Adria-Rundreise: Das Illy-Meer
Bis in die Neuzeit war die Adria ein venezianisches Meer, dann ging es epochenweise bergab. Und heute? Eine Umrundung in fünf Etappen.
Nach Venedig oder nach Triest? Linksrum oder rechtsrum? Wie umrundet man ein Meer? Wir entscheiden uns gegen den Uhrzeigersinn. Die Adria geht nicht mit der Zeit. Die Adria ist notorisch nostalgisch.
Also von Grado, wo man von Villach kommend unmittelbar auf die Adria stößt, Richtung Venedig. Hinter uns die Alpen, vor uns knapp 2.000 Kilometer Küste. Dann sind wir wieder in Grado – so es unser alter Renault Clio, Italiener, Albaner, Montenegriner, Bosnier, Kroaten und Slowenen zulassen.
Die Idee stammt von einem Franzosen. Fernand Braudel, Historiker und Begründer der Mentalitätsgeschichte, hat in seinem Standardwerk über die Geschichte des Mittelmeers einmal behauptet, dass die Adria etwas Besonderes sei. Dass sie von allen Untermeeren des Mittelmeers das „zusammenhängendste“ sei. Natürlich hatte Braudel die Adria der Venezianer im Kopf. Den Zerfall Jugoslawiens und das Völkerschlachten der neunziger Jahre hat er nicht mehr erlebt. Was ist geblieben vom Verbindenden? Was trennt noch immer? Gibt es wenigstens eine Adriaküche?
Geografie: Die Adria reicht vom Golf von Venedig bis zur Straße von Otranto. 72 Kilometer sind es vom Kap von Otranto bis nach Vlorë in Albanien. Südlich der Adria beginnt das Ionische Meer. An der längsten Stelle ist die Adria 860 Kilometer lang. Die durchschnittliche Breite beträgt 160 Kilometer. Die Küstenlinie der Adria ist, ohne die Inseln, 1.836 Kilometer lang.
Geologie: Der Gargano, der Sporn des Stiefels, teilt die Adria in eine Nord- und eine Südhälfte. Im Norden ist das Meer nur 40 bis 200 Meter tief. Im Süden erreicht es zwischen Durrës und Bari eine Höchsttiefe von 1.260 Meter.
Geschichte: Adria, die Stadt, die dem Meer den Namen gab, ist eine venetische Siedlung, die lange vor den Etruskern mit Griechenland gehandelt hat. Bis zur Frühen Neuzeit war die Adria in venezianischer Hand, Venedig begründete den Stato da mar, den Meeresstaat. Mit der Entdeckung der Neuen Welt sank der Stern der Adria. Im 19. Jahrhundert wurde das Meer von den Imperien Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich sowie von Italien beherrscht. Zwischen 1945 und 1989 verlief durch die Adria der Eiserne Vorhang.
Dolcefarniente, der Sehnsuchtsort
An der Adria war ich zum ersten Mal am Meer. 1965 war das, in Caorle. Zwei Jahre war ich alt. Eigentlich wollten meine Eltern die Ferien am Millstätter See verbringen. Doch in Kärnten regnete es – und die Adria versprach Sonne. So haben nicht nur Dolce Vita und Dolcefarniente den Sehnsuchtsort hervorgebracht, sondern es war auch das Wetter.
Doch das gefiel nicht jedem. Jetzt sei Caorle „der Strand von Wien, München und Ulm“, gruselte sich Pier Paolo Pasolini schon 1959. Im Auftrag der Illustrierten Successo hatte der Regisseur die italienische Küste von San Remo bis Triest bereist, den Stiefel runter und wieder hoch, und war dabei auch in das einst verschlafene Fischerdorf gekommen, das nun den Deutschen gehörte: „Auf 3.000, 4.000 Einwohner und 1.000, 2.000 Sommerfrischler aus Venetien kommen 8.000 Deutsche“, notierte Pasolini in seiner Reportage „Die lange Straße aus Sand“ und trauerte den Zeiten hinterher, als Caorle noch ein Geheimtipp war. „Ich schwöre, es war einer der schönsten Orte der Welt. Es gab keine Brücken, die Kanäle und Lagunen überquerte man auf sehr langsamen Flößen. Keiner kannte es.“
Das erste Mal am Meer
Mein Caorle sah anders aus. Nicht „Teutonengrill“ oder „Hausmeisterstrand“, sondern baden und buddeln; nicht sentimental, sondern quietschbunt; ich trauerte nicht über Verlust, sondern begann zu entdecken: die lustigen Dreiradlaster, auf denen die Lautsprecher unentwegt plärrten. Das Gelato am Strand, das so ganz anders schmeckte als das Softeis im schwäbischen Eislingen. Das Zelt, das nun für drei Wochen die heimatliche Wohnung ersetzte. Nichts davon würde ich, der Zweijährige, in Erinnerung behalten, nur den Geschmack dieser drei Silben: Ca-or-le. Mein erstes Mal am Meer wird immer mit dem Fischerort verbunden sein, der Pasolini zerronnen war wie Sand zwischen den Fingern.
