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Abstimmung über BinnenmarktgesetzKlare Mehrheit für Boris Johnson

Großbritanniens Premier nimmt mit der Abstimmung im Unterhaus über sein umstrittenes Gesetz zur einseitigen Änderung des Brexit-Deals die erste Hürde.

Auf verlorenem Posten: Pro-Europa-Demonstrant vor dem Parlament in Westminster am Montag Foto: Frank Augstein/ap

London dpa | Ungeachtet aller Warnungen hat sich im britischen Unterhaus in einer ersten Abstimmung eine deutliche Mehrheit für das umstrittene Binnenmarktgesetz von Premier Boris Johnson ausgesprochen. 340 der Abgeordneten stimmten am Montagabend für das Gesetz, mit dem Johnson Teile des gültigen Brexit-Deals ändern will. 263 votierten dagegen. Ein Antrag der Opposition, um das Gesetz zu stoppen, war zuvor mehrheitlich abgelehnt worden.

Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer. In den kommenden Tagen geht die Debatte über den Gesetzentwurf weiter, erst in einer Woche steht die entscheidende Abstimmung an. Danach muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren.

Doch bereits am Montag kochten die Emotionen im Parlament hoch: „Was für eine Inkompetenz! Was für ein gescheitertes Regieren!“, empörte sich etwa der Abgeordnete der oppositionelle Labour-Partei, Ed Miliband, zu einem kopfschüttelnden Regierungschef. Es gebe nur eine Person, die für all das verantwortlich sei – Johnson selbst.

Dieser verteidigte sein Gesetz in der Debatte hingegen erneut als „Sicherheitsnetz“, das notwendig sei, um die Beziehung zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens zu schützen.

Johnson sieht EU-Drohung mit „Revolver“

„Denn nach seiner Darstellung drohte die EU unter anderem, mit einem Einfuhrstopp für britische Waren auch den Warenfluss zwischen Irland und Nordirland zu unterbinden. Und die EU habe „diesen Revolver noch immer nicht vom Tisch genommen“.

Johnson hat eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus, in der Abstimmung hatte seine Regierungsfraktion am Montagabend eine Mehrheit von 77 Stimmen. Dabei hatten sich zuvor etliche führende Parteimitglieder, darunter auch konservative Ex-Premierminister wie David Cameron und John Major, klar von dem Gesetz distanziert.

Der Premier will mit dem Binnenmarktgesetz den 2019 mit der Europäischen Union vereinbarten Austrittsvertrag in wesentlichen Punkten ändern. Dabei geht es konkret um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen.

Rechtsbruch, Todesstoß, harter Bruch?

Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch. Brüssel forderte London daher auf, bis Ende September einzulenken.

Kritiker befürchten, dass das geplante Gesetz der Todesstoß für den Handelsvertrag sein könnte, der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen neu regeln soll. Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase droht ohne Vertrag ein harter Bruch mit Zöllen und hohen Handelshürden.

In einer ersten Reaktion britischer Medien stellte der Sender BBC auf seiner Website fest, dass die Coronapandemie in diesem Jahr die Nachrichten dominiert habe, doch nun sei auch der Brexit „wieder voll auf der Tagesordnung“ gelandet.

Der Telegraph wiederum warnte Johnson, er stehe mit dem Gesetz vor „einer völlig neuen Brexit-Schlacht“. Und der Guardian titelte, dass Johnson die Abstimmung über ein kontroverses Gesetz gewonnen habe, „der internationales Recht brechen wird“.

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4 Kommentare

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  • Und die Queen? Sie hat schon einmal ein Johnson-Dekret unterschreiben müssen (irreguläre Parlamentspause), das kurz danach mit vernichtender Begründung vom Obersten Gericht kassiert wurde. - Wird sie diesmal sogar den Bruch eines internationalen Vertrages unterschreiben? Die Queen gilt als geradezu pathologisch pflichtbewusst. Johnson manövriert sie in eine Zwickmühle hinein wie schon einmal.



    Wer weiß? - Vielleicht platzt ihr irgendwann der Kragen? - und sie ruft ihrerseits das Oberste Gericht an? - diesmal, bevor sie unterschreiben muss?

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch.""



    ==



    Wenn die EU und selbst Tories, welche den Brexit unterstützen, von einem eklatanten und weitreichenden Rechtsbruch sprechen hinsichtlich eines Vertrages (WA =Withdrawl agreement), der von Johnson unterschrieben und bereits von beiden Seiten ratifiziert wurde - was ist es denn dann?

    Was es bedeutet wenn Rechtspopulisten in Machtpositionen gewählt werden sehen wir in den USA. Die politischen und die verwaltungstechnischen Systeme erodieren und scheinen in sich zusammen zu brechen. UK steht erst am Anfang dieses Prozesses von dem niemand weiß, ob sich die Auflösung demokratischer funktionaler Institutionen jemals stoppen lassen wird.

    Wichtiger ist es eindeutig zu klären, in wieweit Boris Johnson Nordirland als Einfallstor in die Europäische Union nutzen wird/nutzen kann/könnte um europäische Gesetze mit Dumpingwaren zu unterlaufen und außer Kraft zusetzen.

    Die Verbindung vom europäischen Festland zur Republik Irland (ROI) läuft derzeit noch über die britische Insel. Es wird höchste Zeit eine eigene Verbindung aufzubauen. (Rotterdam / Le Havre/ oder Brest - nach Dublin)



    um den Schaden für die EU so gering wie möglich zu halten.

    Wenn die täglichen 7.0000 Transporte allein über Dover nach Großbritannien nur einen Mehrbedarf von 2 Minuten benötigen wird es mehr als 9 Tage dauern die LKW `s abzufertigen.

    Aus diesem sich überdeutlich abzeichnenden eklatanten Chaos in 29 britischen Zollstationen, die noch nicht gebaut sind und deren 50.000 benötigte Mitarbeiter es auch noch nicht gibt, sollte die EU mit knallhartem Pragmatismus und Planung reagieren.

    Der Kontinent freut sich wenn ROI (Dublin), NI (Belfast) und Schottland Edinburgh) demnächst direkt vom Kontinent aus angefahren werden.

  • Die Sache ist eigentlich hochgradig banal: Wird dieses Gesetz verabschiedet, muss die EU zwangsläufig alle Verhandlungen sofort einstellen. Denn Vertragstreue ist die erste und wichtigste Voraussetzung für jede Verhandlung zwischen zwei Parteien, egal ob es sich um Staaten, Firmen oder Privatpersonen handelt.

  • Und? Was sagen Sun und Times dazu?

    Wird Zeit, dass UK den Murdoch rauskickt. Der akkumulierte Schaden, den der und seine Schmierblätter angerichtet haben ist vermutlich kaum zu beziffern.