■ Ach, wunderbarer Peter Rühmkorf! Wirst heute auch schon 70. Bist ein großer Dichter. Ein linker Dialektiker der Wahrnehmung. Bist der am meisten Unterschätzte aller Klugen. Und dabei nobel immer ganz bei dir geblieben. Hast Lob und Liebe dafür längst verdient.: Der Poet – halb Dandy, halb Clochard
Für Peter Rühmkorf – 114 Zeilen Lob und Liebe
So hätte die Sache heißen können, wäre ich nicht Zeugin gewesen eines beiläufigen Auftritts des Dichters P.R. auf der diesjährigen Buchmesse, nachts gegen zwei, bei dem er, mit segnender Gebärde die überfüllten Tische des „Rowohlt-Cafés“ anmutig umschiffend und schließlich auf einem Stühlchen, beinahe fragil wie er selbst, stationär Aufenthalt nehmend, eine kleine, aber pathologisch scharfe Analyse des Stabreims vornahm, Kult und Verhängnis der deutschen Sprache: Er habe festgestellt, sagte der Fernsehzuschauer P. R., dass von „Titel, Thesen, Temperamente“ bis „Bios Bahnhof“ die Alliteration Erfolgsmerkmal schlechthin der Fernsehindustrie zu sein scheine. In einem kurzen Ausflug in die deutsche Geschichte kam er auch auf historisch wirksame andere Stabreime zu sprechen, und natürlich fiel dem Linken P. R., im März 45 als Schüler noch gerade dem letzten Werwolf-Aufgebot von der Schippe gesprungen, der erfolgreiche Gruß „Heil Hitler“ ein.
In der „Protest-Chronik“ der Republik taucht der Dichter auf als Aktivist des Wortes (Gründung des Hamburger Studenten-Kuriers, Vorläufer von Konkret), als Verehrer von Gottfried Benn, als Sargträger Hans Henny Jahnns, als Störer auf einer CDU-Veranstaltung im Wahlkampf 57, als Gegner der Atombewaffnung und als Kabarettist. Er war immer so undogmatisch, wie heute viele gern gewesen wären, ein inspirierter Materialist, Aufklärer der Erfahrung. „Die Jahre, die Ihr kennt“, seine Autobiografie von 1972, ist Leibes- und Zeitvisite von einem, der sich so ernst nimmt, dass er nicht narzisstisch sein muss, und der so lebendig geblieben ist, dass er nie der Versuchung erlag, aus seinen Gedanken Systeme zu gipsen. Die „nervensägenden Betrachtungen zur sozialistischen Kultur“ hat er zeitlebens frisch unterlaufen (zwei Aufsätze von ihm: „Die Kleinschreibung – ein Industrieprodukt“, 1973; „Du, lass dich nicht verzärteln“ zu Biermann 1976); so blieb ihm erspart, am Nasenring der Zeitenwende die üblichen Unterwerfungsrunden zu absolvieren. „Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet: / Bleib erschütterbar – doch widersteh!“
Ach, Peter Rühmkorf! Man kann ganz ohne Übertreibung sagen, dass er der am meisten Unterschätzte der Klugen ist, und wollte man Gründe finden, so könnte der Wichtigste heißen: er bleibt bei sich; das ist den Vielen unheimlich. Der Eigensinn seiner Sprache entzieht sich der schnellen Lektüre, und die Aufrichtigkeit seines Schreibens gibt tieferen Aufschluss über unsere Verfassung, als der Gemütlichkeit bekömmlich ist. „Tabu 1 + 2“, die Tagebücher von 89 bis 91, zeigen den Fassungslosen vor dem Fernsehapparat bei deutscher Einheit und Sat.1, entblößen den alternden Mann, der mit dem Siechtum kämpft, den linken Dialektiker, der Wahrnehmung und Theorie zu gleichen Teilen ernst nimmt, schließlich den Zeitgenossen, gallig und emphatisch zugleich. Dass es nebenbei ein ästhetisches Werk ersten und allerersten Ranges ist – denn nichts ist heikler und schwieriger als die Verfertigung eines Tagebuchs für die Gegenwart, und kaum ein Unterfangen ist anspruchsvoller, als die Redundanz des täglichen Lebens in eine literarische Form zu bringen, die weder Sockel noch Schmiere braucht – sollte nicht vergessen werden bei der Empfehlung, es, so noch nicht geschehen, endlich zu lesen. Das vollkommen Individuelle ist immer das allgemein Interessanteste. – Der Goethe-Preis des Jahres 99 wäre das Mindeste gewesen, nun hat ihn Hermann Lenz bekommen. Na ja. Er soll es trotzdem halten wie 78: „Ich butter meinen Toast von beiden Seiten.“
Innigsten Glückwunsch zum Siebzigsten! Elke Schmitter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen