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Affäre um "Hunger-Mutter" spitzt sich zuJerusalems "schwarzer Block" rebelliert

Eine ultra-orthodoxe jüdische Gemeinde wehrt sich mit aller Gewalt dagegen, dass der Staat eines ihrer Kinder vor dem drohenden Hungertod gerettet hat.

Die Verhaftung der "Hunger-Mutter", die ihren dreijährigen Sohn verhungern lassen wollte, löste Unruhen in Jerusalem aus. Bild: ap

JERUSALEM taz | Eine Polizeistreife ist an dem Haus der Frau, die ihren dreijährigen Sohn fast verhungern lassen haben soll, nur vorbeigekommen, da flogen in er Nacht zum Mittwoch schon wieder die Steine. Zum Verhör ist die in den israelischen Medien mit dem Spitznamen "Hunger-Mutter" versehene Ultraorthodoxe gestern auch nicht erschienen. Schon wird befürchtet, dass der gewalttätige Aufstand gegen den Staat in dem streng religiösen Jerusalemer Viertel Mea Schearim von vorne beginnen könnte. Denn auch der vom Gericht bestellte Psychiater Yaakov Weil ist sich nicht mehr sicher, dass die Beschuldigte "als Mutter funktionieren kann".

Sie hält sich in der Öffentlichkeit stets die Hände oder ein Buch vors Gesicht. Die 30-Jährige hat außerhalb ihrer Gemeinde kein Gesicht und keinen Namen, doch sie hat die schlimmsten Unruhen zwischen der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde und der Polizei seit vielen Jahren ausgelöst. Männer und Jungen mit Schläfenlocken, Gebetsfäden und schwarzen Hüten, die normalerweise den größten Teil ihres Tages mit dem Studium der heiligen Schriften verbringen, gerieten nach ihrer Verhaftung Mitte Juli völlig außer Kontrolle.

Die Ärzte vermuten, dass die Frau am "Münchhausen-Stellvertreter"-Syndrom leidet. Daran Erkrankte fügen anderen Schaden zu, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Nur noch sieben Kilo wog der abgemagerte Junge, als die Ärzte im Hadassa-Universitätskrankenhaus intervenierten. "Sie haben ein krankes Kind genommen und mit ihm Experimente durchgeführt", behauptet seine Mutter dagegen in ihrem bisher einzigen Interview.

Anders als die sonst üblichen Proteste berühren die jüngsten Unruhen den Kern des Konflikts: Die Frommen misstrauen dem Staat und verachten die Nichtreligiösen. Vor allem aber lehnen sie, anders als die Nationalreligösen, den Zionismus vehement ab. Einen jüdischen Staat zu schaffen, bevor der Messias kommt, ist ihrer Ansicht nach Gotteslästerung.

Die meisten Ultraorthodoxen in Israel, genannt Haredim, zahlen keine Steuern, sind vom Militärdienst befreit und leben mit ihrer ständig wachsenden Kinderschar von Sozialleistungen und Spenden. In den Augen der meisten säkularen Israelis nehmen sie viel und geben nichts. Der Staat versucht dennoch, einen Burgfrieden zu wahren, denn trotz aller Ablehnung des Staates nehmen die meisten von ihnen an Wahlen teil, um ihre Interessen zu wahren.

"Die große Mehrheit nimmt den jüdischen Staat inzwischen hin", sagt der israelische Politologe Gilad Malach. "Aber eine kleine extremistische Minderheit von etwa 30.000 Ultraorthodoxen lehnt den Staat Israel radikal ab." Sie zahlen aus Prinzip keine Abgaben, sprechen nur Jiddisch und nehmen auch nichts vom Staat. Aus dieser Gruppe - die "Eida Haridit" - stammt die beschuldigte Mutter, die inzwischen auf Kaution frei ist. Auch wenn die Eida Haridit nur etwa fünf Prozent der Ultraorthodoxen stellen, so haben sie doch großen Einfluss auf die gesamte Gemeinde der Haredim. "Sie gelten als rein. Auch weniger extreme Haredim bringen ihnen Achtung und Anerkennung entgegen", so Malach.

Hinzu kommt, dass der Vorwurf der Kindesmisshandlung für die kinderreichen Frommen "die schlimmste Beleidigung ist", so Yehuda Goodman von der Hebräischen Universität in Jerusalem, der auf den Umgang der Haredim mit psychischen Krankheiten spezialisiert ist. Dass die "Hunger-Mutter" verhaftet wurde, sei eine "schockierende und traumatische Erfahrung" für die Ultraorthodoxen. "Das Misstrauen ist ohnehin schon da. Da braucht es nur einen Funken, um eine Explosion herbeizuführen."

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19 Kommentare

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  • M
    Mari

    @ katzensniper: wie mich dieser unreflektierte Einsatz des Totschlagarguments 'Antisemitismus' anwiedert.

    Argumentiert mit eurem Zielobjekt 'schnipp-schnapp' wenigstens auf anständige Weise - wenn euch seine Meinung nicht gefällt.

  • C
    christoph

    schon witzig (bzw. traurig), wie alles, was an Nachrichten aus Israel kommt, immer die selbe Diskussion auslöst.

  • M
    Mohamed

    Dieser Bericht dient einen einzigen Zweck: Die Ultraorthodoxen Juden sollen dadurch langsam in den Drick gezogen werden, weil eine Deligation von Ihnen einen Solidaritätsbesuch mit anderen Gruppen im belagerten Gazastreifen in diesem Monat gemacht hatten, wo die Tatz darüber leider kein einziges Wort verloren hat.

     

    Ich bin von der Taz und der Frau Knaul sehr entäuscht.

     

    Eine freie Presse sieht anders aus

  • E
    Elias

    Vielen Lesern hier scheint auch nicht klar zu sein dass orthodoxe und besonders ultraorthodoxe Juden den Staat Israel selbst eher ablehnen und oft sogar richtiggehend antizionistisch eingestellt sind (im Gegensatz zu den sog. Nationalreligiösen, vielmehr aus diesen Kreisen stammen die Siedler in den Autonomiegebieten).

     

    Es wäre nicht verwunderlich wenn die hier beschriebenen Ultraorthodoxen vor einigen Monaten gegen den Gazafeldzug demonstriert haben, einige von diesen stehen der radikalklerikalen Hamas viel näher als dem säkulären jüdischem Staat...

  • A
    aso

    @ schnipp-schnapp, alias t.s.:

    Nachtrag:

    Daß Sie sich Sorgen um die Kinder in Gaza machen ist leider doch berechtigt:

    Ab ca. 3 Jahren werden sie von Hamas auf Israel-Hass gedrillt und zu Kindersoldaten erzogen.

    Was für ein „Frieden“ soll hier in die Kinder eingepflanzt werden. Was wird aus denen , wenn sie älter sind? Suizid-Attentäter?

    Dazu könnten Sie sich als Hamas-Kenner mal äußern.

    Aber leider kommt sowas wie Hamas-Kritik in ihrer selektiven Wahrnehmung nicht vor.

    Es dreht sich notorisch immer nur um die bösen Israelis, und die armen unschuldigen unterdrückten Palis, die ja kein Wässerchen trüben können (zwar trugen sie den Terror bereits 72 beim Attentat auf die olympischen Spiele in München nach D, aber das war ja nicht die Hamas. Hamas ist ganz lieb...).

    Selbstreflektion, Selbstkritik, sind intelligente Fähigkeiten. Nur leider haben diese bei Hamas, und Fanatikern keinen Platz...

  • F
    free-dome

    ich als Palästinenserin habe zwar einen sehr subjektiven Blick, was die Nahost-Politik angeht und mir haben einige Kommentare hier auch nicht sehr imponiert, aber ich möchte gezielt NICHT darauf eingehen, weil ich auch finde, dass man entweder für die Kinder in Gaza einen eigenen Blog einrichtet oder ein anderes Forum sucht...ich finde es zwar schockierend, dass die Rettung eines Kindes zum Ausschreiten von Unruhen führt, dennoch weiß man viel zu wenig über die Hintergründe, haben vielleicht auch die Rettungskräfte sich irgendwie falsch verhalten? Wie ist die Polizei mit ihnen (den Nachbarn) umgegangen? Denn bei den einen verehrt, sind sie bei den anderen doch eher unbeliebt.

    Ich bin bei solchen Berichten immer eher vorsichtig, denn man kennt oft Hintergründe nicht.

    Aber dass die Frau offensichtlich psychisch krank ist, halte ich für einen Fakt-sowas passiert allerdings überall auf der Welt-siehe Deutschland diese Tage.

  • OA
    o aus h

    @schnipp-schnapp:

    Sie wagen es die palästinensischen Kinder ins Spiel zu bringen, ohne an das Schicksal der Menschen in Darfur zu erinnern? Ohne die verbrecherische Behandlung der Armen im US-amerikanischen Gesundheitssystem anzuprangern? Die Toten in Somalia, die Mindestlöhne in Ostdeutschland? Aber klar, diese sind ja auch nicht vom internationalen Weltj... - oh, Entschuldigung, ich gleite ab.

    Also wirklich, kann man denn nicht einmal eine Nachricht für sich betrachtet lassen? So wichtig dass von Ihnen angesprochene Thema sein mag - es ist nicht das Thema dieses Artikels.

  • P
    palabra

    darf man fragen was dieser kommentar mit der meldung zu tun hat? haette der israelische staat ihrer meinung nach also nicht intervenieren sollen? (eine sehr polemische frage, ich weiss)

    hier werden wie immer themen miteinander vermischt die objektiv nichts miteinander zu tun haben. denn den die meldung hat einen makel, sie handelt zwar von einem vorfall aus israel, ist aber inhaltlich nicht zu kritisieren.

    ich erlaube mir denoch darauf kurz einzugehen: wenn der israelische staat seinen extremistisch religioes motivierten buergern deutlich macht, dass religion keine rechtfertigung fuer den tod eines kindes ist, kann ich nur sagen: bravo, ein schritt in die richtige richtung!

    mit gruessen

  • A
    Ayyetan

    @ schnipp-schnapp

     

    Das hat doch mit dem Thema nichts zu tun. Hier geht es um einen Innenpolitischen Konflikt zwischen Radikalen Orthodoxen Juden und der Regierung. Das zeigt (leider) wieder einmal mehr, wozu religiöser Fanatismus ausarten kann.

     

    Um auf das Thema Israel-Palästina zu kommen...Ich denke der Innenpolitische Konsens zwischen Liberale und Radikalen, zwischen Pragmatikern und Dogmatikern wird noch ganz wichtig im angestoßenen Prozess werden. Und je weniger die Radikalen und Rechtsaußen/Nationalisten auf beiden Seiten zu sagen haben, desto besser.

  • K
    kommentarkritik

    @schnipp-schnapp: wieso muss ein bericht, der laut untertitel von dem konflikt einer orthodoxen, jüdischen gemeinde mit dem israelischen staat handeln soll zwangsläufig das leid der palestinensischen bevölkerung behandeln? und wieso witterst du, dass der autorin nicht-jüdische kinder scheißegal sind. versteh ich nicht..

  • A
    ARE

    Fanatiker ... eine weltweit grassierende, bei unkontrollierter Vermehrung tödlich verlaufende Kulturseuche.

  • K
    katzensniper

    zu schnipp-schnapp..Nun der kleine Antisemit

    (ganz allgemein,nicht persönlich) nutzt jede Möglichkeit sich über den "bösen Juden" auszukotzen.

    Selbst eine psychisch Kranke ist ihm recht.

    Aber warum muss eigentlich Israel Leute versorgen die es (Israel) vernichten wollen?

    Und warum helfen eigentlich nicht die ägyptischen Brüder und Schwestern?

    Da gibt's doch auch eine Grenze soviel ich weiß

    Und was hat das jetzt alles mit dem Thema zu tun???

    Schönen Tach noch....

  • D
    Diether

    Eins nach dem anderen, schnipp-schnapp. Dieser Artikel hat eben dieses Thema. Über die Situation im Gaza-Streifen gab es in der taz und andernorts schon viele Berichte und es werden weitere folgen.

    Dieses Thema ist jedenfalls einen eigenen Bericht wert, zeigt es doch die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft, die den Staat an sich in seiner kritischen Situation destabilisiert, weil es dadurch ständig zur Beteiligung der ultraorthodoxen Parteien an Regierungskoalitionen kommt, worunter dann in erster Linie auch die Palästinenser leiden müssen. In diesem konkreten Fall kann man die Weltpolitik aber ruhig mal außen vor lassen und die Menschen selbst betrachten. Wieviel Unheil und Leid doch auch in diesem Fall von einer intoleranten und verbohrten Religionsauslegung/Ideologie ausgehen. Ein Kind, das unschuldig in diese Kreise geboren wird, bekommt die ganze Last der Verschrobenheit und Weltfremdheit aufgebürdet. Und dann darf es noch nicht einmal gerettet werden, weil die Retter nicht das richtige Weltbild haben! Wie weit sind wir da von islamischen Fundamentalisten oder den Evangelisten des Bible Belt? Wir brauchen also nicht mit dem Finger aufeinander zu zeigen, wir haben alle unsere ganz eigenen Verrückten. Weisen wir sie in ihre Schranken und leben wir vernünftig zusammen!

  • V
    Vatna

    @schnipp-sachnapp

    So schlecht geht es den Bewohnern von Gaza nicht. Schließlich haben sie sich in den letzten 25 Jahren von ca. 1 Million auf jetzt 1,5 Millionen vermehrt.

    Das kann bei ständigem Hunger nicht sein. Bitte hierzu selbst recherchieren.

     

    Vllt. sollten die Bewohner des Streifens mehr Nahrungsmittel statt Waffen durch die Schmuggel Tunnel bringen.

    Weiterhin wäre auch eine Art Friedensabkommen mit Israel dem Gesamtzustand förderlich.

    Aber, sie wissn es hoffentlich, hat die Hamas die vollständige Vernichtung Israels in ihrer Charta.

     

    Zitat:

    Die Hamas lehnt eine Zweistaatenlösung ab; ihre Charta verlangt unter anderem die Beseitigung Israels und die Schaffung eines islamischen Gottesstaats.

    Ende

    http://de.wikipedia.org/wiki/Hamas

     

    Die Gegenwart ist noch gemütlich, warten sie es ab.

     

    Wenn sie wieder mal Fragen haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich.

    Es ist gerechtfertigt.

     

    Nb. Das heißt noch lange nicht, dass alles was Israel macht in Ordnung ist.

     

    MfG.

     

    Vatna

  • R
    Roman

    Schnipp-schnapp: Die Gaza-Politik Israels ist auch in meinen Augen außerordentlich kritikwürdig. Aber dieses Thema ist für den obigen Bericht von Frau Knaul einfach nicht relevant!

  • S
    schreiber

    hallo schnippschnapp … woher hast du das mit den diätologen? link? ich google grade – darüber möchte ich mehr wissen … krasse schei**

  • A
    aso

    @ schnipp-schnapp, alias t.s.:

    „...um diese Kinder gerade eben so am Leben zu halten...“

    Na sprechen Sie es doch ruhig aus: Das ist Völkermord an den Palis, was die Israelis da machen.

    Merkwürdig nur, daß die Bewohner von Gaza / Westbank sich seit 48 verzehnfacht haben...

    Wie sagte noch Broder: Der „Völkermord“ an den Palästinensern ist der einzige, bei dem die Bevölkerung nicht kleiner, sondern größer wird...

    Aber machen Sie sich keine Sorgen. Niemand in Gaza muß hungern. Dafür sorgt schon die UN-Behörde. Und dann gibt es ja noch die Ägypter. Bei denen Sie sich beschweren können, daß die ihre muslimischen Brüder in Gaza nicht genügend unterstützen, da sie ihre Grenze ebenfalls dichtmachten...

    Daß Sie nicht mal den traurigen Anlaß einer psychischen Erkrankung der orthodoxen Jüdin verstreichen lassen, um Ihre nach immer selben Mustern ablaufende Pali-Propaganda zu verbreiten:

    shame on you...

  • O
    omoi

    D.h. man hätte über diesen Fall garnicht berichten dürfen?

    Oder dem Artikel ganz im Stil von SPON noch ein "übrigens, im Gaza streifen anhängen sollen?

     

    Wird man dadurch der Lage der Menschen im Gazastreifen gerecht?

     

    Ich wußte nichts von der Existenz dieser ultraorthodoxen Gruppierung (man möge es mir verzeichen, man kann ja nicht alles wissen und ich bin noch jung). Jetzt dagegen schon.

  • S
    schnipp-schnapp

    Währenddessen breiten sich unter den Kindern in Gaza Krankheiten durch Mangel- und Unterernährung aus. (Von der Traumatisierung dieser Kinder durch den israelischen Überfall mal ganz zu schweigen.)

     

    Und das dank genau desselben Staates, der Diätologen aus dem Gesundheitsministerium einsetzt, um ganz genau auszurechnen, wieviele Nahrungsmittel in den Gazastreifen zu liefern sind - natürlich bezahlt von der EU und anderen Spendern - um diese Kinder gerade eben so am Leben zu halten.

     

    Das ist jedoch nicht relevant für Frau Knaul - wird nicht von ihr berichtet, wie so manch anderes - denn diese Kinder haben einen Makel, sie sind nicht jüdisch.