. Er arbeitet seit zehn Jahren beim 'Daily Mirror‘ und ist für seine Artikel und Bücher über zweifelhafte Gerichtsurteile mehrfach ausgezeichnet worden. In seinem neuesten Buch untersucht er den Fall des Colin Wallace.
Wallace ist Nordire. Er trat 1966 den „B-Specials“ bei, einer für ihre Brutalität berüchtigten Sondereinheit der nordirischen Polizei, die im Zuge der Bürgerrechtsbewegung aufgelöst worden ist. Zwei Jahre später ging Wallace nach England und wurde Propaganda-Offizier der britischen Armee. Als die britischen Truppen vor 20 Jahren dann als „Friedensstifter“ nach Nordirland entsendet wurden, kam auch Wallace in seiner Heimat wieder zum Einsatz. Seine Aufgabe war es, gezielte Falschinformationen und gefälschte Dokumente zu verbreiten, um „staatsfeindliche Organisationen“ zu diskreditieren. Zu seinen harmloseren Taten gehörte die Erfindung der Geschichte, daß die Nylonhöschen der weiblichen IRA- Mitglieder vorzeitige Bombenexplosionen auslösen könnten.
Wesentlich schwerwiegendere Folgen hatte jedoch die „Operation Uhrwerk Orange“ des britischen Geheimdienstes MI -5, an der Wallace beteiligt war. Ziel dieser Operation war es, Informationen über Personen zu lancieren, die der Mitgliedschaft in der IRA verdächtigt wurden, um Mordanschläge protestantischer Organisationen auf sie zu provozieren. Außerdem war Wallace am Aufbau einer Wäscherei in West-Belfast beteiligt. Da die britische Armee die Bewohner dieses katholischen Viertels allesamt für potentielle Terroristen hält, wurde die Wäsche zunächst in einem Speziallabor auf Sprengstoffspuren untersucht.
Wallace‘ Aufzeichnungen aus den 70er Jahren, die er Paul Foot zugänglich gemacht hat, beschreiben eine Rufmordkampagne des MI-5 gegen Labour-Politiker und liberale Tories. Verschiedene Politiker, unter anderem Edward Heath, Tony Benn, Michael Foot und David Owen sollten als verkappte Kommunisten oder - falls das zu weit hergeholt schien - als Homosexuelle „entlarvt“ werden. Foot hat die Aufzeichnungen auf ihre Authentizität überprüfen lassen und die Behauptungen mit tatsächlichen Vorfällen aus dem Zeitraum verglichen. Das Ergebnis bestätigt Wallace‘ Angaben.
Nun sind Enthüllungen der schmutzigen Tricks britischer Geheimdienste keine großen Sensationen mehr - selbst gutgläubige Menschen trauen ihnen inzwischen fast jede Sauerei zu. Deshalb konzentriert sich Foot in seinem Buch auf eine andere Frage. Ende 1974 war Wallace aus der „Operation Uhrwerk Orange“ ausgestiegen. Ihm wurde daraufhin nahegelegt zu kündigen. In der Folgezeit gab er hin und wieder Interviews, in denen er über Geheimdienstaktionen plauderte. Drei Monate, nachdem die 'Irish Times‘ im April 1980 eine Serie über Operationen des MI-5 gegen die Wilson -Regierung abgedruckt hatte, für die Wallace der Hauptinformant war, wurde er wegen Mordes an seinem Bekannten Jonathan Lewis angeklagt und schließlich wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Die Anklage hatte behauptet, Wallace habe eine Affäre mit Lewis‘ Frau gehabt und wollte ihn deshalb aus dem Weg räumen. Wallace‘ Version der Ereignisse klingt wie ein Agentenroman: Nicht er, sondern der MI-5 habe Lewis getötet und ihm den Mord in die Schuhe geschoben, um seine Aussagen über die Geheimdienste in der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Paul Foot ist sämtlichen Behauptungen nachgegangen und hat alle Indizien akribisch untersucht. Dabei hat er festgestellt, daß viele Fakten für Colin Wallace sprechen. Zwar kann Foot den Beweis für Wallace‘ Unschuld letztendlich nicht führen, doch bleiben nach der Lektüre dieses spannend geschriebenen Buches große Zweifel, ob Wallace zu Recht verurteilt worden ist.
Ralf Sotscheck
Paul Foot, „Who Framed Colin Wallace“, London, Macmillan 1989 (12,95 Pfund Sterling).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen