: Ämter statt Waffen für Sinn Féin
Ein Jahr nach Abschluß des Friedensabkommens für Nordirland gibt es kaum Fortschritte: Die Bildung der Regionalregierung hinkt dem Zeitplan hinterher ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
„Schwierig, aber machbar“, so schätzte der britische Premierminister Tony Blair die Chancen für die Umsetzung des britisch-irischenAbkommens über Nordirland ein. In den vergangenen zwei Tagen verhandelte Blair mit seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern und den nordirischen Parteien in Belfast bis spät in die Nacht, um vor Ablauf der Frist am morgigen Karfreitag doch noch eine Regionalregierung einsetzen zu können. Die Chancen dafür standen gestern schlecht. Vermutlich werden die Gespräche nach Ostern weitergehen.
Morgen ist es ein Jahr her, daß das Abkommen unterzeichnet wurde. Neben der begrenzten Machtübertragung auf das Belfaster Parlament sind darin die Einrichtung gesamtirischer Institutionen und eines „Rats der Inseln“ mit Vertretern beider Regierungen sowie der nordirischen, schottischen und walisischen Regionalparlamente vorgesehen. Außerdem legt das Abkommen Richtlinien über eine Polizeireform, die Freilassung politischer Gefangener und die Abrüstung der paramilitärischen Organisationen binnen zwei Jahren fest.
Der letzte Punkt ist heftig umstritten. Deshalb hinkt die Bildung der Regierung bereits ein halbes Jahr hinter dem Zeitplan her. Der Unionistenchef David Trimble, Friedensnobelpreisträger und designierter Premierminister, weigert sich, Sinn Féin in die Allparteien-Regierung aufzunehmen, solange ihr bewaffneter Flügel, die Irisch-Republikanische Armee (IRA), nicht ihre Waffen herausgerückt hat. Sinn Féin stehen laut Wahlergebnis vom vorigen Juni zwei Ministerposten zu. Die IRA signalisierte gestern Kompromißbereitschaft: Sie würde offiziell das Ende ihrer bewaffneten Kampagne erklären und mit der Abrüstungskommission des kanadischen Generals John de Chastelain zusammenarbeiten, so hieß es, falls Trimble zuvor einwilligt, dann seinen Widerstand gegen die Sinn-Féin-Minister aufzugeben. Trimbles Mitarbeiter reagierten unterschiedlich auf das Angebot: Der frühere Belfaster Bürgermeister Reg Empey sagte: „Wir könnten dann die Einzelheiten über die Regierungsbildung ausarbeiten.“ Der Parteivize John Taylor meinte dagegen, daß es auch dann keinen Ministerposten für Sinn Féin geben werde, wenn die IRA ihre Waffen abgebe.
Damit ist jedoch erst zu rechnen, wenn die Vorschläge für eine umfassende Reform der Royal Ulster Constabulary (RUC), Nordirlands Polizei, im Sommer vorliegen. In den vergangenen Tagen haben sich die Hinweise verstärkt, daß die RUC ihre Hände bei dem Mord an der engagierten Anwältin Rosemary Nelson vor drei Wochen im Spiel gehabt hat. Aus einem Geheimpapier, das der Irish News zugespielt wurde, geht hervor, daß die Beamten auf Anordnung der Polizeiführung ihre Aussagen koordiniert hatten, bevor sie voriges Jahr wegen Nelsons Beschwerden über Polizeischikane und Morddrohungen vernommen wurden. Die Polizei schob in ihrer Antwort vorgestern „Kommunikationsstörungen sowie Verwaltungs- und Organisationsprobleme“ vor. Darüber hinaus sind Beweise aufgetaucht, wonach die RUC und der britische Geheimdienst für die Bombenanschläge 1974 in der Republik Irland verantwortlich waren, bei denen 33 Menschen getötet wurden. Die Familien der Opfer sagen, ein hochrangiger Beamter habe unter Eid erklärt, daß die Anschläge und eine ganze Reihe weiterer Morde in Nordirland von „höchster Polizeiebene“ abgesegnet worden seien. Solange die RUC nicht gründlich reformiert sei, sagte ein Sinn- Féin-Mann gestern zur taz, könne man von der IRA keine Abrüstung verlangen, zumal die Zahl loyalistischer Anschläge in den letzten Wochen stark zugenommen hat.
Zuletzt gab es am Montag einen Bombenanschlag auf das Haus des Sinn-Féin-Bezirksverordneten James McCarry.
Brian Feeney von der gemäßigten Sozialdemokratischen Partei SDLP macht David Trimble dafür mitverantwortlich, weil er mit seiner feindseligen Rhetorik eine Atmosphäre geschaffen habe, in der viele Unionisten das Karfreitags-Abkommen inzwischen als „Teufelswerk“ ansehen. Sinn Féin und IRA hätten sich von den meisten Prinzipien ihrer früheren Politik verabschiedet und ihre Anhänger behutsam auf diesen Schritt vorbereitet, sagt Feeney. Für die Unionisten kam das Abkommen dagegen aus heiterem Himmel, noch wenige Tage vor der Unterzeichnung hatte Trimble den Vertrag verworfen. Feeney wies auf die widersprüchliche Haltung des Unionisten-Chefs hin: „Trotz seiner erstaunlichen Wende behauptet Trimble entgegen allen Tatsachen, daß er seine Position in keinem Punkt verändert habe.“ Trimble benutze noch immer dieselbe Sprache der Konfrontation und erfinde seit einem Jahr Verzögerungstaktiken. Nach Einschätzung des Sozialdemokraten fügt diese Haltungs David Trimbles dem Friedensprozeß schweren Schaden zu.
Für viele Unionisten in Nordirland ist das Friedensabkommen ein „Teufelswerk“. Sie sind aggressiv gestimmt.
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