Afrikastein in Berlin-Neukölln: In Stein gehauene Taten

Der „Afrikastein“ in Neukölln ehrt Täter des Genozids an den Herero und Nama, nicht die Opfer. Nach Jahrzehnten der Kritik soll sich nun etwas ändern.

Illustration: Eine Lupe nimmt eine stilisierte Landkarte von Namibia in den Fokus. Links und rechts davon steht jeweils ein Mensch

Völkermord, Opferzahlen, Täter: Kann man auf dem Herero-Stein nicht mal mit der Lupe finden Illustration: Sebastian König

BERLIN taz | Am nordöstlichen Rande des Friedhofs Columbiadamm liegt versteckt im Schatten der Mauer ein Findling aus rotem Granit. Die mit Vogeldreck bekleckerte Inschrift zeichnet den eineinhalb Meter hohen Klotz als Gedenkstein aus: Hier werden sieben deutsche Soldaten geehrt, die „in der Zeit vom Januar 1904 bis zum März 1907 am Feldzuge in Süd-West Afrika freiwillig teilnahmen“ und dort den „Heldentod“ starben. Nichts Besonderes, werden viele sagen, schließlich ist der ehemalige Soldatenfriedhof im Berliner Stadtteil Neukölln voll von Kriegsgräbern und -denkmälern. Und doch ist der Findling seit Jahrzehnten Anlass für Streit.

Dass mit dem „Hererostein“ oder „Afrikastein“, wie er genannt wird, die Täter eines Genozids geehrt werden, während es für die Opfer bis heute keinen Gedenkort in der Hauptstadt gibt, stößt afrodiasporischen und postkolonialen Initiativen seit Langem auf. Genauer seit 1973, als der Stein von einem Kasernengelände auf den Friedhof verlegt wurde – auf Initiative des Afrikakorps sowie des Traditionsverbands ehemaliger Schutz- und Überseetruppen. Auch deren Embleme, eine Palme auf eisernem Kreuz sowie ein Krempenhut mit schwarz-weiß-roter Kokarde, prangen seither auf dem Stein.

Kein Wort von Völkermord

Jedenfalls: Vor knapp 20 Jahren erreichte die Kritik die lokale Politik und man beschloss die Aufstellung einer Gedenktafel für die Opfer des Genozids. Nach fünf Jahren Diskussion (sic!) wurde 2009 eine schwarze Platte vor den Stein gelegt. „Zum Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia 1884–1915 insbesondere des Kolonialkrieges von 1904–1907“, heißt es darauf.

Die Kri­ti­ke­r*in­nen waren entsetzt: Kein Wort von Völkermord, keine Opferzahlen, keine Erwähnung der Herero und Nama. Dies war wohl der Einmischung des Auswärtigen Amtes geschuldet, das damals aus Furcht vor Reparationsforderungen nicht von „Genozid“ sprechen mochte.

Noch heute ärgert sich Christian Kopp von der Initiative „Berlin postkolonial“ über die Gedenkplatte, die in seinen Augen die ganze Sache fast noch schlimmer gemacht hat – zumal mit dem Wilhelm-von-Humboldt-Zitat am Schluss: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Kopp sagt: „Das ist schon zynisch angesichts der Verharmlosung der deutschen Verbrechen auf dieser Platte, die den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts mit über 80.000 ermordeten Herero und Nama nicht beim Namen nennt.“

Nun kommt erneut Bewegung in die Sache: Das rot-grün regierte Rathaus von Neukölln strebt die „Umgestaltung des ko­lo­nial­his­to­ri­schen Gedenk­en­sem­bles“ an, heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Die Frage ist nur: Wie?

Das weiß auch der neue Direktor des Neuköllner Stadtmuseums, Matthias Henkel, noch nicht. Aber dass etwas geschehen muss, ist für ihn klar: „Der Stein reproduziert eine zutiefst koloniale Perspektive auf die historische Faktenlage.“ Henkel möchte das Thema im Dialog mit der engagierten Zivilgesellschaft angehen. Für 2023 arbeitet er an einer Ausstellung. Arbeitstitel: „Stein des Anstoßes“.

„Wir werden darin den Versuch unternehmen, die verschiedenen Perspektiven sichtbar zu machen“, verspricht er. „Das Museum soll zu einem Labor für die Entwicklung einer zukunftsgewandten Erinnerungskultur werden.“ Am Ende, so hofft er, könnte eine Idee entstanden sein, wie man mit Hererostein und Gedenkplatte umgehen kann.

Dem Leninkopf hinterher

Manche sähen es wohl am liebsten, beides würde der Zitadelle Spandau übergeben. In der alten Festung am Rande Berlins stehen Denkmäler, deren Aufstellung im öffentlichen Raum nicht mehr opportun scheint oder ist. Wie der Leninkopf, der – damals noch mit Körper – am Kran durch den Film „Good bye, Lenin!“ schwebte. Aber das ist eine andere Geschichte.

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