: »Agent Orange« im Todesstreifen
■ DDR-Grenzer versprühten auf dem Todesstreifen kiloweise Pflanzengifte, die dem Kampfstoff »Agent Orange« ähneln/ Senatsgutachter fahnden jetzt nach den mit Dioxin vermischten krebserregenden Chlorchemikalien
Berlin. Zumindest bis vor fünf Jahren haben die DDR-Grenztruppen auf dem Mauerstreifen rund um West-Berlin ein hochgiftiges Pflanzenschutzmittel namens »Selest« versprüht, das dem berüchtigten Kampfstoff »Agent Orange« ähnelt, mit dem US-Truppen weite Teile von Vietnam entlaubten. Noch 1985 seien 20 Kilogramm von Selest an die Grenzstreifen übergeben worden, sagte Umweltstadtrat Holger Brandt (SPD) gestern zur taz. 1980 waren es nach Brandts Unterlagen sogar 495 Kilogramm. Es sei nicht auszuschließen, daß die Grenzkommandos das Gift auch noch nach 1985 eingesetzt hätten. Größere Spuren davon haben die Behörden bei den bisherigen Untersuchungen im Grenzstreifen jedoch noch nicht entdeckt.
Genauso wie »Agent Orange« setzt sich Selest aus den zwei Chlorverbindungen 2.4. D und 2.4.5. T zusammen, die beide als krebsverdächtig gelten. »Entscheidend« sei allerdings, daß diese Stoffe produktionsbedingt oft auch mit dem hochgiftigen Seveso-Dioxin verunreinigt seien, erläutert Thomas Schwilling, zuständiger Referent in der Senatsumweltverwaltung. Während das 2.4. D bis in die jüngste Zeit in Bitterfeld hergestellt wurde, habe die DDR das 2.4.5. T von der österreichischen Chemie-Linz AG importiert, sagte der Chemiker Horst Beitz von der Biologischen Zentralanstalt in Kleinmachnow zur taz. Der Stoff habe laut »Spezifikation« pro Kilogramm bis zu 0,1 Milligramm des Seveso-Giftes enthalten dürfen. Nach Schwillings Ansicht sind das »wahnsinnig hohe« Werte.
Selest wurde nach Beitz' Worten gegen »schwer bekämpfbare« Pflanzen eingesetzt, beispielsweise gegen Strauchwerk. Als die Mauer noch nicht überall fertiggestellt war, wurde das Chemiegift nach seiner Auskunft in besonders großen Mengen eingesetzt. Trotzdem sei der Stoff, anders als »Agent Orange« in Vietnam, nie flächendeckend versprüht worden, beteuert der Kleinmachnower Chemiker. Erst als der österreichische Lieferant seine Produktion wegen verschärfter Dioxin- Grenzwerte einstellen mußte, beendete auch die DDR ihre Selest-Synthese. Das Pflanzengift wurde zuvor nicht nur im Grenzstreifen, sondern auch an Bahnböschungen und sogar auf Weideland eingesetzt, um unerwünschte Unkräuter zu eliminieren. Nach der Selest-Behandlung, so Beitz, durfte das Vieh 21 Tage lang nicht auf die Weide.
Den Boden im Grenzstreifen untersucht ein Gutachter im Auftrag der Senatsumweltverwaltung seit zwei Wochen auf Dioxin. In vier Wochen sollen die Ergebnisse vorliegen. Neben Selest stehen weitere sogenannte »Pflanzenschutzmittel« im Verdacht, das Erdreich mit Dioxin vergiftet zu haben, darunter das Mittel »Spritzhormin«, das wie Selest auf 2.4. D-Basis hergestellt wird.
Die Bodenproben, die verschiedene Behörden bisher entlang der fallenden Mauer entnommen hatten, brachten nirgendwo besorgniserregende Ergebnisse. Der Zehlendorfer Umweltstadt Benneter (SPD) hatte im Juli zusammen mit dem Bundesgesundheitsamt Proben untersuchen lassen. 2.4.5. T sei »nirgends nachweisbar« gewesen, sagte Benneter gestern. »Spuren« von Spritzhormin habe man dagegen gefunden. In den letzten Jahren stiegen die Grenztruppen ohnehin zum Teil auf eine ökologisch orientierte Bewirtschaftung des Todesstreifens: Auf den Teltower Grenzabschnitt holten die Grenzschützer Schafherden — mit dem vaterländischen Auftrag, die Unkräuter wegzufressen. hmt
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