Ärztemangel auf dem platten Land: Studienplätze für Landärzte
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will Medizin-Studienplätze für Bewerber reservieren, die sich verpflichten, Landarzt zu werden.
„Das ist rechtlich möglich und von der Sache her geboten“, sagte Weil. Während es in ländlichen Regionen zu wenig Ärzte gebe, würden sich diese in den Städten konzentrieren. „Wenn sich das nicht in überschaubarer Zeit durch Anreizprogramme der Kassenärztlichen Vereinigung ändert, werden wir eine Landarztquote in der medizinischen Ausbildung in Niedersachsen einführen“, kündigte er an.
Jeder dritte Arzt steht vor dem Ruhestand
Etwa ein Drittel der niedersächsischen Hausärzte werde in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, sagte der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Uwe Köster: „Wir werden nicht mehr jede Praxis wiederbesetzen können, das ist ganz klar.“ Bereits jetzt fehlen ihm zufolge 370 Ärzte, um eine Vollversorgung im Land sicherzustellen.
Geklagt hat eine Frau aus dem Kreis Stormarn gegen fünf Unis, die ihr einen Medizin-Studienplatz verweigerten. Sie hatte mit ihrem Abi-Schnitt von 2,0 keine Chance.
Ob die Auswahl vor allem nach Abiturnote mit dem Grundrecht auf freie Wahl des Berufs und dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das Bundesverfassungsgericht gefragt. Richter Ferdinand Kirchhof hat Zweifel an der Vergleichbarkeit der Noten zwischen den Ländern.
In der Wartezeit hat die Klägerin eine Ausbildung zur Intensivpflegerin gemacht und inzwischen ein anderes medizinisches Studium begonnen.
Eine Unterversorgung habe aber bisher durch Anreizprogramme flächendeckend verhindert werden können. Als unterversorgt gelten demnach Regionen, in denen der Versorgungsgrad unter 75 Prozent fällt. Es sei wichtig, Mediziner zu gewinnen, die auch wirklich Landärzte werden wollten. Eine Zwangsverpflichtung lehnt die KVN daher als „nicht zielführend“ ab.
Weils Vorschlag selbst ist nicht neu: Er entspricht einem Kernpunkt des sogenannten Masterplans 2020 zur Reform des Medizinstudiums, den Bund und Länder im März verabschiedet hatten. Darin heißt es unter anderem, dass den Ländern die Einführung einer Quote ermöglicht werden solle. Bis zu zehn Prozent der Studienplätze könnten sie vorab an Bewerber vergeben, die sich verpflichten, danach für zehn Jahre im ländlichen Raum zu arbeiten.
Auch abseits möglicher Quotenregelungen soll die Bedeutung der Abiturnote bei der Studienplatzvergabe sinken, stattdessen sollen soziale und kommunikative Fähigkeiten stärker gewichtet werden. Wie genau das umgesetzt und finanziert werden soll, ist noch offen. Eine Expertenkommission solle Detailfragen klären und die Vorschläge im Oktober 2018 vorlegen, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums.
Eine Änderung der bisherigen Vergabepraxis für Studienplätze würde auch die KVN begrüßen: „Wir verschleudern Potenzial, das wir an den Unis unterbringen könnten“, sagte Köster. Mit einer Landarztquote und anderen Vergabekriterien allein sei es aber nicht getan. Es müsse wieder mehr Medizin-Studienplätze geben.
Mit seinen Vorschlag bringt Weil auch ein staatliches Steuerungsrecht bei der Medizinerausbildung ins Spiel. Da diese pro Kopf „wahrscheinlich eine Viertelmillion Euro“ koste, dürfe der Staat auch steuern, wo die Ärzte später arbeiteten. „Wenn sich die Betreffenden ihrer Verpflichtung entziehen, sollte es eine Rückzahlungspflicht geben“, sagte er.
Über die genaue Höhe müsse noch diskutiert werden. Auch für die KVN sei es „legitim, die Frage nach Kompensation zu stellen“, wenn die Verpflichtung nicht erfüllt werde. „Ob sich das so umsetzen lässt, ist eine andere Frage“, sagte Köster.
Der Numerus Clausus steht ohnehin zur Disposition
Unabhängig von den Reformplänen wird die Vergabe von Medizin-Studienplätzen derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob das derzeitige Vergabeverfahren mit seiner Fokussierung auf die Abiturnote mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl und dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist.
Derzeit werden 40 Prozent der Studienplätze je zur Hälfte nach Abiturnote oder Wartezeit vergeben, wobei heute ein Notendurchschnitt von 1,0 bis 1,2 oder eine Wartezeit von bis zu siebeneinhalb Jahren erforderlich ist.
Die restlichen 60 Prozent werden direkt über Auswahlverfahren an den Hochschulen vergeben, bei denen jedoch ebenfalls die Abiturnote starken Einfluss hat. Insgesamt stehen nach Angaben des Gerichts derzeit 62.000 Bewerber rund 11.000 Plätzen gegenüber. Mit einer Entscheidung wird in einigen Monaten gerechnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht