Afghanistans Präsident auf Staatsbesuch: Weniger Asylsuchende gewünscht
Präsident Ghani und Kanzlerin Merkel verabreden bei Gesprächen in Berlin, Passfälscher und Schleuser stärker zu verfolgen.
Das ist die eine Seite der afghanischen Realität. Die andere Seite ist weit weniger herzerwärmend: In kaum einem Landesteil kann die Bevölkerung ein sicheres Leben führen, nur wenige Afghanen sehen eine wirtschaftliche Perspektive. Zehntausende fliehen deshalb Richtung Deutschland und Europa.
In den neu gewählten Präsidenten Aschraf Ghani setzten die Afghanen vor einem Jahr zwar große Hoffnungen. Erfüllen konnte er sie bisher aber nicht. Das wurde auch am Mittwoch deutlich, als sich Ghani während seines Deutschland-Besuchs mit Präsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier traf.
„Wir sind bereit, im Norden Afghanistans auch in Zukunft Verantwortung zu übernehmen. Unsere Versprechen gehen über das Jahr 2016 hinaus“, sagte Merkel nach ihrem Gespräch mit Ghani.
Die Pläne, die Bundeswehr abzuziehen, sind damit langfristig vom Tisch. Ursprünglich hatte die Bundesregierung angestrebt, schon im kommenden Jahr weniger Soldaten am Hindukusch einzusetzen. Bis Anfang 2017 hätte sie dann auch die letzten deutschen Truppen zurückholen können.
Dass daraus nichts wird, hatte sich in den letzten Wochen bereits angedeutet: Weil die afghanischen Sicherheitskräfte mit Angriffen der Taliban nicht fertig werden, hatte die Bundesregierung im November angekündigt, den Einsatz im kommenden Jahr sogar leicht aufzustocken.
Merkel: Keine falschen Hoffnungen wecken
„Sehr dankbar“ sei er für diese Unterstützung, sagte Ghani. Gleichzeitig betonte er, dass die deutschen Soldaten seine eigene Armee nur ausbilden sollten. Kämpfen könnten die Afghanen schon selbst.
Dennoch: Dass die afghanische Regierung in absehbarer Zeit für Sicherheit sorgen kann, glauben weder die Bundesregierung noch die Bevölkerung vor Ort. Rund 30.000 Asylsuchende aus Afghanistan registrierten die deutschen Behörden allein im Oktober. Eine Zahl, die die Bundesregierung mit aller Macht senken will.
„Wir dürfen keine falschen Hoffnungen machen“, sagte Merkel am Mittwoch. Viele Asylbewerber aus Afghanistan werde Deutschland „wieder zurückschicken müssen“. Ghani stimmte ihr grundsätzlich zu. Er sagte, Hilfe für 30 Millionen (die Bevölkerungszahl Afghanistans) sei wichtiger als Hilfe für 30.000 (die Zahl der afghanischen Asylbewerber im Oktober). Die beiden Seiten einigten sich darauf, Schleuser und Passfälscher in Zukunft stärker zu verfolgen. Außerdem werde man die afghanische Bevölkerung weiterhin über die Risiken der Flucht aufklären.
Zudem griff die Kanzlerin eine Maßnahme auf, die die Große Koalition vor vier Wochen beschlossen hatte. Damals einigten sich SPD und Union darauf, „innerstaatliche Fluchtalternativen“ in Afghanistan zu schaffen.
Merkel kündigte nun an, mit deutschem Geld Wohnraum in sicheren Teilen des Landes zu errichte. Details nannte sie aber nicht. Offen bleibt außerdem, wer den Frieden in diesen Schutzzonen garantieren könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt