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Ängste der Wähler

Am 5. und 6. Dezember ist Innenministerkonferenz in Bremen. Da gibt es mit Sicherheit nichts Gutes

Ist wieder mal Wahlkampfzeit, so beteuern Politiker aller Parteien „die Ängste der Wähler ernstzunehmen“ und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Der Aussage ist zu entnehmen, dass es keinesfalls darum geht, die Ängste der Bevölkerung auf denWahrheitsgehalt ihrer Gründe zu überprüfen. Ob die Wähler gerade von fremdrassigen Drogendealern, kinderschändenden Triebtätern, menschenfressenden Haustieren, pickeligen Amokläufern, integrierten Djschihad-Schläfern, profitsüchtigen Eurowucherer, faule Sozialschmarotzer, gewissenlose Schwarzarbeiter, oder ausländischer Schleppermafia Angst haben – staatliches Handeln ist angesagt.

Wäre auch naiv, von den Politikern zu erwarten, sie würden dem falschen Denken der Staatsuntertanen mit Aufklärung entgegenwirken. Allein schon deshalb, weil sie selbst zum Teil genau so denken. Keinem fallen die offensichtlichen Widersprüche auf. Wie sollen Sleeper Anschläge gegen Deutschland vorbereiten, wenn es gleichzeitig ihr „Ruheland“ sein sollte? Und wieso wird ausgerechnet das Mutterland des Judenmords und Hauptsponsor Palästinas zum Angriffsziel der antisemitischen Islamisten? Wie schaffen es Ausländer gleichzeitig „nicht arbeiten zu wollen“ und „uns“ Arbeitsplätze wegzunehmen? Oder mal was anderes gefragt: wieso schimpft man als Staatsbürger über die „Sozialschmarotzer“ und bescheißt selbst als Privatsubjekt die Steuer? Im letzten Fall haben wir es allerdings nicht einfach mit einem widersprüchlichen Denkkonstrukt, sondern mit der widersprüchlichen Wirklichkeit zu tun. Und wenn die braven Bürger härteres Durchgreifen fordern, dann gehen sie davon aus, dass sie nicht diejenigen sind, gegen die dann durchgegriffen wird.

Allerdings handelt es sich bei der Verschärfung der Repressionen und den Bürgerwünschen nach noch mehr davon nicht etwa um einen demokratischen Sachzwang (wenn die Menschen es so wollen, dann muß es so sein), wie es Politiker gerne darstellen, und auch nicht um eine bösartige Manipulation (eigentlich ist die Mehrheit dagegen, aber die bösen Medienkonzerne), wie es viele Verschwörungstheoretiker sehen. Vielmehr passen die Ressentiments der Wähler ziemlich gut zu nationalem Erfolgsprogramm des politischen Personals des Staates.

Es muß aber keineswegs immer so sein. Zum Beispiel standen neulich deutsche Politiker vor dem Problem, dem Volk zu erklären, dass es auch Ausländer gibt, die uns nützen, und dass man die Entscheidung über das Leben der „Fremden“ dem staatlichen Gewaltmonopol überlassen sollte, anstatt sie in Eigenverantwortung zu erschlagen. Daher sind Nazi-Skins auch keine gute Deutschen mehr.

Diejenigen aber, die angesichts der Perfektionierung der Überwachungsmethoden gleich vor Faschismus warnen, übersehen, dass der faschistischer Staat nicht wegen seinen ausgefeilten Überwachungstechniken, sondern wegen aktivem Mitmachen seiner Bürger so guten Zugriff auf seine Gegner (wirkliche oder vermeindliche) hatte. Und auch die heutige Sicherheitspolitik, verdankt ihr Erfolg der Loyalität der Staatsbürger. Die sehen es ein, das sie für die Sicherheit des Staates, die sie von ihren eigenen nicht trennen, viel schärfer Überwacht werden müssen. Das sind nicht Leute die etwa auf Schill und Co. reinfallen, ohne es wirklich zu wollen. Das sind die braven Wähler die lebenslanges Schuften für einen Löhn, der sich nur für ihren Arbeitsgeber lohnt nicht für eine Zumutung halten, dafür aber jeden, der sein Leben mit illegalen Drogen erträglicher Macht, einsperren wollen. Und wenn es Terroristen oder Obdachlosen mal so richtig auf den Kragen geht, dann zahlen die doch gerne mal mehr für ihre Zigaretten oder auch ein saftiges Bußgeld für Falschparken. Und gegen das Alltagsdenken solcher Menschen, die nun mal in die Mehrheit sind, geht man am besten mit Argumenten und nicht mit liberalen (also ihren eigenen) Ideallen vor.

Ansonsten nehmen die Politiker die Ängste der Wähler ziemlich ernst, setzen in ihren Wahlkompanien also massiv auf Ressentiments ihrer nationalistischen Basis und bringen entsprechende Slogans ein. Und wenn sie dabei erfolgreich sind, dann steigen die Ängste, so daß die Berufsnationalisten (also Politiker in ihrer Funktion) diese Ängste noch ernster nehmen können. Ewgeniy Kasakow

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