Fabrizio Boscarato ist froh über die Kundschaft. Mächtig stolz führt uns der Archäologe durch die abgedunkelten Räume des Nationalmuseums in Adria. Einst gab die Stadt dem Meer den Namen, und Boscarato weiß, warum. „Als die Griechen am Mittelmeer ihre Kolonien gründeten, kamen sie auch in den Norden jenes Meeres, das sie bis dahin Mare Superum, das Obere Meer, genannt haben.“ Boscarato fasst sich an den Ziegenbart. „Plötzlich entdeckten sie den Handelsort, der schon vor den Etruskern da war, und haben ihm die Ehre erwiesen. So wurde aus dem Mare Superum das Mare Adriaticum.“ Adria, die Stadt, importierte Keramik und verkaufte den Griechen Weizen. „Die Stadt war multikulturell wie später das ganze Meer. Venetier, Etrusker und Griechen haben auch untereinander geheiratet. Die Grabbeigaben beweisen es.“
Adria freilich zahlte für sein erfolgreiches Branding einen hohen Preis. Zum Handelsort aufgestiegen war es wegen seiner Lage an der Mündung des Pos ins Meer. Über die Jahrhunderte hinweg aber verlandete das Podelta, und Adria wurde zur Binnenstadt. Unter den Römern nahm bald Aquilea die Rolle als Handelsort ein. Doch der Name Mare Adriaticum blieb. Nicht einmal die Venezianer haben es geschafft, dem Meer ihren Namen, Golfo di Venezia, zu geben. Damals galt das Wort der Griechen noch etwas. Byzantinische Spuren sind bis heute an der Adria vorhanden. Peschici etwa leuchtet so weiß über dem Gargano, dass man es gut für eine Stadt auf den Kykladen halten könnte.
Die Adriaküste ist das dritte Italien
Diese Stadt feiert sich selbst. Seit einer Stunde beobachten wir die anschwellende Menschenmenge. Herausgeputzt und frisch frisiert, schlendern Jung und Alt über die Hafenpromenade von Trani, einst ebenbürtig mit Bari, der heutigen Hauptstadt Apuliens. Corso. Südlicher Corso. Apulischer Corso. Ein armer Süden ist das hier nicht. Das „dritte Italien“ haben sie die Adriaküste schon in den 70er Jahren genannt. Das erste ist der reiche Norden, das zweite der Mezzogiorno, das dritte ist das Italien an der Adria. Mit dem Meer ist Trani geradezu verwachsen. Die Kathedrale wird von den Wellen umspült, ebenso das Kastell der Staufer.
Apulien ist ein Ort für Schwaben. Nirgendwo wird ihnen so viel Ehre erwiesen wie im Land des Stauferkaisers Friedrich II. Überall finden wir eine Via Federico oder eine Bar Svevo. In Jesi, dem Geburtsort des Schwabenkaisers aus Apulien, kündet sogar eine arabische Inschrift vom freudigen Ereignis. Friedrich hatte eine muslimische Leibgarde, und die durfte, vor allem in Lucera, so viele Moscheen bauen, wie sie wollte.
