Abtreibungsrecht in Polen: Tusks Liberalisierung scheitert
Donald Tusk ist mit der Reform des Abtreibungsrechts nicht durchs Parlament gekommen. Nach der Sommerpause plant Polens Premier einen neuen Vorstoß.
Als nach der Abstimmung im Sejm die Anzeigetafel das Ergebnis anzeigte, versteinerte sich sein Gesicht schlagartig. Denn für das Gesetz hatten nur 215 Abgeordnete aus dem Regierungslager gestimmt, gegen das Gesetz hingegen 218 Abgeordnete – darunter 198 Oppositionelle von der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der rechtsextremen Konföderation, aber auch 20 Abgeordnete der konservativen Bauernpartei (PSL) aus der Regierungskoalition. Zudem stimmten sieben Koalitions-Abgeordnete erst gar nicht mit ab.
Dass die PSL für die schwere Schlappe der Mitte-Links-Regierung von Tusk verantwortlich zeichnet, quittiert PSL-Staatssekretär Milosz Motyka mit einem Achselzucken: „Die Standing Ovation der PiS-Opposition für das Pro-Life-Abstimmungsergebnis im Sejm hat für mich keinerlei Bedeutung. Wir von der PSL sind uns treu geblieben und haben ehrlich gegenüber uns selbst und unseren Wählern abgestimmt“.
Zwei Tage zuvor hatte bereits Andrzej Duda, der PiS-nahe Staatspräsident Polens, sein Veto angekündigt. „Für mich ist das Mord“, kommentierte er auf dem Nato-Gipfel in Washington die geplante Liberalisierung des polnischen Abtreibungsrechts. Die international schwache Position Polens geht vor allem auf sein Konto, da Dudas Blockadehaltung gegenüber fast allen Vorhaben der Mitte-Links-Koalition ein nachhaltiges Regieren unmöglich macht.
Polens Abtreibungsrecht gehört zu den schärfsten Gesetzgebungen in ganz Europa. Polinnen können, sobald sie schwanger sind, nicht mehr über ihren Körper entscheiden. Schwangerschaftsabbrüche sind in nur ganz seltenen Fällen legal – bei einer Vergewaltigung, bei Inzest und bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter. Eine weitere Abtreibungsindikation hatte Polens Verfassungsgericht auf Antrag von PiS-Abgeordneten 2020 gekippt.
Seitdem müssen Polinnen Schwangerschaften mit schwerst missgebildeten und nicht überlebensfähigen Föten austragen. Seitdem sterben allerdings auch immer mehr Frauen, da Ärzte und Hebammen Angst vor einer dreijährigen Haftstrafe haben, wenn sie eine Risikoschwangerschaft beenden. Statt das Leben der Frau zu retten, wie es das Gesetz vorsieht, warten sie zunächst auf den Tod des Ungeborenen im Leib der werdenden Mutter.
Nach einigen spektakulären Todesfällen, für die weder Politiker, Verfassungsrechtler, noch Ärzte zur Verantwortung gezogen wurden, ziehen es heute viele Polinnen vor, ihre Schwangerschaft im Ausland überwachen zu lassen, wo sie im Notfall auf Hilfe rechnen können. Ungewollte Schwangerschaften werden in Polen heute zumeist pharmakologisch unterbrochen oder durch Reisen ins benachbarte Ausland.
In den acht Jahren der PiS-Regierung von 2015 bis 2023 hatten hunderttausende Polinnen immer wieder in sogenannten „schwarzen Märschen“ gegen das restriktive Abtreibungsrecht protestiert. Umfragen zufolge sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts aus – und so wurde dies zum wichtigsten Wahlversprechen der Neuen Linken und zu einem der wichtigsten der liberalkonservativen Bürgerplattform von Donald Tusk.
Doch als der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, fehlte dort das Abtreibungsrecht. Der Dritte Weg, ein Parteienbündnis aus der christdemokratischen Partei Polska 2050 und der konservativen Bauernpartei PSL, pochte auf das „gute katholische Gewissen“ seiner Politiker in dieser „Weltanschauungsfrage“. Die Neue Linke hingegen brachte nach dem Wahlsieg der Koalition gleich als erste Gruppierung zwei Gesetzesprojekte zur Wiederherstellung der Frauenrechte ein. Im Laufe der nächsten Monate legte jede Partei ein anderes Gesetzesprojekt vor.
Abgestimmt wurde am Freitag über das Projekt der Bürgerkoalition, an dem die Linken im Sejm-Ausschuss entscheidend mitgearbeitet hatten. Es sah eine legale Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche vor und Straffreiheit für die HelferInnen, die die Abtreibungspille besorgten, die Reise zu einer Klinik im Ausland organisierten oder einfach nur psychischen Beistand leisteten.
„Das Abstimmungsergebnis ist frustrierend. Wir waren so kurz vor dem Erfolg. Nur vier Stimmen fehlten“, sagt Anita Kucharska-Diedzic von der Neuen Linken. „Doch nach der Sommerpause werden wir das Gesetz dem Sejm erneut vorlegen. Es geht hier um die Rechte der Frauen und nicht um irgendwelche politischen Mini-Interessen der Bauern-Politiker.“ Premier Donald Tusk seinerseits kündigte bereits harte Konsequenzen gegen Stimmverweigerer aus der eigenen Partei an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs