Ähnlichkeiten rein zufällig

Skandal: „Die lange Nacht der Spekulanten“ in Salzburg  ■ Von Stefan Miller

Das Stück basiert auf einem echten Skandal: Am 16.November 1992 begann in Salzburg das größte Konkursverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Rund 25.000 Gläubiger sind schätzungsweise davon betroffen. Größtenteils kleine Leute, die hofften, durch steuergünstige Kapitalanlagen das schnelle Geld zu verdienen. Abenteurlich hohe Renditen hatte ihnen eine Immobiliengruppe versprochen, die unter den Namen WEB oder Concentra bekannt geworden ist und aus 30 ineinander verschachtelten Firmen bestand, deren Briefkästen sich auch in Übersee befanden, was die Kontrolle durch das Finanzamt erschwerte. Circa 2,1 Milliarden Schilling Anlegerkapital wurden zwischen diesen Firmen verschoben. Als die Concentra im November in Konkurs ging fanden sich noch ganze 2.807 Schilling auf dem Girokonto.

Die Verflechtungen gingen bis in hohe politische Kreise: Der Salzburger Bürgermeister Josef Reschen hatte sich der Firmengruppe bedient, um steuerschonend an eine Wohnung zu kommen und mußte sein Amt aufgeben. Als einer der Köpfe dieses windigen Imperiums gilt der ehemalige Staatsanwalt Norman Graf. Die Prozesse gegen verschiedene Akteure in diesem Spekulantendrama laufen bereits oder werden in Kürze beginnen.

Das Theater um korrupte Politiker, clevere Immobilienhaie und naive Kleinanleger veranlaßte den Dramatiker Herwig Kaiser zu einer Farce, die er dem Salzburger Landestheater anbot. Dieses suchte ein passendes Stück, um seinen 100. Geburtstag angemessen zu begehen und befand den skandalträchtigen Text für geeigneter als heiße Honoratiorenhymnen vor kaltem Buffet. Der gebürtige Grazer Kaiser hatte schon 1981 sein Stück „Ein-Tritt ins Leben“ für die Salzburger Kammerspiele verfaßt und weitere zehn Dramen für Bühnen von Bonn bis Wien (Theater an der Josefstadt) geschrieben. Als promovierter Jurist, der im Hauptberuf als Chefdramaturg am Saarländischen Staatstheater arbeitet, schien er der geeignete Mann, die komplizierten unternehmensrechtlichen Verflechtungen für das Theater durchsichtig zu machen.

Seine juristischen Kentnisse wurden Kaiser freilich noch in anderer, unerwarteter Weise nützlich. Denn Bernd Schiedeck, einer der Manager der WEB Gruppe, beantragte beim Salzburger Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Aufführung von Kaisers Farce „Die lange Nacht der Spekulanten“. Schiedeck sah sich in der Gestalt des Immobilienhaies „Schneiderhahn“ von Kaiser so präzise porträtiert, daß er die Beeinflussung eines schwebenden Gerichtsverfahrens gegen sich befürchtete. Die Schöffen, die dieses Stück gesehen hätten, wären danach befangen, so seine Argumentation. Das Salzburger Landgericht folgte dieser Auffassung nicht, die Uraufführung ging am vergangenen Donnerstag über die Bühne.

Die Erwartungen beim Publikum waren dementsprechend gespannt. Doch die Enthüllungen blieben aus. Man erfuhr nichts, was nicht zuvor schon in der Presse zu lesen gewesen wäre. Nein, es wurde lediglich mit den Mitteln der Farce ein mögliches Spekulantenschicksal etwas überzeichnet dargestellt. Konkret: Der Lateinlehrer Wilhelm Note, der bei einer Immobiliengruppe Anteilscheine für vier Mio Schilling erworben hat, versucht sich Recht zu verschaffen, als er merkt, daß sein Geld verloren ist. Er dringt in die Wohnung des Aufsichtsratsvorsitzenden Fritz Prinz ein. Dieser stürzt, wird bewußtlos und von Note mitsamt einem Koffer von Geschäftspapieren entführt, als Faustpfand im Tauziehen um Gerechtigkeit.

Doch der kleine Biedermann ist den durchtriebenen Immobilienhaien letztlich nicht gewachsen. Am Ende schwört er seiner Profitgier ab und opfert sich für seine Vorstellungen von einer humanen Gesellschaft. Das könnte überall passieren und Bühnenbildner Knut Hetzer deutet Salzburg als Ort des Geschehens denn auch nur schemenhaft mit der Silhoutte der Festung an. Die verschiedenen Wohnstuben davor, sind so geschmacklos wie beliebig, eingerichtet.

Herwig Kaiser erliegt bei allem gesellschaftspolitischem Engagement nicht der Versuchung, sich zum pathetischen Ankläger für die kleinen Geneppten aufzuschwingen. Mit Wortwitz und Situationskomik gibt er die naive Geldgier der Kleinanleger ebenso der Lächerlichkeit preis wie die korrupte Skrupellosigkeit der Finanzjongleure

Regisseur Edwin Noäl scheut sich denn auch nicht, Stilmittel des Slapstick einzusetzen, angefangen mit einer biergefüllten Polizistenmütze, die sich über den Besitzer ergießt, bis zu einer amourösen Verfolgungsjagd in Unterwäsche um einen Eßzimmertisch. Peter Pikl verleiht der Figur des spekulierenden Altphilologen durchaus überzeugende Charakterzüge und läßt ebenso wie Hanne Rohrer als seine Gattin immer wieder komödiantisches Talent aufblitzen. Dennoch kommen Längen auf. Die Pointen sind oft langsam und halbherzig gesetzt, das Stück plätschert meist flach dahin.

Die Diskussion um die Verdichtung von skandalösen Tatbeständen mit den Mitteln der Kunst, die im Vorfeld dieser Premiere juristisch geschürt wurde, ist so alt wie die Kunst selbst. Als Thomas Mann vor einem Gericht vorgeworfen wurde, er habe mit seinen „Buddenbrooks“ einen Schlüsselroman geschrieben, erklärte er: „Es ist nicht die Gabe der Erfindung, die der Beseelung ist es, welche den Dichter macht“. Es kommt also darauf an, was man daraus macht. Nicht aus dem Beton Immobilien, sondern aus dem Immobilienskandal ein Stück über den Tag hinaus. Herwig Kaiser aber macht den Zuschauer weder mit ihm unbekannten Mißständen vertraut, noch nötigt er uns grundsätzliches Nachdenken über den Zusammenhang von seelischer Leere und plattem marktwirtschaftlichem Materialismus ab, auch wenn seine Dialoge mit Zitaten von Wittgenstein bis Ovid gewürzt sind.

Was bleibt sind einige komödiantische Kabinettstückchen beispielsweise zweier vertrottelter Polizisten (Paul Hör und Peter Scholz) und einige anschauliche Bilder, wenn beispielsweise Emil Schneiderhahn (Fritz Egger) den Fluß des Kapitals zwischen diversen Gesellschaften mit einer beeindruckenden Umfüllaktion von Kaffeetassen und einer mittleren Überschwemmung auf einem Wohnzimmertisch illustriert. Bei aller Aktualität ist „Die lange Nacht der Spekulanten“ gesellschaftlich engagierte Unterhaltung, die aber nicht an die Gesellschaft heranreicht.

Was bleibt ist die Erleichterung beim Saarländischen Staatstheater, daß man den Dramaturgen behalten wird, weil er mit dieser Farce wohl kaum seinen Durchbruch als Autor erleben wird.

„Die lange Nacht der Spekulanten“ von Herwig Kaiser, Uraufführung am Salzburger Landestheater. Inszenierung: Edwin Noäl, Bühne: Knut Hetzer, Kostüme: Alexandra Bentele; mit Peter Pikl, Hanne Rohrer und Fritz Egger. Nächste Aufführungen am 3., 4. und 7.Februar