Die Adria als Brücke zwischen Okzident und Orient? Vielleicht doch nicht nur Tourismuswerbung? Nichi Vendola, der schwule, linke Präsident von Apulien, hat einmal seinen Traum verraten: „Es ist ein Traum von Vermischung: eine Komposition arabischer Noten und balkanischer Klänge; dazu Griechisches – wie die weißen Steine von Otranto – und Provencalisches – wie in den Klängen des Apennins. Ich träume den Traum eines friedlichen Miteinanders, von gegenseitiger Bereicherung bei aller Andersartigkeit, von einem Zusammenleben, bei dem alle Beteiligten gewinnen.“
Albanien ist touristenfein
Hinter Otranto, der weißen Stadt, endet die Adria. Vor uns Militäranlagen, Abhörstationen. Albanien ist nur 72 Kilometer entfernt. An der Straße von Otranto lagen der Westen und der Osten auf Lauer. Heute verraten nur noch die 750.000 Bunker, die Albaniens Diktator Enver Hoxha bauen ließ, vom Eisernen Vorhang. „Ihr kehrt am besten gleich wieder um“, rät uns eine Griechin, als wir in Igoumenitsa ankommen und von der Weiterfahrt nach Sarrandë erzählten. „Albanien hat sich von den Folgen des Kommunismus noch nicht erholt.“
Gern hätten wir ihr vom Gegenteil berichtet. Davon, dass sich Sarrandë touristenfein gemacht hat, während Igoumenitsa Durchgangsstation geblieben ist. Dass wir in Borsh an der Albanischen Riviera ein Fischerdorf gefunden haben, in dem der Fisch, der Wein, der Ziegenkäse, das Gemüse aus dem Netz und dem Garten unseres Herbergsvaters stammt. Ja, es gibt sie, die Adriaküche. Pizza und Pasta gehören nicht dazu.
Wir hätten der Griechin, deren Vorfahren im heutigen Durrës die erste Kolonie an der Adria gründeten, auch erzählen können, dass die Schmuggler noch immer ihr Unwesen treiben, wir ihnen aber nicht begegnet sind und irgendwann aufhörten, unser Auto abzuschließen, weil Albanien sicher ist. Wenn es ein kommunistisches Erbe gibt, ist es eine gewisse Unbekümmertheit dem Glauben gegenüber. In Shirokë, einem muslimischen Fischerdorf am Shkodra-See, haben sie uns schon am Morgen mit Raki verabschiedet. Es war der emotionalste aller Abschiede auf dieser Adriareise.
Fest in der Hand der reichen Russen
Abramowitsch-Jachten: Ich habe keine Ahnung, wie groß die Jacht von Abramowitsch ist, aber das müssen Abramowitsch-Jachten sein. Außerdem ist da dieses Werbebanner: Azimut Yachts, Montenegro. Zwei Filialen hat die Abramowitsch-Jacht-Filiale: in Moskwa, Rossija und in Budva, Tschernogorija. Fest in der Hand der reichen Russen ist die montenegrinische Küste. Als die Venezianer noch die Adria beherrschten, verlief in Kotor die Grenze zum Osmanischen Reich. Hoch in die Berge wurde die Stadtmauer gebaut, weil die Türken keine Seemacht waren, sondern übers Hinterland kamen.
Die Russen kommen über die Adria und kaufen die Küste, klagt unser Gastgeber. Über die Küste kamen auch die Venezianer. Bis heute kann man den Gegensatz beobachten: der schmale Küstenstreifen weltoffen und kosmopolitisch, im Hinterland sammelt sich das Ressentiment.
Ciao. Hvala. So grüßt der Getränkelieferant seine Kundschaft in einem kleinen Laden in Piran. Tschüss auf Italienisch und Danke auf Slowenisch. Wenn die Adria ein Meer der verschiedenen Kulturen ist, die es dennoch miteinander verbindet, ist Istrien die Seele dieses Meers, sagt Goran Vojnovic. Der slowenische Autor und Filmemacher hat mit „Piran. Pirano“ einen Film über das schwierige, aber nicht unlösbare Verhältnis der ehemaligen und neuen Bewohner in der slowenischen Küstenstadt gedreht. Auf Istrien ist die Zeit des Kalten Krieges und der vielleicht blutigsten Grenze Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorbei.
Ciao. Hvala. Das hätte auch von Ricardo Illy kommen können. Der Spross der Kaffeedynastie aus Triest hatte nach seiner Wahl zum Bürgermeister die erste Rede auf Slowenisch gehalten. Eine Provokation für Italiens Nationalisten und ein Willkommensgruß an die, die die ehemalige Hafenstadt der Donaumonarchie nun als Tor zum Osten sahen. Letztere sollten recht behalten. Illy-Kaffee gibt es inzwischen nicht nur in Italien. Auch in Borsh, unserem Geheimtipp an der albanischen Küste, stand eine Illy-Maschine. Vielleicht ist das die Gemeinsamkeit, nach der wir gesucht haben. Keine hochtrabende Brücke der Kulturen, sondern die Adria als Illy-Meer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag